Hamburg. Mit seinen 100 Jahren ist er einer der ältesten Clubs Hamburgs. Doch wer darf eigentlich alles Mitglied werden, und vor allem: wie?

Vor 100 Jahren, am 27. Juni 1922, wurde in Hamburg der Übersee-Club gegründet. Initiator war Max M. Warburg, der in der Stadt viele Spuren hinterlassen hat, bevor er wegen der Nazis in die USA emigrieren musste.

Ob Bundespräsidenten, Kanzler, Erste Bürgermeister oder internationale Gäste aller Art: Wer vor dem Übersee-Club und seinen rund 2000 Mitgliedern auftritt, der hat einiges zu erzählen. Doch ist der Club, der nach außen hin nobel und konservativ wirkt, wirklich so elitär, wie manche denken? Nein, sagt Michael Behrendt, der seit zehn Jahren Präsident ist. Im Gespräch mit dem Abendblatt gibt er Einblicke, woher die Mitglieder kommen, was diskutiert wird und wie er sich die Zukunft der Hamburger Institution vorstellt.

Hamburger Abendblatt: Lieber Herr Behrendt, der Übersee-Club, dem Sie als Präsident vorstehen, ist jetzt 100 Jahre alt. Worin unterscheidet er sich von anderen honorigen Clubs in Hamburg?

Michael Behrendt: Jeder Club besitzt seine eigene Identität. Wir gehören zu den ältesten und haben somit eine lange Tradition. Zudem sind wir auch ein Club, der von Anfang an Frauen aufgenommen hat. Liberalität gab uns bereits unser Gründer Max M. Warburg mit auf den Weg. Er hat 1922 festgelegt: Dies ist ein Club, der nicht zum Austausch von Geschäften gegründet wird, sondern als Sprechsaal. Hier soll über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus geguckt werden – und eben auch nach Übersee.

Wie viele Mitglieder hat der Übersee-Club heute, und wie viele waren es bei seiner Gründung 1922?

Es sind heute knapp 2000 Mitglieder plus etwa 200 Firmenmitgliedschaften, kurz nach der Gründung im Jahr 1922 waren es schon 1500. Pro Jahr kommen etwa 20 bis 30 neue Mitglieder hinzu.

100 Jahre Übersee-Club. Sonderheft. Interview mit dem Präsidenten Michael Behrendt. Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services
100 Jahre Übersee-Club. Sonderheft. Interview mit dem Präsidenten Michael Behrendt. Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services © Unbekannt | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Wie wird man eigentlich Mitglied bei Ihnen – und was kostet das?

Das wird man, wenn man zum einen zwei Bürgen aus dem Club stellen kann. Bei dem Leumund reicht es natürlich nicht zu betonen, dass jemand ein feiner Kerl ist – oder eine nette Dame. Es geht uns auch um soziale Kompetenz. Also darum, dass jemand sich auch außerhalb des beruflichen Umfeldes engagiert. Wir möchten nicht in einer Blase aus Top-Leuten der Wirtschaft unterwegs sein, sondern interessante Menschen aller Bereiche um uns haben. Was die Kosten angeht: Da sind wir alles andere als elitär, denn der Mitgliedsbeitrag beträgt 350 Euro im Jahr. Das stellt in den allermeisten Fällen keine Hürde dar, und so ist es auch gedacht.

Welche Rolle spielen die Frauen heute im Übersee-Club?

Sie spielen dieselbe Rolle wie die Männer, wir machen uns dazu gar keine besonderen Gedanken. Gut 20 Prozent der Mitglieder sind Frauen, und sie sind nicht weniger aktiv als die Männer, eher noch etwas engagierter. Mit Karen Heumann, Angela Titzrath und Katharina Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein haben wir aktuell drei Frauen im achtköpfigen Präsidium.

Seit wann sind Sie selbst dabei? Und wann wurden Sie zum Präsidenten berufen?

Ich war in den 1990er-Jahren zunächst als Firmenmitglied dabei, seit über 20 Jahren dann als persönliches Mitglied. Im Präsidium bin ich seit 2006, zum Präsidenten wurde ich vom Kuratorium zum 1. Januar 2012 gewählt. Mein Vorgänger Peter von Foerster, unser heutiger Ehrenpräsident, hat mich gut auf meine neue Aufgabe vorbereitet. Man darf nicht vergessen: Es handelt sich um ein Ehrenamt. .

Was haben Sie im Laufe der Zeit im Club verändert?

Veränderung ist ein fortlaufender Prozess. Das Erscheinungsbild, neudeutsch CI (Corporate Identity), wurde angepasst, auch beim Einladungsmanagement hat sich mal eine Kleinigkeit geändert. Aber die Grundidee ist über die 100 Jahre immer dieselbe geblieben. Es gibt im Schnitt rund 40 Vorträge im Jahr, und anschließend kommen die Menschen zusammen und diskutieren mit dem Redner oder der Rednerin und sprechen dann bei einem einfach gehaltenen Abendessen weiter. Das hat sich all die Jahre nicht verändert.

Es gibt Club-Abende im Amsinck-Haus mit Platz für bis zu 180 Personen, aber auch Vorträge, für die Sie ins Hotel Atlantic ausweichen oder in die Bucerius Law School. Sind Sie manchmal überbucht?

