Berlin/Hamburg. SPD macht den Weg frei für die neue GroKo. Olaf Scholz wird aller Voraussicht nach Finanzminister und Vizekanzler. Kritik aus Hamburg.

Nach einer mehr als fünf Monate dauernden Hängepartie steht Deutschland vor einer neuen Großen Koalition – und Hamburg vor der Frage, wer neuer Chef oder neue Chefin im Rathaus wird.

Von den 378.437 SPD-Mitgliedern, die sich an der Befragung über die GroKo­ beteiligt hatten, votierte eine unerwartet deutliche Mehrheit von gut 66 Prozent für ein erneutes Bündnis mit CDU und CSU. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht damit in ihre vierte Amtszeit. An ihrer Seite wird aller Voraussicht nach Hamburgs bisheriger Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) als Finanzminister und Vizekanzler die neue Bundesregierung führen. Allerdings lehnte er es auch gestern im Abendblatt-Interview ab, sich zu seiner Zukunft in Berlin zu äußern. Die Oppositionsparteien in Hamburg mahnten ihn, umgehend Klarheit über seine Zukunft – und seinen möglichen Nachfolger – zu schaffen.

Zeit für die Aufstellung

Bei der Bekanntgabe des Ergebnisses des Mitgliederentscheids sagte Scholz, derzeit auch kommissarischer SPD-Chef, man werde sich wie geplant Zeit für die Aufstellung der Minister­liste nehmen. Die Partei werde je zur Hälfte weibliche und männliche Minister in eine Regierung entsenden. Unter den sechs Ressortchefs würden schon bisher amtierende sein, andere kämen neu hinzu. Namen nannte er nicht. Neben dem Amt des Finanzministers kann die SPD unter anderem das wichtige Außenministerium und das Ressort Arbeit/Soziales besetzen.

Mit Spannung wird erwartet, wer das Außenamt bekommt: Amtsinhaber und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel wird ein zerrüttetes Verhältnis zu Scholz und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles nachgesagt. Scholz sagte, die Partei sei mit den zurückliegenden Diskussionen weiter zusammengewachsen. Die Zustimmung von rund zwei Dritteln der Mitglieder gebe Kraft für den anstehenden Prozess der Erneuerung.

Kritische Begleitung von Regierung und SPD

Juso-Chef Kevin Kühnert, der die NoGroKo-Kampagne gegen eine Neuauflage der Großen Koalition angeführt hatte, kündigte eine kritische Begleitung von Regierung und SPD an: „Wir werden eine grundlegende Erneuerung einfordern, und wir werden dieser Partei auch so lange aufs Dach steigen, bis wir das Gefühl haben, das passiert jetzt in einem ausreichenden Rahmen.“ Er werde sich auch mit neuen Ämtern nicht ruhigstellen lassen.

Merkel, die wahrscheinlich am 14. März wieder zur Kanzlerin gewählt werden soll, zeigte sich erleichtert: „Ich gratuliere der SPD zu diesem klaren Ergebnis und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes.“ CSU-Chef Horst Seehofer, der Innen- und Heimatminister werden soll, sagte, das SPD-Votum sei „eine gute Grundlage für eine stabile Bundesregierung“. Es gebe „jetzt alle Chancen für die weitere Erneuerung Deutschlands und einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt“.

Unmut über das Schweigen von Scholz

In den Hamburger Oppositionsparteien wächst unterdessen der Unmut über das Schweigen von Olaf Scholz zu seiner persönlichen Zukunft. CDU-Fraktionschef André Trepoll sagte: „Ich erwarte von Scholz ohne weitere Zeitverzögerungen Klarheit über seinen Abgang nach Berlin und von der SPD endlich eine Aussage, wer Hamburg stattdessen in Zukunft als Bürgermeister regieren soll.“ Die FDP-Fraktion forderte, die „unwürdige Hängepartie“ zu beenden.

Dass Scholz auch nach dem Ja der SPD-Mitglieder zur GroKo nichts Konkretes zu der Frage, ob er Finanzminister und Vizekanzler werde, gesagt habe, sei an Arroganz den Bürgern Hamburgs gegenüber nicht zu überbieten. Die Grünen gaben sich gelassen, forderten aber eine schnelle Klärung der Scholz-Nachfolge. Die Linken warfen Scholz vor, er hinterlasse einen „demokratie- und sozialpolitischen Scherbenhaufen“. Die AfD sieht in Scholz’ Abgang die Chance auf einen Neuanfang in Hamburg.

Als Favorit für Scholz’ Nachfolge als Bürgermeister gilt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Zu den Personalspekulationen sagte der 43-Jährige, die Hamburger SPD werde zügig und solidarisch beraten, sobald sich durch die Berliner Regierungsbildung ein Entscheidungsbedarf ergebe.