Hamburg. 1943 sank das Karstadt-Kaufhaus von 1928, ein wunderschöner der Art-déco-Bau, in Schutt und Asche. Dabei kamen hunderte Menschen ums Leben.

Die Fotos der vielen Straßenzüge, von denen die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs nichts übrig gelassen haben, müssen jeden Betrachter wehmütig und auch nachdenklich stimmen. Viele davon sind in dem neuen Abendblatt-Buch „Verschwundene Orte“ zu sehen, aber wohl nur bei wenigen ist dieses Gefühl so ausgeprägt wie bei der Hamburger Straße.

Der Bombenangriff in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1943 zerstörte ein sehr großes Areal mit vielen Wohnhäusern. Innerhalb von nur weniger als einer Stunde sank auch ein wunderschöner, aufwendig gestalteter Art-déco-Bau in Schutt und Asche, wie es ihn so außerhalb der City heute nicht mehr gibt: das Karstadt-Kaufhaus.

Verschwundene Orte Hamburg: Das Karstadt-Kaufhaus

Karstadt in der Hamburger Straße in Barmbek-Nord um 1935.
Der schöne, weithin sichtbare Karstadt-Bau an der Hamburger Straße, hier um 1935, stand nur rund 15 Jahre. © www.hamburg-bildarchiv.de | Bildarchiv Hamburg 1860-1955

Nur knapp 15 Jahre hat das imposante Gebäude, Postanschrift Hamburger Straße 101 bis 103 zwischen der Deseniß- und der Rönnhaidstraße (heute: Adolph-Schönfelder-Straße) überdauert. Er wurde errichtet, nachdem das Kaufhaus Heilbuth, das zuvor 24 Jahre auf dem Grundstück gestanden hatte, 1927 abgerissen worden war.

Konkurrent Karstadt war nun am Ruder, und im März 1928 wurde dort das „Warenhaus Rudolph Karstadt“ eröffnet. Der mit Tuffstein verkleidete Eisenbetonbau mit rund 5000 Quadratmeter Grundfläche bot den Kunden so ziemlich alles für den alltäglichen Bedarf und war zudem mit allerlei technischen Finessen ausgestattet: Im Inneren gab es eindrucksvolle Rolltreppenanlagen und sechs Personenaufzüge, dazu, wie historische Aufnahmen zeigen, sehr geschmackvolle und vielfältige Dekorationen.

Die fast 250 Meter lange Straßenfront, unterbrochen von drei Eingängen, bestand aus insgesamt 32 großen Schaufenstern, die über geschickte, laufend wechselnde Dekoration quasi pausenlos Kundschaft aus der sehr dicht besiedelten Gegend anzogen. Dazu trug auch der imposante Turm bei, der die 26 Meter hohe Fassade um zehn Meter überragte.

Einige Jahre nach der Einweihung wurde eine 13 Meter hohe Lichtanlage auf den Turm gesetzt, die den Bau noch sichtbarer machte. Clou war eine riesige Dachterrasse, auf der die Besucher günstig essen und trinken konnten. Täglich spielte nachmittags eine Kapelle zum Fünf-Uhr-Tee.

Karstadt ging in nur einer Nacht unter

Für Kinder war Karstadt besonders in der Vorweihnachtszeit ein Anziehungspunkt. Denn in den beleuchteten Schaufenstern gab es wochenlang Märchenfiguren zu sehen, die mechanisch bewegt wurden. Zeitzeugen berichten, dass es dort – lange vor dem Konsumüberfluss unserer Tage – in der Adventszeit regelrechte Menschenansammlungen gab. „Die Hamburger Straße war damals die Mönckebergstraße von Barmbek“, heißt es dazu in einer Chronik.

Das alles ging in nur einer Nacht unter: Am 30. Juli 1943, kurz nach 1 Uhr morgens, fiel eine erste Sprengbombe in den Lichthof, weitere folgten. Unter und neben dem Kaufhaus befanden sich zwei Luftschutzkeller: ein öffentlicher Luftschutzraum und ein größerer „Personalbunker“. Bereits gegen 2 Uhr stürzte die Fassade auf drei Seiten ein, wobei der Eingang zum öffentlichen Luftschutzkeller verschüttet wurde.

