Hamburg. Firma mit NS-Vergangenheit soll mit Gedenkort für Verschleppung von Juden, Sinti und Roma in Neubau ziehen. Behörde will schlichten.
Auf den ersten Blick ist es ein Neubauprojekt wie viele andere: Ein Bürogebäude mit rund 20.000 Quadratmeter Fläche entsteht am Lohsepark in der HafenCity. Als Mieter hatte Investor Harm Müller-Spreer, Vorstand der Müller-Spreer AG, bereits im Januar den weltweit agierenden Öl- und Gasproduzenten Wintershall Dea präsentiert.
Das Unternehmen plant den Umzug mit 500 Mitarbeitern von ihrer Zentrale am Überseering in die HafenCity im Sommer 2022. Doch im Erdgeschoss des neuen Firmensitzes soll auf einer rund 800 Quadratmeter großen Fläche das Dokumentationszentrum „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ einziehen, das an die Verschleppung von Juden, Sinti und Roma und andere politische Verfolgte erinnern soll. Deshalb gibt es jetzt erheblichen Widerstand gegen Wintershall Dea als Mieter.
„Das ist eine Firma, die nicht zu uns passt. Kein Gedenkort unter einem Dach mit einem Konzern mit dieser NS-Vergangenheit. In unserer Wahrnehmung ist das kein passender Partner an diesem Ort“, kritisierte Esther Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland und Überlebende der KZ Auschwitz und Ravensbrück.
HafenCity: Esther Bejarano gegen Wintershall Dea
In der Mitteilung des Komitees werden dezidiert die Vorwürfe aufgeführt: „Die Firma Wintershall war in der NS-Zeit nicht nur Teil der aggressiven Aufrüstungs- und Kriegsführungspolitik des Nazi-Regimes, sondern über ihren Vorstandsvorsitzenden Rosterg bereits vor 1933 auch direkter Unterstützer von bekannten NS-Vertretern wie Wilhelm Keppler und Heinrich Himmler (Freundeskreis Keppler/Freundeskreis Himmler).
Die Firma Wintershall profitierte von der ,Arisierung‘, beteiligte sich an der Ausplünderungspolitik der von den Nationalsozialisten okkupierten Länder und beutete Tausende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter/-innen in ihren Werken aus.“
Weiter heißt es in der Erklärung: „Die Firma Wintershall Dea gehört heute zu 67 Prozent der BASF, einem Nachfolgekonzern der IG Farben AG, die das erste firmeneigene KZ Auschwitz-Monowitz errichtete und Zyklon B in die Vernichtungslager lieferte.“ Das Unternehmen selbst stellt sich seiner dunklen Vergangenheit: „Wintershall Dea nimmt die Bedenken, dass das Unternehmen seinen künftigen Sitz in der HafenCity in direkter Nachbarschaft mit dem Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen hat, ernst.
„Heute ist Wintershall Dea ein anderes Unternehmen als damals"
Denn Wintershall Dea ist sich bewusst, dass die NS-Zeit ein schwarzes und schuldbehaftetes Kapitel sowohl von Wintershall als auch der Dea ist. Wir verstehen, wenn es Vorbehalte und Fragen von Opferverbänden gibt“, sagte Sprecher Stefan Leunig dem Abendblatt und betont: „Heute ist Wintershall Dea ein anderes Unternehmen als damals. Wir haben gelernt. Wir, Wintershall Dea, stehen aktiv ein für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.“ Die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Anerkennung der historischen Schuld sei ein weiteres Bekenntnis zu diesen wichtigen Werten.
Leunig: „Historiker in Deutschland haben die Geschichte von Wintershall auf Initiative unseres Unternehmens unabhängig und wissenschaftlich aufgearbeitet und in einem Buch veröffentlicht.“ Und er kündigt an: Die intensive Aufarbeitung der Geschichte der Hamburger Dea werde jetzt, nach der Fusion der Dea mit der Wintershall, folgen. Auch hier setze man auf renommierte unternehmensunabhängige Historiker.
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Dem Abendblatt sagte Bauherr Harm Müller-Spreer: „Die HafenCity GmbH als unser Vertragspartner war darüber informiert, dass wir mit Wintershall Dea einen Mietvertrag für diese Fläche abschließen. Das Unternehmen arbeitet seine Vergangenheit auf und leistet heute einen großen Beitrag für Integration, Toleranz und gegen rechts, hat dafür eine Stiftung gegründet, die mehrfach ausgezeichnet wurde.“ Müller-Spreer betont aber auch: „Ich nehme die Bedenken der Opferverbände sehr ernst.“
Beteiligte sollen miteinander ins Gespräch kommen
Aus der Kulturbehörde, die das Dokumentationszentrum gemeinsam mit der Hamburger Stiftung Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen plant, heißt es: „Die Opferverbände, mit denen seit mehr als 15 Jahren die Planungen zum Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof sehr eng vorangetrieben werden, haben deutlich gemacht, dass sie eine räumliche Nähe des Dokumentationszentrums mit einem historisch belasteten Unternehmen sehr problematisch finden“, sagt Behördensprecher Enno Isermann.
Jetzt sollen alle Beteiligten miteinander ins Gespräch kommen. „Die Behörde für Kultur und Medien und der Eigentümer sind übereingekommen, in dieser Frage die Präsidentin des Hamburger Verfassungsgerichts als Moderatorin und Schlichterin anzurufen. Vorrangiges Ziel ist es, zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen“, sagte Isermann.
Das wünscht sich auch Investor Müller-Spreer. Er sagt: „Ich begrüße es, dass wir nun gemeinsam mit der Stadt, den Opferverbänden und unserem Mieter eine konstruktive Diskussion führen werden, um offene Fragen zu klären und Kritik zu erörtern.“