Der fraktionslose Abgeordnete aus Bergedorf flog jetzt wegen Beleidigung der Kanzlerin aus der Bürgerschaft.

Zugegeben, die Szene ist etwas irritierend. Wahlparty der CDU nach der Bundestagswahl am 22. September 2013: Kanzlerin Angela Merkel ergreift entschlossen eine Deutschland-Fahne, die ihr der damalige Union-Generalsekretär Hermann Gröhe hinhält. Mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck geht Merkel an den Rand der Bühne.

Ob die Kanzlerin die Fahne ablegt, jemandem in die Hand gibt oder wegwirft, ist nicht erkennbar. Jedenfalls kehrt sie ohne Fahne zurück in den Kreis der jubelnden Parteifreunde.

Peter Ulrich Meyer
Der Autor leitet das Ressort Landespolitik des Abendblatts © HA / A.Laible | HA / A.Laible

Die Sequenz auf YouTube ist gerade einmal 17 Sekunden lang. Merkel sagt nichts, und sie hat sich auch später nie zu der Sache mit der Fahne geäußert, sodass also über ihre Motive spekuliert werden kann. Vielleicht wollte sie die Trennung von Staat und Partei in der Demokratie verdeutlichen. Vielleicht war ihr nach einem anstrengenden Wahlkampf einfach nicht nach zu viel Euphorie und Luftsprüngen.

Völlig absurd ist es allerdings, aus dem Video-Clip zu schließen, Merkel habe das Staatssymbol verächtlich machen wollen oder stehe gar Deutschland oder den Deutschen ablehnend gegenüber. Aber genau diese aberwitzige Behauptung hat der fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete Ludwig Flocken am Mittwoch aufgestellt und damit wieder einmal einen Eklat ausgelöst.

Flocken unterstützt AfD-Rechtsaußen Björn Höcke

„Wenn ich mit Ausländern rede, dann sagen die: Wir kennen kein Volk, das sich selbst so hasst wie die Deutschen“, sagte der Arzt in der aktuellen Stunde der Bürgerschaft und fügte dann wie zum Beweis an: „Sie kennen alle die Bilder von Angela Merkel nach ihrem letzten Wahlsieg, wie sie eine Deutschland-Fahne wegwirft und ihr der Ekel ins Gesicht geschrieben ist.“

Im nächsten Augenblick warf Flocken, der zwar aus der AfD-Fraktion ausgeschlossen wurde, aber weiter Mitglied der Partei ist, den Grünen vor, auf eine Deutschland-Fahne uriniert zu haben. Das wiederum geht auf einen Vorfall aus dem Jahr 2008 bei der Grünen Jugend zurück. Die Masche ist klar: Ohne dass Hintergrund oder Zusammenhang erkennbar sind, werden einzelne Bilder genommen, um Politiker wie Merkel oder Parteien wie die Grünen pauschal zu diskreditieren.

Dem Bergedorfer geht es um das Nationale

Flocken geht es um das Nationale, er ist Unterzeichner der Erfurter Resolution aus dem Umfeld Björn Höckes, des AfD-Fraktionschefs im Thüringer Landtag. In der Resolution wird die AfD unter anderem „als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ definiert. Flockens politische Welt ist auf Provokation angelegt. Nationalistische Türken, so Flocken in seiner Rede, seien hierzulande nur deswegen auf dem Vormarsch, weil sich viele Deutsche nicht mehr zu ihrer Nation bekannten. „Bevor Sie sich am Deutschen-Hass der Türken abrackern, kümmern Sie sich um Ihren eigenen Deutschen-Hass“, schleuderte Flocken dem CDU-Fraktionsvorsitzenden An­dré Trepoll entgegen.

Am Mittwoch kassierte der AfD-Mann für seine Tiraden von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) die rote Karte. Er wurde „wegen gröblicher Verletzung der Ordnung des Hauses für den Rest der Sitzung“ ausgeschlossen. Sehr geknickt wirkte der Orthopäde aus Bergedorf danach nicht.

Der Rausschmiss ist auch ein Stück weit Hilflosigkeit

Veits Reaktion offenbart aber auch ein Stück weit Hilflosigkeit. Andere Sanktionen als den Saalverweis kennt die Geschäftsordnung der Bürgerschaft nicht. Das Äußerste ist eine Verbannung für drei Sitzungen.

„Es handelte sich bei den Äußerungen von Herrn Dr. Flocken nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Tagesordnungspunkt. Vielmehr stand die Herabwürdigung anderer bzw. die Provokation im Vordergrund seiner Rede“, sagte Veit im Nachhinein. Flocken sei auch „uneinsichtig“. Man kann auch sagen: Er ist ein Wiederholungstäter.

Rügen im Parlament kassierte der Arzt schon häufiger

Vor einem Monat hatte der Abgeordnete in einer kruden Rede nach den Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und den „Mohammedanern“ gefragt, wie er Muslime abschätzig nennt, und dann gesagt: „Ich weiß, dass es Gemeinsamkeiten in der Pädophilie gibt.“ Das lief trotz heftiger Proteste der Grünen ohne Ordnungsruf durch. Der wurde erst zwei Wochen später in der nächsten Sitzung nachträglich erteilt. Es war nicht die erste Rüge für Flocken.

Die Bürgerschaft tut sich schwer mit dem Provokateur aus der äußersten rechten Ecke. Erst Anfang der Woche war Flocken Thema im Ältestenrat. Jetzt erhielt Veit Unterstützung der anderen Fraktionen für den Rauswurf. Nur die AfD scherte aus.

AfD fordert Redefreiheit ein

Zwar wollten die Parteifreunde den Inhalt von Flockens Rede nicht kommentieren, aber sie forderten Veit auf, den Ausschluss zu begründen. „Der Entzug des Rederechts und der sofortige Verweis aus dem Parlament ist die schärfste gegen einen Abgeordneten zu verhängende Maßnahme“, heißt es in einer Erklärung. „Aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen wird sich die AfD-Fraktion immer für die Redefreiheit eines Abgeordneten einsetzen.“ Noch ist nicht klar, ob Flocken Widerspruch gegen seinen Rauswurf einlegt. In diesem Fall müsste die Bürgerschaft die Sanktion noch einmal per Beschluss bestätigen. Zweifel daran, dass es so kommen würde, bestehen nicht.