Später konnte rekonstruiert werden, dass danach unterirdisch lagernder Koks durch die Hitze zu glühen begann und der Sauerstoff nach einer Weile für die Eingeschlossenen nicht mehr ausreichte. 370 Menschen erstickten, während die 1200, die in dem Personalbunker Schutz gesucht hatten, am nächsten Tag lebend geborgen werden konnten. Als die Rettungskräfte die Toten fanden, sollen sie wie Schlafende ausgesehen haben.

Jahrelang wurde darüber spekuliert, welche Rolle eine auf dem Dach installierte Flakscheinwerfer-Batterie und ein damit verbundener Strom-Transformator in einer Holzbaracke vor dem Haupteingang bei der verheerenden Bombardierung und dem sich ausbreitenden Feuer gespielt hatten. Die Hintergründe wurden nie geklärt, aber es ist auch müßig, hier Ursachenforschung zu betreiben. Die vielen Toten werden davon auch nicht wieder lebendig.

Heute erinnert ein Denkmal an die Toten

Buchcover Hamburgs verschwundene Orte von Matthias Schmoock.
An 40 verschwundene Orte erinnert das Abendblatt-Buch, erhältlich im Handel, der Abendblatt-Geschäftsstelle und bei abendblatt.de/shop, 19,90 Euro. © Hamburger Abendblatt | Hamburger Abendblatt

Wer sich heute die Betonklötze an der Hamburger Straße anschaut, kann sie nicht mehr mit der Gegend der Vorkriegszeit in Verbindung bringen. An den verheerenden Bombenangriff erinnert ein kleines Denkmal auf dem Mittelstreifen zwischen den von Autokolonnen permanent befahrenen Achsen Oberalten­allee und Hamburger Straße. Dort steht: In der Nacht zum 30. Juli 1943 starben im Luftschutzbunker an der Hamburger Straße bei einem Bombenangriff 370 Menschen. Diese Toten mahnen: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.

Der Text ist inhaltlich „korrekt“. Er richtet den Blick des Lesenden in die Gegenwart und in die Zukunft, was immer gut und richtig ist. Aber er führt die Gedanken auch schnell weg von den Toten, die hier, logischerweise ungefragt, nur noch als eine anonyme Gruppe „Mahnender“ fungieren. Ein warmes, individuelles Gedenken ist das nicht, zumal auch alle Hinweise darauf fehlen, wer diese 370 Menschen überhaupt waren.

Das Drama in der Hamburger Straße ist immer noch präsent

Als das Abendblatt im Jahr 2018 für seine Sonderveröffentlichung „Operation Gomorrha“ Zeitzeugen befragte, zeigte sich, dass das Drama von der Hamburger Straße immer noch präsent ist. Ein alter Herr berichtete, dass die Cousine seiner Großmutter und deren Tochter unmittelbar vor dem furchtbaren Luftangriff überredet worden waren, in dem Bunker Schutz zu suchen, statt wie geplant im Keller ihres Wohnhauses zu bleiben. Tragischerweise trafen sie schließlich die falsche Entscheidung. Wie sich später zeigte, hätten sie in dem Hauskeller wohl überlebt.

Mittlerweile hat sich Karstadt ganz aus der Hamburger Straße zurückgezogen. Damit endete auch diese Geschichte – nach rund 80 Jahren. Ein Gedankenspiel bietet sich an: Wäre das Kaufhaus heute eine moderne Passage hinter einer denkmalgeschützten Fassade? Wie wäre die Dachterrasse zu füllen und was würde dort geboten? Und: Auf welche Weise ließe sich der Autoverkehr heute auf der einst eher schmalen Achse Hamburger Straße und der parallel dazu verlaufenden Oberaltenallee kanalisieren – auch und gerade in unmittelbarer Nähe des Konsumtempels? So reizvoll solche Überlegungen sein mögen – eine Antwort auf diese Fragen wird es nie geben.

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