Hamburg. Auf der Veddel werden Untermieter um ihre Kautionen geprellt. Warum der Konzern die Praktiken nicht stoppt.

Wer unbefangen die Schreiben von Bernd Sandmann (Name geändert) liest, mag kaum glauben, dass man so viel Pech mit seinen Mietern haben kann. Sandmann beklagt die fehlende Rückgabe von Schlüsseln („Weitergabe an den Folgemieter war nicht möglich“), notwendige Renovierungsarbeiten („Ich werde einen Maler kommen lassen“) sowie „offene Mieten, die bis heute nicht ausgeglichen wurden“. Die Schreiben enden stets damit, dass er die Mietkaution mit entstandenen Schäden und damit verbundenen Mietausfällen verrechnen müsse, in einem Fall fordert er sogar „Schadenersatz“ in Höhe von 3250 Euro.

Wer sich allerdings eingehender mit dem Schriftverkehr Sandmanns beschäftigt, gewinnt eine überraschende Erkenntnis. Sandmann gehört die 94,47 Quadratmeter große Wohnung auf der Veddel gar nicht, er hat sie selbst beim städtischen Wohnungsbaukonzern Saga gemietet. Er vermietet mehrere Zimmer seit Jahren unter – in der Regel an Studenten, Praktikanten oder Berufseinsteiger. Es sind Mieter wie der Ingenieur Tim Petersen, die nach einem Wechsel in die Hansestadt unter enormem Zeitdruck stehen und nahezu jeden Kompromiss eingehen, um überhaupt eine Wohnung zu finden.

Bernd Sandmann behält die Kautionen ein

Im Mai hatte das Abendblatt erstmals über den Kampf von 18 ehemaligen Mietern Sandmanns berichtet, die sich als Opfer seiner Geschäftspraktiken sehen. Sie wohnten allesamt mehrere Monate zur Untermiete bei Sandmann, zahlten Mieten zwischen 400 und 650 Euro und haben nun ein großes Problem: Sandmann behält die Kautionen ein, mal wegen angeblicher Sachbeschädigung, mal wegen angeblichen Diebstahls von Inventar.

Inzwischen sind mehrere Gerichtsverfahren anhängig, auch das Landeskriminalamt ermittelt. Am 31. August verurteilte das Amtsgericht Harburg Sandmann zu einer Zahlung von 1566 Euro nebst Zinsen an seine ehemalige Untermieterin Janina Schäfers, die von Februar bis April 2017 bei Sandmann wohnte. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig, gezahlt hat Sandmann dennoch nicht. „Dieser Mann ist hoch kriminell, er betrügt systematisch Untermieter“, sagt Jürgen Schäfers, der als Vater von Janina Schäfers die Interessengruppe „Geschädigte Mieter“ vertritt.

Wie kann die Saga diese Betrugsmanöver dulden?

Die Gruppe dürfte in den nächsten Wochen noch wachsen. Nach Abendblatt-Recherchen hat Sandmann weitere Opfer gefunden. Am 22. Juli zog wieder eine Untermieterin ein, Sandmann bestand darauf, dass die Miete über 600 Euro für das Zimmer rückwirkend seit 1. Juli zu zahlen sei, er verlangte zudem eine Kaution von 1650 Euro. Die Untermieterin befristete ihren Vertrag zum 31. Oktober mit der Option, ihn im beiderseitigen Einvernehmen zu verlängern. Sandmann bot ihr schließlich eine Verlängerung an – allerdings nur auf mündlicher Basis zu unklarer Miethöhe, ausdrücklich ohne schriftlichen Vertrag. Die Untermieterin bat sich Bedenkzeit aus, lehnte dann ab, als Übergabetermin wurde der 31. Oktober, 18 Uhr fixiert.

