Hamburg. Die Opposition eröffnete wegen der Todesfälle unter Obdachlosen eine hitzige Debatte. Dann ergriff Melanie Leonhard das Wort.

Mehr als eine Stunde lang hatte sie sich zurückgehalten und in der Bürgerschaft eine Menge Kritik an ihrer Politik und ihrer Person ertragen. Aber dann platzte ihr doch der Kragen. „Ich bin wirklich sehr empört“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) und forderte mit bebender Stimme von der Opposition: „Greifen Sie mich an – ist in Ordnung. Diskutieren Sie mit uns kontrovers – ist richtig. Ringen wir gemeinsam darum, was der richtige Weg ist – aber bleiben Sie bei der Wahrheit!“

Was war passiert? Nach etlichen Todesfällen unter Obdachlosen in den vergangenen Wochen hatte die Linkspartei für die Aktuelle Stunde das Thema „Obdach- und Wohnungslose in Hamburg: Schützt die Menschen endlich vor der Pandemie!“ angemeldet: Zusammen mit CDU und FDP forderte die Linke immer wieder vom rot-grünen Senat, Obdachlose angesichts der Kälte und der Ansteckungsgefahr in Wohnunterkünften lieber in leerstehenden Hotels unterzubringen. Direkt an Leonhard gerichtet kam mehrfach die Aufforderung, die Senatorin möge persönlich erklären, warum das nicht geschehe.

Leonhard äußert sich zur Hotelunterbringung von Obdachlosen 

Die überließ ihre Verteidigung lange den Abgeordneten von SPD und Grünen – bevor es ihr dann doch zu viel wurde. „Natürlich ist jeder Mensch, der auf der Straße zu Tode kommt, aus welchen Gründen auch immer, einer zu viel“, sagte Leonhard. Aber sie habe dem Parlament in zwei Gesundheitsausschuss-Sitzungen bereits erläutert, dass die Stadt die Hotelunterbringung sehr wohl als „wichtigen, ergänzenden Ansatz“ sehe und auch nutze: „Wir haben ein ganzes Hotel gemietet für Prostituierte, die ihrer Arbeit im Moment nicht nachgehen können, die da versorgt und beraten werden“, zählte Leonhard auf. Man habe ein weiteres Hotel angemietet als Ausweichunterkunft für Menschen, die coronabedingt in Quarantäne müssten. „Und wir bringen Menschen mit besonderem Beratungsbedarf aus dem Winternotprogramm in Hotels unter, wenn es erforderlich ist.“

Flächendeckend könne man das aber nicht machen, weil eine umfangreiche Beratung der Obdachlosen nötig sei, um diese in feste Unterkünfte vermitteln zu können: „Für uns ist das Dach über dem Kopf der Anfang einer Entwicklung und nicht das Ende“, so Leonhard. Entscheidend sei doch, dass es „nach der Hotelübernachtung nicht wieder auf die Straße geht“.

Seit Dezember sind elf Menschen in Hamburg auf der Straße verstorben

Es war der emotionale Schlusspunkt einer hitzig geführten Debatte, die die Linken-Abgeordnete Stephanie Rose eröffnet hatte. Die Not der Wohnungslosen sei zwar hinlänglich bekannt. „Neu ist, dass obdachlose Menschen Angst vor einer Infektion haben und deshalb die städtischen Unterkünfte meiden“, sagte sie. „Das erschütternde Ergebnis: Seit Dezember sind elf Menschen in Hamburg auf der Straße verstorben, seit dem Jahreswechsel acht innerhalb weniger Tage.“

Dass der Senat die Hamburger auffordere, nur noch eine Person außerhalb des eigenen Haushalts zu treffen, am besten gar keine, wogegen Obdachlose in Unterkünften für bis zu 400 Menschen übernachten sollten, sei zynisch, sagte Rose. Hotels in Hamburg stünden leer. Dort könnten Obdachlose einzeln zu geringen Kosten untergebracht werden – das sei „keine linke Utopie“. „Unsere reiche Stadt hat diese Ressourcen“, so Rose.

