Hamburg. Senat ließ die denkmalgeschützten Häuser an der nördlichen Esplanade abreißen. Heute steht nur noch eines der Wimmel-Häuser.
„Denke Dir, dass über den Fahrweg des Dammtors hinüber, statt des himmelhohen Walles und des engen schmutzigen Weges sich eine lange, 160 Fuß breite Gasse darbietet, mit hohen, schönen Häusern und in der Mitte mit einer vierfachen Baumreihe. Das ist die Esplanade.“ So schwärmte im 19. Jahrhundert ein Zeitzeuge in einem Brief nach Hause.
Schön war die Straße in Hamburg damals wirklich, schließlich hatte Stadtbaumeister Karl Ludwig Wimmel (1786-1845) bei den angrenzenden Häusern, die zwischen 1827 und 1830 errichtet worden waren, an alles gedacht: Höhe, Tiefe und Gesimsprofile waren genau vorgeschrieben; für die Wände musste englischer Zement verwendet werden, für die Dächer glasierte Dachpfannen, und einige Häuser hatten sogar eine „antike“ Tempelfront.
Von der Anmutung her erinnerte die etwa 300 Meter lange und 50 Meter breite Esplanade mit ihren klassizistischen Fassaden nicht zufällig an einen Berliner Prachtboulevard – inklusive der Baumreihen in der Mitte. Ein geflügeltes Wort war damals, nun könne man endlich auch in Hamburg „unter den Linden“ flanieren.
Verschwundene Orte Hamburg: Esplanade überstand den Krieg
Von dieser Bebauung ist auf der Nordseite der Esplanade nicht mehr viel geblieben. Wer das historische Foto der einstigen Prachtstraße im neuen Abendblatt-Buch „Hamburgs verschwundene Orte“ betrachtet und mit der heutigen Ansicht vergleicht, vermutet wahrscheinlich, dass der Straßenzug im Krieg zerstört wurde.
Doch so ist es nicht. Die Häuser hatten die Bombardements überstanden und mussten erst später weichen. Dieses Verschwinden ist von den 40 im Buch beschriebenen Beispielen eines der deprimierendsten.
Wie es dazu kam, berichtet Prof. Hermann Hipp, einer der bekanntesten und renommiertesten Kunsthistoriker Hamburgs. „Den Abriss kann man mit der Zerstörung einer Gutenberg-Bibel vergleichen“, sagt Hipp auch noch viele Jahre später. Obwohl seit Jahren emeritiert, ist Hipp, der rund zehn Jahre lang Mitarbeiter im Denkmalschutzamt war und danach für weitere 16 Jahre an der Universität lehrte und forschte, mit der Angelegenheit noch bestens vertraut. Hier „der Fall“ Esplanade, den man heute wohl ohne Übertreibung als einen Bauskandal bezeichnen kann.
Ein „Grüngürtel“ sollte bis zur Binnenalster geführt werden
Der Anfang vom Ende kam in den frühen 1950er-Jahren, als der damalige Oberbaudirektor Werner Hebebrand (1899-1966) beschloss, einen Grüngürtel von Planten un Blomen über den heutigen Gustav-Mahler-Park bis an die Binnenalster zu führen – „mittels sinnvoller Anordnung von drei schmalen, gut proportionierten Hochhausbaukörpern“.
Die Wimmel-Häuser, im Krieg nur leicht beschädigt, waren 1944 zwar unter Denkmalschutz gestellt worden, standen den „Hochhauskörpern“ aber leider im Weg. Hebebrand, dem Hamburg unter anderem die City Nord verdankt, war ein einflussreicher Mann. Schon nach kurzer Zeit empfahl die Kulturbehörde dem Senat, die Häuser aus der Denkmalliste zu streichen – allerdings nur, wenn der „Eigentümer oder sein Rechtsnachfolger sich verpflichtet, die bisherige ruhige architektonische Geschlossenheit mit modernen Mitteln zu erhalten“.
In dem Buch Großstadt und Denkmalpflege Hamburg 1945-1959 behauptete der für die Häuser zuständige Denkmalpfleger, es sei dem Denkmalamt gar nichts anderes übrig geblieben, als die Lösung der Häuser aus der Denkmalliste zu verfügen. „Das entspricht nicht der Wahrheit“, sagt Prof. Hipp, von 1974 bis 1984 im Denkmalamt. „Die Akten beweisen, dass gerade er den Abriss der Häuser entschieden befürwortete und vorantrieb. Ausgerechnet der Denkmalpfleger hatte sich auf Hebebrands Seite geschlagen, dabei wollte ansonsten in Hamburg so ziemlich jeder die Esplanade behalten.“
Die damals verbreitete Behauptung, die Gebäude seien marode und die Sanierung zu teuer, bezweifelt Hipp ebenfalls: „Die Häuser waren gut erhalten, bei den Kosten wurde nach oben aufgerundet. Heute wäre jedes der zehn Häuser viele Millionen wert.“ Seine abschließende Beurteilung: „Es ist heute beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar, warum die Häuser abgerissen wurden.“
Hamburger Senat: „Es stört in diesem Teil der Stadt.“
Doch die Abbruch-Trupps kamen 1958 und zerstörten die mehr als hundert Jahre alten Kaufmannshäuser. Auch das riesige Embden-Palais mit der einmaligen Tempelfront verschwand. Dort hatte Heinrich Heines Schwester Charlotte einst ihren viel besuchten Salon geführt. 1960 erwischte es dann auch noch das Amsinck-Palais (Esplanade 1a, b und c), wegen seiner exponierten Lage an der Binnenalster „das Haus links inner Ecke“, wegen seines Aussehens „Umgestürzte Kommode“ genannt.
Die Abrissbirne wurde erst bei Nummer 37, knapp vor dem „Phrix-Haus“ an der Ecke Esplanade und Dammtordamm gestoppt. Über das 1907 erbaute Jugendstilgebäude, das einst das Hotel „Esplanade“ beherbergt hatte, heißt es im Bebauungsplan des Senats: „Es stört mit seinem strukturellen Maßstab und seiner Gestaltung den städtebaulichen Zusammenhang in diesem Teil der Stadt.“
Ob das stimmt, kann heute jeder selbst beurteilen – das Haus steht nach wie vor an seinem Platz. Die Phrix AG hatte sich hartnäckig geweigert, dem Abriss zuzustimmen, und die Behauptung des Senates, das Haus entspreche nicht den baupolizeilichen Mindestanforderungen, wurde von der AG gekontert: „Richtig ist nur, dass das Gebäude nicht den Vorschriften für Neubauten entspricht.“
Heute hängt am letzten Wimmel-Haus eine Tafel
Statt drei wurden zunächst nur zwei Hochhauskörper gebaut, und eine 1973 durch das ehemalige „Esplanade“ geschlagene, heute verschwundene Fußgängerbrücke konnte sein Äußeres nicht ruinieren.
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Hermann Hipp verweist auf seinen Aufsatz „Amtliche Erinnerung: Denkmalpflege und Stadtplanung in Hamburg vor und nach dem Zweiten Weltkrieg“. Darin stellt er klar, dass der bedeutende Stadtplaner Gustav Oelsner (1879-1956), nach dem Krieg Referent für Wiederaufbauplanung, „vorbehaltlos“ für den Erhalt der Häuser eingetreten war. Ironie oder Perversion? Inzwischen prangt eine blaue Tafel am einzig erhaltenen Wimmel-Haus – Esplanade 37 – und erinnert an die „symmetrisch angeordneten klassizistischen Gebäude“.