An diesem Tag mailte Sandmann um 16.18 Uhr: „Ich fühle mich sehr übers Ohr gehauen, denn ich bin davon ausgegangen, dass du die nächsten drei Monate weiterhin in der WG bleibst.“ Er werde zum Übergabetermin nicht kommen, da für ihn das Mietverhältnis weiter existiere: „Ich erwarte weiter pünktlich Deine Mietzahlungen.“ Daraufhin dokumentierte die Untermieterin per Video, wie sie bei ihrem Auszug den Schlüssel in den Briefkasten warf. Ihre Kaution hat auch sie bis heute nicht zurück.

Die entscheidende Frage bleibt: Wie kann ausgerechnet die Saga, laut Satzung verpflichtet zu „gemeinnützigem Handeln“, diese Betrugsmanöver dulden? „Die aktuell geltende Gesetzeslage macht es Vermietern enorm schwer, wirkungsvoll gegen Missbrauch wie im Fall der vorliegenden Untervermietungsfälle vorzugehen, was die Saga Unternehmensgruppe außerordentlich bedauert“, schreibt die Saga in einer Stellungnahme. Der Hintergrund: Juristisch gesehen müssen sich die Untermieter an Sandmann halten, allein er ist ihr Vertragspartner, nicht die Saga. Und Sandmann hatte sich im Mietvertrag zusichern lassen, dass er zwei Zimmer untervermieten darf.

Saga mahnte ab und drohte mit fristloser Kündigung

Dennoch hat der Wohnungsbaukonzern Sandmann abgemahnt und eine fristlose Kündigung angedroht, da er alle Zimmer vermietet habe, was ein klarer Verstoß gegen den Vertrag wäre. Sandmann legte über seine Anwälte Widerspruch ein, behauptete, er habe immer zumindest ein Zimmer selbst bewohnt. Am Ende verglichen sich beide Parteien: Er darf noch bis März 2019 die Wohnung behalten, auch seine Klausel, die ihm die Untervermietung gestattet, bleibt gültig.

„Mit dem Abschluss eines Vergleichs wurde letztlich der schnellste und sicherste Weg gewählt, um das Mietverhältnis und die damit verbundenen Probleme nachhaltig zu lösen. Das Prozessrisiko war nach Abwägung aller Chancen und Risiken zu hoch“, schreibt die Saga. Die Gefahr bei einem langen Rechtsstreit oder gar einer Niederlage wäre zu groß gewesen, „dass der Hauptmieter mit seinen Machenschaften noch lange hätte weitermachen können. Dies galt es aus Sicht der Saga zu verhindern.“ Weiter heißt es: „Dessen ungeachtet tun uns vor diesem Hintergrund insbesondere die geschädigten Untermieter leid. Ihnen bleibt allein die Option, den Rechtsweg zu beschreiten.“

Sandmann selbst mag sich zu den Vorwürfen nicht äußern

Doch genau dieser Weg bleibt steinig – erst recht ohne Rechtsschutzversicherung. Und sollte Sandmann wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sein, die Forderungen zu bedienen, würden die Opfer selbst bei einem Erfolg auch noch auf den Kosten eines Gerichtsvollziehers sitzen bleiben.

Sandmann ist offenbar jedes Mittel recht, um an Geld zu kommen. So schickte er einer ehemaligen Untermieterin eine dem Abendblatt vorliegende Rechnung über die Reinigung ihres Zimmers durch einen Dienstleister in Höhe von 229,71 Euro. Die Firma habe sieben Stunden für das Säubern des Zimmers, des Badezimmers, der Küche sowie des Flures gebraucht. Er habe die Rechnung bezahlt, die Mieterin sei verpflichtet, sie auszugleichen. Auf Anraten ihres Anwalts erkundigte sich die Untermieterin bei der Firma. Die Auskunft: Man kenne den Herrn gar nicht, erst recht nicht als Kunden. Die Rechnung sei eine Fälschung.

Sandmann selbst mag sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Wie schon im Mai reagierte er nicht auf eine entsprechende Anfrage des Abendblatts.

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Von Peter Wenig (Abendblatt), Ruth Fend, Jonathan Sachse und Justus von Daniels (Correctiv)