Hamburg. Razzien gab es unter anderem in Hamburg und Ahrensburg. Ein Hauptverdächtiger ist Lebensgefährte einer ehemaligen Querdenker-Ikone.
Es geht um eine Straftat, die erst mit der Corona-Pandemie genau ausdefiniert wurde: Paragraf 278 des Strafgesetzbuches befasst sich mit dem „Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse“. Das können Impfnachweise sein oder auch Befreiungen von der Maskenpflicht, die aus vorgeblich medizinischen Gründen passieren.
Immer wieder werden auch in Hamburg Fälle bekannt, in denen Menschen Impfpässe fälschen oder andere von der Maskenpflicht befreien, ohne sie jemals gesehen oder gar untersucht zu haben. Erst Anfang des Jahres hatte die Polizei Hamburg eine eigene Sonderkommission („Merkur“) gegründet, die gezielt nach den Tätern fahndet.
Am Dienstag kam es nun im Zuge der Ermittlungen gegen drei Personen zu gleich 22 Durchsuchungen in insgesamt vier Bundesländern – die Wohnungen der Verdächtigen sowie die ihrer „Kunden“. Bei den drei Verdächtigen handelt es sich um einen 29-jährigen Mann, der zwei Anschriften in Hamburg und Baden-Württemberg besitzt, eine 39-Jährige aus Ahrensburg und eine 48-Jährige aus Göppingen in Baden-Württemberg. Sie sollen gewerbsmäßig unechte Gesundheitszeugnisse hergestellt und verkauft haben. Weitere Durchsuchungen fanden in Bayern statt.
22 Durchsuchungen bei Querdenkern und Impfgegnern
Alle drei Hauptverdächtigen wurden in ihren Wohnungen angetroffen. Bei dem 29-Jährigen in Hamburg-Rahlstedt stellte die Polizei insgesamt 42 Blanko-Impfpässe, etwa 2100 Euro Bargeld, mehrere technische Geräte und sein Auto sicher, in dem sich ein „griffbereiter“ Teleskopschlagstock befand. Auch die beiden anscheinend gefälschten Impfpässe des Mannes und seiner Lebensgefährtin Selina F. wurden beschlagnahmt. Sie gilt als Initiatorin der Hamburger Querdenker-Szene, ehe sie im Mai vergangenen Jahres hinschmiss.
Darüber hinaus stellten die Beamten insgesamt in den vier Bundesländern weitere 24 mutmaßlich gefälschte Impfpässe, 24 digitale Impfzertifikate, mehr als 20 Mobiltelefone, mehr als ein Dutzend Rechner und Datenträger sicher. Die Ermittlungen und die Auswertung der Beweismittel dauern an.
Sollten die drei Verdächtigen angeklagt und verurteilt werden, droht ihnen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Sie blieben mangels Haftgründen auf freiem Fuß.
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Verdächtiger ist Lebensgefährte der ehemaligen Querdenker-Ikone Selina F.
Nach Abendblatt-Informationen stammt der entscheidende erste Hinweis, der schließlich zu den Maßnahmen am Dienstag führte, vom Hamburger Verfassungsschutz. So wird einer der Hauptakteure nach Abendblatt-Recherchen dem extremistischen Delegitimierer- und Querdenker-Milieu zugerechnet.
Selina F. war über Verschwörungsvideos in die Szene gekommen. In Hamburg wurde sie eine führende Figur bei „Querdenken 40“, einem Ableger von „Querdenken 711“ aus Stuttgart. Anfang Mai 2021 stieg sie aus und verbreitete eine entsprechende Mitteilung. Damals hatte der Verfassungsschutz damit begonnen, die Szene unter Beobachtung zu stellen. Selina F. hatte damals angekündigt sich anderen Themen wie alternativer Schulbildung widmen zu wollen.