Hamburg. Aktueller Verfassungsschutzbericht von Andy Grote vorgestellt. Zahl der inksextremistischen Gewaltdelikte hat sich verzehnfacht.
Gemeinsam mit Landesamtschef Torsten Voß hat Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) am Dienstag den Verfassungsschutzbericht 2020 vorgelegt. Er zeigt die Entwicklung extremistischer Kräfte in der Stadt im vergangenen Jahr auf.
Ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie spielen auch Erkenntnisse über mögliche Verquickungen sogenannter Corona-Leugner mit Rechtsextremisten eine Rolle in dem Bericht. Es entstehe ein neuer verschwörungsideologischer Extremismus. Demnach nimmt Hamburg zwei neue extremistische Verdachtsfälle aus diesem Bereich neu in den Fokus: die Organisation "Querdenken 40" und "Hamburg steht auf".
Bestimmte Corona-Gegner in Hamburg unter Beobachtung
"Der Verfassungsschutz bearbeitet diese Gruppierungen als Verdachtsfälle", sagte Torsten Voß. "Bei 'Querdenken 40' stellen wir eine fundamentale Ablehnung des Regierungshandelns fest."
Seit Ende 2020 haben sich bei den beiden Hamburger Gruppierungen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen verdichtet. "Der Verfassungsschutz hat festgestellt, dass sich diese Gruppierungen sowohl in ihrer Wortwahl als auch in Form gestiegener Eskalationsbereitschaft gegenüber Einsatzkräften radikalisieren", heißt es in einer aktuellen Mitteilung.
Es werde ausdrücklich zu einem Widerstand gegen den demokratischen Rechtsstaat aufgerufen, der über friedlichen Protest hinausgehe. "Die Selbstinszenierung als vermeintlich verfolgte Aktivisten wird in Teilen immer wieder auch mit antisemitistischen Narrativen betrieben", heißt es weiter.
Hamburgs Verfassungsschutzbericht – vier Kernbotschaften:
- Die rechtsextremistische AfD-Teilstruktur „Der Flügel“ bleibt im Fokus und sorgt für einen deutlichen Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials
- Hamburgs Verfassungsschutz stellt derzeit bei zwei Gruppierungen des Corona-Protestspektrums hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Verfassungsfeindlichkeit fest
- 74 Prozent aller Linksextremisten in Hamburg sind gewaltorientiert
- Gesellschaftliche Verantwortungsträger und Wirtschaftsunternehmen werden durch Kampagnen und Cyberattacken ausländischer Nachrichtendienste bedroht
74 Prozent der Hamburger Linksextremisten gewaltorientiert
Grote hatte in diesem Zusammenhang schon in der Vergangenheit vor einer „ziemlich trüben Brühe“ gewarnt, bei der „Potenziale und Vernetzung in den verfassungsfeindlichen Bereich hinein“ gesehen würden.
Zudem geht es in dem aktuellen Verfassungsschutzbericht um die gewaltorientierte "Interventionistische Linke" (IL) inklusive der von der IL Hamburg beeinflussten Gruppierungen "Ende Gelände Hamburg" und "Seebrücke Hamburg". Aus dem Bericht geht hervor, dass es in Hamburg einen deutlichen Anstieg linksextremistischer Straf-und Gewalttaten gibt. "74 Prozent aller Linksextremisten in Hamburg sind gewaltorientiert", sagte Grote. Er sprach am Dienstag von der Schwelle zum Linksterrorismus.
Hamburg: Zahl der inksextremistischen Gewaltdelikte verzehnfacht
Dabei handelt es sich um 940 Personen der linksextremistischen Szene, darunter vor allem Autonome, Antiimperialisten und Anarchisten. Die Zahl der in Hamburg insgesamt erfassten Straftaten im Rahmen der "Politisch motivierten Kriminalität Links" lag mit 706 Taten auf einem deutlich höheren Niveau als 2019 – damals wurden 493 solcher Straftaten erfasst.
"Darin enthalten sind 229 linksextremistische Straftaten", teilte die Innenbehörde mit. Davon sind 162 linksextremistische Gewaltdelikte (2019: 15). Diese Zahl hat sich somit mehr als verzehnfacht. Viele Straftaten stehen in Zusammenhang mit dem Prozess der sogenannten „Drei von der Parkbank“.
Grote: "Gesunkene Hemmschwelle bei Gewalt gegen Unbeteiligte"
Es gebe eine "gesteigerte Radikalität" und "gesunkene Hemmschwelle bei Gewalt gegen Unbeteiligte". Die IL versuche weiter, durch die Besetzung von gesellschaftlich relevanten Themen anschlussfähig zu werden.
Eine ähnliche Bewegung sei im Islamismus zu beobachten, um "eine breite Gruppe von in erster Linie jugendliche Muslime" zu erreichen, so Grote. Zudem wies er darauf hin, dass ausländische Nachrichtendienste in Hamburg aktiv seien. "Nicht nur im politischen, sondern auch im Bereich der Wirtschaftsspionage."
Cyberattacken: Schifffahrt bietet besondere Angriffspunkte
Voß wies darauf hin, dass die Aufgaben der Spionageabwehr und des Wirtschaftsschutzes des Hamburger Verfassungsschutzes durch die fortschreitenden Digitalisierung immer wichtiger werde. "Verantwortungsträger aus Gesellschaft, Politik und Ökonomie stehen genauso im Visier ausländischer Nachrichtendienste wie das Knowhow Hamburger Wirtschaftsunternehmen – sei es durch Cyberattacken oder Destabilisierungs- und Fake-News-Kampagnen", heißt es in der aktuellen Mitteilung.
Schiff per Satellit kapern? Hamburgs Verfassungsschutz warnt:
Besondere Angriffspunkte bieten in der Hafenwirtschaft und maritimen Schifffahrt hochmoderne, weitreichend vernetzte maritime Navigationssysteme und Smart Port-Strukturen. "Auch im Hamburger Hafen könnte man (durch die Beeinflussung von Daten, Anm. d.Red.) Schiffe auf Grund laufen lassen oder die Fahrrinne blockieren", so Voß. Davor sei der maritime Sektor im Hafen bereits gewarnt worden.
Der Hamburger Verfassungsschutz ist nach eigenen Angaben zuständig für Angriffe ausländischer staatlicher Stellen und geht dann auch direkt auf Betroffene zu. Dabei werde jeder Sicherheitsvorfall grundsätzlich vertraulich behandelt. "So gab es im Jahr 2020 85 anlassbezogene Beratungen aufgrund solcher Vorfälle, der größte Anteil davon waren Cyberangriffe", heißt es vonseiten des Verfassungsschutzes.
AfD – 40 Anhänger des rechtsextremistischen Flügels
Rechtsextremismus sei weiter eine "sehr ernsthafte Bedrohung", erklärte Grote zudem. In Hamburg gibt es 40 Anhänger des rechtsextremistischen „Flügels“. Diese seien hauptsächlich für den Anstieg der namentlich bekannten Rechtsextremisten in der Stadt verantwortlich.
Torsten Voß gab an, dass die Zahl der Rechtsextreme um 50 Personen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist, davon "40 Personen, die wir dem 'Flügel' zuordnen", so Voß.
Voß wies noch einmal explizit darauf hin, dass es zwei Beschäftigte der Fraktion der AfD gebe, "die wir gesichert als Anhänger der Identitären Bewegung einordnen". Ein weiterer Mitarbeiter habe frühere Bezüge zur NPD.