Hamburg. 3500 Hamburger Schüler betroffen. Hamburger Schulbehörde legt Mentorenprogramm auf, das für guten “Anschluss“ sorgen soll.
Sie drohen, durch die Pandemie abgehängt zu werden: Rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler, so schätzen Experten, dürften wegen des coronabedingten Ausfalls von regulärem Schulunterricht erhebliche Lernrückstände haben – unter Umständen liegen sie ein ganzes Schuljahr zurück. Gerade im Übergang von der vierten Klasse in die weiterführenden Schulen könnte dies zum großen Problem werden.
Deshalb hat nun die Hamburger Schulbehörde mit Unterstützung der „Zeit“-Stiftung ein Mentorenprogramm aufgelegt, das für einen guten „Anschluss“ sorgen soll, so heißt das Projekt. Etwa 3500 Grundschülerinnen und -schüler vor allem der vierten Klassen sollen ein Jahr lang von bis zu circa 700 Lehramtsstudierenden in Kleingruppen gefördert werden. „Es geht uns um die fachliche Förderung in den Fächern Deutsch und Mathematik, insbesondere aber auch um die Stärkung ihrer Persönlichkeit und ihrer Lernmotivation sowie der Fähigkeit, selbstgesteuert zu lernen“, sagt der Erziehungswissenschaftler Prof. Reiner Lehberger, der lange Zeit Vorsitzender des Landesschulbeirats der Hansestadt war. Er berät und begleitet die Vorbereitung und Durchführung des Projekts.
Wer vorher schon Schwierigkeiten hatte, kam nicht gut klar
Lehberger hat sich in den vergangenen Wochen viel mit Grundschulleitern ausgetauscht. Deren Beobachtung: Die Schüler, die schon vor der Pandemie stark und motiviert waren, kamen meist auch während der Schulschließungen gut klar. Diejenigen Mädchen und Jungen aber, die schon zuvor nicht gut lernen konnten, schwer zu motivieren waren, wenig Unterstützung von zu Hause bekamen, keinen Platz zum Lernen hatten oder vielleicht auch nicht die technische Ausstattung für den Digitalunterricht, sind in der Krise noch einmal stärker abgerutscht.
„Auf diese Kinder zielt unser Programm ab“, so Lehberger. „Wir dürfen sie nicht verlieren.“ Der Erziehungswissenschaftler geht davon aus, dass insgesamt 20.000 Schüler in der Hansestadt große Lernrückstände haben. Das Projekt „Anschluss“ nimmt nach den Sommerferien zunächst die Viertklässler in den Blick, die vor dem besonders kritischen Übergang ins Gymnasium oder die Stadtteilschule stehen.
Mentoren gehen mit den Schülern auch mal Eis essen
Die Initiative der Schulbehörde basiert auf dem Mentorenprogramm „Weichenstellung“, das die „Zeit“-Stiftung vor acht Jahren gemeinsam mit Lehberger entwickelte und das seither erfolgreich läuft. „Ziel war es nicht nur, die Kinder fachlich zu fördern, sondern insbesondere ihr Selbstbewusstsein zu stärken, damit sie mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln“, sagt der Vorsitzende der „Zeit“-Stiftung, Prof. Michael Göring.
Das funktionierte auch dadurch, dass die Mentoren für die Kinder zu Freunden wurden, mit ihnen auch mal gemeinsam Eis essen oder schwimmen gingen und auf diese Weise Vertrauen entstand. „So wurde ihr Feld für die Zukunft bestellt“, so Göring. „Weichenstellung“ begleitet die Kinder von der vierten Klasse an über drei Jahre hinweg. Im Zuge der Migrationswelle 2015, als in kurzer Zeit rund 7000 Flüchtlingskinder nach Hamburg kamen, entfaltete das Programm neue Wirkung. Wie sehr die Kinder profitiert und in Rekordzeit Deutsch gelernt hätten, habe ihn wirklich bewegt, sagt Göring. „Nach der Migrationswelle stellt uns nun die Corona-Pandemie vor die zweite große nationale Herausforderung im Bildungswesen.“
Lehramtsstudenten bekommen 20 Euro für 45 Minuten
Gesucht werden deshalb jetzt dringend Lehramtsstudenten, die die Kinder mit Beginn des neuen Schuljahrs im August zweimal in der Woche nachmittags für jeweils 90 Minuten in Fünfergruppen unterrichten und fördern. Neben einer Bezahlung von 20,28 Euro pro 45 Minuten profitierten die angehenden Lehrer auch von der Praxiserfahrung, ist Lehberger überzeugt. „Für die Studierenden ist das eine großartige Vorbereitung auf den Beruf. Sie erleben sich in einer neuen Rolle, kommen mit Kindern aus anderen Verhältnissen in Kontakt und erfahren einen Professionalisierungsschub.“
Die Studierenden werden am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) auf ihre Aufgabe vorbereitet, erhalten Übungsmaterialien für die Förderstunden und werden während des Jahres durch regelmäßige Supervision begleitet. An jeder teilnehmenden Schule soll ein Koordinator bereitstehen, der sie berät.
Die Schulen wählen die Kinder mit Förderbedarf anhand ihrer Lernstandsergebnisse aus. Die Teilnahme ist kostenlos und freiwillig. Klar ist aber: Wer sich anmeldet, muss dann zumindest ein Halbjahr lang auch verbindlich dabei bleiben. Die Förderstunden finden an den Schulen statt und werden nachmittags in das Ganztagsangebot eingebunden.
„So gewinnen wir engagierte Pädagogen für Hamburgs Schulen“
„Im letzten Jahr ist rund die Hälfte des Unterrichts an den Schulen ausgefallen. Das wird bei vielen Schülerinnen und Schülern tiefe Spuren in der schulischen Bildung, aber auch in ihrer sozialen und menschlichen Entwicklung hinterlassen“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD). Hier setze „Anschluss“ mit der Förderung der Schülerinnen und Schüler an. „Mit dem neuen Programm wollen wir zugleich viele engagierte neue Pädagoginnen und Pädagogen für Hamburgs Schulen gewinnen und fördern“, so Schulsenator Rabe.
Das Geld für das Projekt stammt aus Bundesmitteln, die die Länder bekommen, um coronabedingte Bildungsrückstände auszugleichen. Für die Studierenden, denen im Zuge der Pandemie viele Mini-Jobs wegbrachen, könnten die knapp 330 Euro monatlich ein willkommenes Zubrot bedeuten. Bewerben können sich ebenfalls pensionierte Lehrer sowie bei entsprechender Eignung auch Studierende anderer Fachrichtungen.
Eine Bewerbung ist bis zum 10. Juli unter www.hamburg.de/lernfoerderung/15078900/anschluss/ möglich. Dort gibt es auch weitere Informationen.