Langenhorn. In einem Reihenhausgebiet am Gehlengraben ist der Boden abgesackt. Die Folge: Breite Risse in Kellerwänden und Fassaden.
Den Sommer 2006 werden Ursel und Carl Garbe nie vergessen. Aber nicht wegen der spannenden Weltmeisterschaft, sondern weil sie da das erste Mal befürchteten, ihr Haus würde auseinanderbrechen. An der Backsteinfassade des schmucken Reihenhauses am Georg-Clasen-Weg in Langenhorn traten breite Risse auf, aus dem Fußweg ragten plötzlich die Sielabdeckungen. „Der Boden war abgesackt. Nicht nur bei uns, auch bei den Nachbarn “, sagen die Garbes. Eine Betroffene ließ ihr Haus unterspritzen – auf eigene Kosten, weil weder die Baugesellschaft, die die Siedlung 1989 erbaut hatte, noch die Versicherungen von dem Schaden etwas wissen wollten. Die Bewohner verfugten die Risse in ihren Häusern und hofften, dass der Spuk vorbei sei.
Endreihenhaus reißt Nachbargebäude mit
Im Laufe des vergangenen Sommers aber traten erneut Schäden auf. Dieses Mal nicht nur an den zwei Häuserreihen im Georg-Clasen-Weg, sondern auch auf der anderen Seite des Rings 3, der auf diesem Abschnitt „Gehlengraben“ heißt. Auch dort sind auf einem größeren Areal gleich mehrere Häuser betroffen. In der 1961 erbauten Häuserreihe Willersweg 36 a–g, die parallel zum Gehlengraben hinter hohen Bäumen liegt, sank der komplette Boden um etwa zehn Zentimeter ab. „Bei uns sind Kellerniedergänge nach Norden weggesackt, Kellerwände und eine Schmutzwasserleitung gerissen, und die Vorgärten haben sich gesenkt“, beschreibt Bewohner Wolfgang Oker die Schäden in der Häuserreihe. Erst kürzlich hat das Bezirksamt die öffentliche Zuwegung zu den Häusern, die stellenweise weggesackt war, instandsetzen lassen. Sie liegt jetzt deutlich höher als die Wege, die durch die Vorgärten zu den Haustüren führen.
Der kaufmännische Angestellte gründete eine Facebook-Gruppe – und sofort meldeten sich Nachbarn, bei denen Ähnliches passiert war: etwa Sven Wedel und dessen Nachbar aus einer Häuserreihe am Wildermuthring. Dort sackte ein Endreihenhaus, das zum Gehlengraben hin ausgerichtet ist, deutlich ab. „Unsere Wasserwaage zeigt an, dass sich die Hauswand in einer Höhe von zwei Metern bereits sieben Zentimeter zur Seite neigt“, sagt Sven Wedel. Insgesamt dürfte das zweistöckige Gebäude deutlich weiter aus dem Lot geraten sein. Außer der Neigung weist das Endreihenhaus, das mittlerweile günstig verkauft wurde, aber keine weiteren sichtbaren Schäden auf.
Anders ist das bei den Häusern von Wedel und einem weiteren Nachbarn, an denen die Fassaden schwer beschädigt sind: Neben den senkrecht gemauerten, verklinkerten Vorsprüngen zwischen den Häusern ziehen sich tiefe, bis zu drei Zentimeter breite Risse von oben nach unten. Auch die Verklinkerung selbst ist gerissen. Wedels Nachbar hat den Riss in der Hauswand mit Zinkblech verschlossen, den in der Verklinkerung mit Silikon, damit keine Feuchtigkeit ins Mauerwerk dringt.
Sind Bäume oder Tonschicht aus der Eiszeit schuld?