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Zahl der städtisch finanzierten Schlafplätze sei zuletzt auf etwa 1400 aufgestockt

Die Unterstellung einer Untätigkeit sei eine „maßlose Verkennung der gegebenen Sach- und Faktenlage“, sagte der SPD-Abgeordnete Iftikhar Malik. Die Zahl der städtisch finanzierten Schlafplätze sei zuletzt auf etwa 1400 aufgestockt worden und es sei eine zusätzlicher „Rückzugsort“ für Aufenthalte tagsüber am Klosterwall eingerichtet worden, den täglich bis zu 200 Menschen nutzen könnten. Malik verwies auf Senatsangaben, wonach im Rahmen des städtischen Winternotprogramms von November 2020 bis 14. Januar 2021 insgesamt 2.180 Beratungsangebote durchgeführt wurden. Demnach sind 35 Menschen „nachhaltig in weitere Hilfen vermittelt“ worden. Zudem sei die Infektionsgefahr in den Notunterkünften „überschaubar“: Seit November seien dort lediglich 14 Corona-Fälle festgestellt worden.

Ähnlich äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Michael Gwosdz. Unter anderem sei das Winternotprogramm, anders als in anderen Jahren, im Frühjahr nicht geschlossen worden, sondern werde seit Herbst 2019 durchgehend angeboten.

CDU fordert von Sozialsenatorin eine Erklärung

Die Sichtweise von Rot-Grün bringe ihn dazu, die Situation polemisch zusammenzufassen, sagte Andreas Grutzek von der CDU: „Draußen sterben die Menschen und drinnen klopfen sich die Regierungsfraktionen auf die Schulter.“ Zwar werde in Hamburg für Obdachlose mehr getan als in anderen Städten. „Aber ist das das Kriterium, nach dem wir uns richten sollten?“, fragte er und forderte von Senatorin Leonhard eine Erklärung, warum der Senat nicht Obdachlose in Hotels unterbringe. „Acht Tote in Hamburg allein seit Jahresbeginn sind wohl Zeichen genug, dass das Winternotprogramm nicht ausreicht“, sagte Grutzek.

Der AfD-Abgeordnete Marco Schulze verwies darauf, dass es bundesweit unter Obdachlosen bisher noch zu keinem Corona-Massenausbruch gekommen sei: „Ein jeder muss vor dem Kältetod bewahrt werden. Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass sich ein jeder in einem solch miserablen gesundheitlichen Zustand befindet, als dass eine pauschalisierte Einzelunterbringung verhältnismäßig wäre.“ Die fraktionslose FDP-Abgeordnete Anna von Treufels-Frowein sprach von einer Notsituation für Menschen, die keine Lobby haben: „Natürlich müssen wir über Einzelunterbringung in Hotels viel mehr nachdenken.“

Dennis Thering lehnt Lockerungsszenario im Norden ab

In einer weiteren Corona-Debatte ging es unter anderem um den Vorstoß der Landesregierung in Schleswig-Holstein für ein Lockerungsszenario. Ausgerechnet CDU-Fraktionschef Dennis Thering, ein Parteifreund des Kieler Ministerpräsidenten Daniel Günther, lehnte das als „ein falsches Signal, und vor allem auch zu einer völlig falschen Zeit“ ab. Debatten über Öffnungsstrategien dürften erst geführt werden, wenn „das Infektionsgeschehen auf einem sehr niedrigen Niveau verharrt“.

Grünen-Frationschef Dominik Lorenzen, dessen Partei in Kiel ebenfalls mitregiert, sah in der Strategie hingegen einen „diskussionswürdigen“ Vorschlag: „Wir brauchen endlich einen verlässlichen Stufenplan, der einen möglichst einheitlichen Weg durch die Pandemie aufzeigt, unterschiedliche Lebensbereiche berücksichtigt und sich an nachvollziehbaren Inzidenzwerten und Ansteckungsraten orientiert.“