Hamburg. Verfasser einer Broschüre klagen an: So verschwand das industrielle Erbe des Bahnhofs. Alte Bauten bedeutsam für hippe Stadtteile.
Einst hatte die Stadt Altona einen der größten und modernsten Bahnhöfe weit und breit. Hinter dem eindrucksvollen Portal erstreckten sich vier jeweils 160 Meter lange Hallen mit Personen- und Gepäckbahnsteigen. Zwischen 1905 und 1907 entstand eine fünfte Halle für die Vorortbahn – die gesamte Konstruktion überspannte elf Gleise. Dazu gehörte auch ein riesiger Ringlokschuppen mit Doppeldrehscheibe und 57 sogenannten Ständen, die wie große Garagen für die Loks angelegt waren. Diese Anlage aus dem Jahre 1928 war deutschlandweit einmalig – genützt hat ihr das nichts.
Denn von alldem ist nicht viel übrig geblieben, wie die neue Broschüre „Letzte Zeugen der Eisenbahngeschichte in Altona“ aus der Reihe der Hamburger Bauhefte (Nummer 33) deutlich macht. Die Autoren Anne Frühauf, Helmut Krumm und Gerd Riehm zeigen, dass auf dem Gebiet der heutigen Neuen Mitte Altona und in der unmittelbaren Umgebung nach langer Bautätigkeit mit vielen Abrissen (die von der Öffentlichkeit kaum registriert wurden), im Wesentlichen nur noch drei historische Landmarken stehen blieben: die Güterschuppen, die Kleiderkasse und der Wasserturm.
Zeitzeugenberichte dokumentieren Bedeutung des Bahnhofs
„Sie setzen einen Kontrapunkt“, schreibt das Trio, „gegen die Gleichförmigkeit der neu bebauten Mitte Altona“, letztlich seien sie „die einzigen noch erlebbaren Überreste eines wichtigen, in seiner Ausdehnung ehemals stadtbildbestimmenden Verkehrsknotens“. Nur noch vage erinnern sie an die Zeit, als das Areal ein zentraler Arbeitsplatz für viele Menschen war. Heute dokumentieren das Fotos und Zeitzeugenberichte.
Der Bahnhof hatte jahrzehntelang eine herausragende Stellung im nationalen und internationalen Personenverkehr und war darüber hinaus viele Jahrzehnte für die Bürger der Stadtteile Ottensen, Altona-Altstadt und Altona-Nord ein zentraler Treffpunkt – nicht nur für Reisende. „Er war Orientierungspunkt, stiftete so urbane Identität und fungierte als ein Ort der Kommunikation und der Begegnung“, heißt es in dem Bauheft. Vorbei. Dass das schöne, im Krieg weitgehend unbeschädigt gebliebene Hauptgebäude schnöde abgebrochen und Anfang der 1970er-Jahre „mit kalter Rationalität“ (so die Autoren) durch den heutigen „Kaufhaus“-Bahnhof ersetzt wurde, ist weitgehend bekannt.
Rabiater Umgang mit industriellem Erbe
Das Autoren-Trio lenkt die Aufmerksamkeit nun auf die Gesamtfläche, die mit rund 80 Hektar ungefähr halb so groß ist wie die Außenalster. Und dabei wird deutlich: Im Grunde war man hier nicht weniger zimperlich, und vieles, was noch vor wenigen Jahren zu erhalten gewesen wäre, verschwand sang- und klanglos. Das ging schon früh los. So ersetzt beispielsweise der jetzt denkmalgeschützte Wasserturm zwei ansehnliche Vorgänger aus den Jahren 1893 und ’95, die den Krieg beschädigt, aber noch funktionsfähig überstanden hatten.
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Scharf kritisieren Frühauf, Krumm und Riehm den Umgang mit diesem industriellen Erbe, das abgeräumt oder nicht selten bis zur völligen Funktionslosigkeit überplant und umgebaut wurde. Die Deutsche Bahn habe „durch Abriss Verschrottung und Verfall einmalige Anlagen (...) vernichtet“, ist dort beispielsweise zu lesen, und an anderer Stelle heißt es: „(…) es macht sich seit Jahren zunehmend eine von der Politik geförderte Entwicklung breit, die sich wenig um Denkmalschutz schert. Es geht vorrangig um Rendite und um die Vision einer Stadtentwicklung im Interesse von Investoren“. Eine derart grundsätzliche Kritik hat es in der langen Reihe der Bauhefte noch nicht gegeben. Dabei seien stellenweise „Zuspitzungen und Wertungen“ entstanden, schreibt Herausgeber Jörg Schilling ungewöhnlicherweise in der Einleitung, „die nicht vorbehaltlos der Meinung des Herausgebers entsprechen“.
Zurecht weisen die Autoren darauf hin, dass das einst als schmuddelig verrufene Ottensen heute auch deswegen besonders und attraktiv sei, weil „denkmalgeschützte Fabrikbauten wie die Zeisehallen oder der Werkhof durch Proteste und einhergehendes Umdenken in der Stadtplanung erhalten werden konnten“. Nicht nur für das Hauptgebäude des
alten Bahnhofs kommt diese Erkenntnis viel zu spät.