Wir haben, nicht nur im Jubiläumsjahr, immer wieder Rednerinnen und Redner, die ein sehr hohes Interesse hervorrufen, das können die verschiedensten Themen sein. Dann suchen und finden wir passende Räume. In diesem Jahr schaffen wir es, dass alle fünf Verfassungsorgane – also Bundespräsident, Bundeskanzler, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der Bundesratspräsident und die Bundestagspräsidentin – zu uns sprechen werden. Das macht uns stolz und zeichnet uns aus.

Eines der Highlights dürfte in diesem Jahr der Große Übersee-Tag gewesen sein, auf dem Bundeskanzler Olaf Scholz als Ehrengast sprach. Wann hatten Sie ihn angefragt?

Das war noch im Dezember, also sehr bald, nachdem er gewählt worden ist. Es war natürlich ein Vorteil, dass wir hier gute Kontakte zum Kanzleramt haben und zu Olaf Scholz. Er hat hier nicht nur zwei bedeutende Bürgermeister-Reden gehalten, sondern ist auch Mitglied des Kuratoriums. Es bedurfte da keiner großen Überredungskunst.

Wie haben Sie den Auftritt von Olaf Scholz empfunden?

Nicht nur mein Eindruck, sondern auch der vieler anderer war einhellig, dass es eine exzellente Rede gewesen ist, die der Bundeskanzler hier in Hamburg gehalten hat. Ich habe niemanden getroffen – selbst Menschen, die ihm sonst etwas kritischer gegenüberstehen – die das anders gesehen haben. Olaf Scholz hat vom Ukraine-Krieg bis zur Frage der Deglobalisierung alles thematisiert, was heute wichtig ist. Inklusive einer sehr netten Würdigung unseres Clubs.

Wer ist bei Ihnen in die Planung und Ideenfindung eingebunden?

Wir sammeln permanent jeden Input, der uns gegeben wird, nicht nur aus dem Mitgliederkreis. Und wenn wir dann anfragen, erhalten wir meistens schnell eine Zusage. So war es auch bei Luisa Neubauer von Fridays for Future, die in diesem Jahr gemeinsam mit Klaus von Dohnanyi im Club diskutieren wird. Das ehrt uns. Innerhalb des demokratischen Spektrums kann hier jeder zu Wort kommen. Am Rande bemerkt: Ein Honorar bekommt übrigens niemand, das wird es auch niemals geben.

Welche Abende waren für Sie eigentlich die inter­essantesten?

Mir hat – neben anderen – vor allem das Thema „Hamburg soll ein Exzellenzcluster werden“ Freude bereitet. Da habe ich mich wirklich reingehängt und viele hochkarätig besetzte Abende erleben dürfen. Wir haben durch die Anstöße, Vorträge und Vernetzungen im Bereich Wissenschaft tatsächlich eine Menge für Hamburg erreicht.

Wie haben Sie in den zwei Corona-Jahren das Club-Leben aufrecht­erhalten?

Nachde­m wir alle zunächst etwa zwei Monate lang regelrecht paralysiert waren, haben wir wie die Unternehmen auch verstärkt auf Video-Tools gesetzt und im Juni 2020 zum ersten Mal eine Rede per Streaming organisiert. Es gab sogar ein Online-Weihnachtsspecial mit hochkarätigen Repräsentanten dieser Stadt. Sich online zu treffen war irgendwann schon fast normal, und dabei haben sich dann auch Mitglieder zugeschaltet, die man etwas aus den Augen verloren hatte, weil sie viel Zeit im Ausland verbringen, nun woanders leben oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so einfach zu uns kommen können.

Werden Sie diese Online-Tools auch weiterhin nutzen?

Ein Streaming werden wir auch in Zukunft sicher mal machen, aber die persönliche Präsenz wird wieder die elementare Rolle im Club-Leben spielen.

Wie wollen Sie neue, jüngere Mitglieder für den Übersee-Club gewinnen?

Es ist zunächst gar kein Problem, junge Menschen für den Club zu interessieren. Aber: Menschen zwischen 30 und 50 haben in der Regel nicht so viel Zeit, die kümmern sich zuvorderst erst mal um den Beruf und die Familie. Das muss man so akzeptieren, das nehme ich auch keinem übel. Doch was wir ebenso merken: Die angeblich Älteren werden gefühlt immer jünger und agiler, sie nutzen ihre Zeit heute ganz anders als noch vor 20 oder 30 Jahren. Da geht man nun mit 65 auf Weltreise und zum Bergsteigen oder macht mit 70 einen Stand-up-Paddlingkurs. Das betrifft nicht nur uns, das ist in jedem Club so.

Wie ist das heute mit der Krawattenpflicht?

Tagsüber ist das vorbei, da muss hier niemand mehr mit Krawatte kommen – aber bitte auch nicht mit Jeans und Flip-Flops. Bei den Abendveranstaltungen ist eine Krawatte nach wie vor erwünscht, aber nicht ultimativ vorgeschrieben. Wir wissen, dass sich in dieser Hinsicht die Zeiten geändert haben.

Haben Sie eine Vision, wie sich der Übersee-Club in den nächsten 25 Jahren weiterentwickeln kann?

Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich Ihnen heute sage, dass der Club im Grundsatz so weitermachen sollte wie bisher. Wie heißt es in unserer Festschrift: „Wir sind traditionell modern und geben Raum für Zukunft.“ Jede Zeit hat ihre Themen, und wenn man sich heute alte Reden durchliest, dann findet man darin durchaus eine Menge Zitate, die – zu ihrer Zeit – fast schon visionär waren. Wir blicken selten nach hinten, sondern lieber nach vorne, aber eben in einem Rahmen, den wir in dieser Form auch beibehalten wollen.