Wedel, der in der Baubranche tätig ist, hat bereits zwei Mal das Pflaster von seinem Vorplatz hochgenommen, und die Senke, die sich darunter gebildet hatte, wieder aufgefüllt. Ohne nachhaltigen Erfolg. „Auch Sand und Zement sind nach kurzer Zeit wieder weggesackt“, so der zweifache Familienvater. Beim Anblick der Risse und der Regenrinne, die leicht abgeknickt ist, wird die Kraft deutlich, mit der das abgesackte Endreihenhaus die Nachbarhäuser mitzieht. „Manchmal hat man den Eindruck, dass nur noch das Dach die Reihe zusammenhält“, sagt Wedel.
Natürlich haben die Betroffenen westlich und östlich des Gehlengrabens Ursachenforschung betrieben. Einer der Gutachter, die im Auftrag der Bewohner das Gelände am Willersweg untersucht haben, stieß beim Bohren in etwa fünf Meter Tiefe auf eine dicke Tonschicht. Anders als üblich (Ton ist großporig und daher eher feucht) war diese Schicht knochentrocken und so hart, dass die Bohrer nicht bis zur geplanten Tiefe von acht Metern kamen. Die Tonschicht sei wegen Trockenheit geschrumpft, so der Gutachter. Daran könnten auch die Bäume in der Umgebung ihren Anteil haben.
Ein anderer Gutachter kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass schrumpfende Bodenschichten die Ursache für den erheblichen Bodenverlust unter den Häusern sei. Er kann sich aber auch eine Ausspülung infolge undichter Hauptsielleitungen vorstellen und empfiehlt eine dringende Überprüfung.
Behörde schließt Grundwasserabsenkungen aus
Für Carl Garbe liegt die Ursache auf der Hand. Der gelernte Landwirt aus Ostfriesland schiebt den großen Bäumen, die an Gehlengraben und Georg-Clasen-Weg wachsen, die Schuld zu. „Hier war früher ein Knick“, sagt er und zeigt auf einen flachen Graben zwischen dem Georg-Clasen-Weg und seiner Grundstücksgrenze. „Der wird immer noch von der Stadt gepflegt, die Bäume daneben hat man aber wachsen lassen.“ 20 Meter ragen die Eichen neben seinem Reihenhaus mittlerweile empor. Doch das Naturschutzamt schließe sie als Ursache für die Risse in seiner Häuserreihe aus.
Neben Hitze, Bäumen oder gerissenen Leitungen könnte theoretisch auch eine Grundwasserabsenkung in der Nähe Ursache des trockenen Bodens sein. Zumindest vermuteten das Experten, mit denen die Nachbarn in Kontakt getreten sind. Entsprechende Anfragen, die Wolfgang Oker an die Stadt, die Hochbahn und sogar an die für seinen Wahlkreis zuständige Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk schrieb, wurden negativ beantwortet. Baugrundgutachten aus früheren Jahren hätten eine Schrumpfung oder Setzung der oberflächennahen Schluff- beziehungsweise Tonschichten festgestellt, so die Umweltbehörde. Hinweise auf Grundwasserabsenkungen gebe es nicht, auch das Absacken des Grundwasserstandes von sechs Metern wurde ausgeschlossen.
Wie es weitergehen soll, wissen die Nachbarn momentan noch nicht. Eine vom Gutachter empfohlene hydraulische Anhebung und anschließende Unterspritzung der Häuser würde jeden von ihnen zwischen 40.000 und 60.000 Euro kosten. „Vielleicht bleibt uns nichts anderes übrig als das, was eine 80 Jahre alte Nachbarin aus dem Eberhofweg getan hat“, sagt Oker. Die Dame habe ihr Grundstück verkauft und sei zu ihrer Tochter gezogen. Ihr Haus sei zum Schluss einsturzgefährdet gewesen. „Was mich an der ganzen Sache so ärgert“, sagt der Langenhorner, „ist, dass die Hamburger Behörden alle möglichen Großprojekte pushen, sich um uns Normalbürger aber nicht kümmern und uns unverschuldete Gebäudeschäden im fünfstelligen Betrag alleine schultern lassen.“