Hamburg. Bundestagsabgeordneter kritisiert Senat und fordert neue Strategie. SPD wirft er schlechten Stil und eigene Versäumnisse vor.
Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries hat gegenseitige Schuldzuweisungen der Parteien beim Kampf gegen die Corona-Pandemie als „politische Unsitte der heutigen Zeit“ kritisiert und der SPD vorgeworfen, dies sei bei ihr „gewiss auch wahlkampfstrategischen Erwägungen geschuldet“. Der 46-Jährige sagte dem Abendblatt, dass die Entscheidung, die EU mit der Impfstoffbeschaffung zu beauftragen, „einvernehmlich zwischen den Koalitionsparteien in der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten getroffen wurde“.
Es sei „kein Ausweis von Anstand und Redlichkeit“, dann „öffentlich mit dem Finger auf Bundesgesundheitsminister Spahn zu zeigen, wenn die gelieferten Impfdosen anfangs wie geplant überschaubar sind“, so de Vries.
„Es hat mich überrascht, dass sich Hamburgs Bürgermeister daran beteiligt hat. Ähnlich war es bei den November- und Dezemberhilfen. Unser Vorschlag war eine schlanke Abwicklung über die Finanzämter ohne aufwendige Antragsverfahren, da alle Daten über die Umsätze ja vorliegen. Das haben Olaf Scholz und das Bundesfinanzministerium abgelehnt. Statt die Wirtschaftshilfen dann wie im Frühjahr 2020 vollständig über die Förderbanken der Länder abzuwickeln, was gut funktionierte, wollten diese eine neue Plattform vom Bund, um Abschlagszahlungen zu ermöglichen.“
CDU-Mann de Vries kritisiert Hamburger Senat
Programmierung und Schaffung von Schnittstellen zu 16 Länderverfahren hätten dann Zeit gekostet und seien „anschließend Minister Altmaier durch Finanzsenator Dressel öffentlich angelastet“ worden. „Jeder kann selbst sein Urteil fällen, ob das guter Stil ist.“ Gegenseitige Schuldzuweisungen schürten den Unmut der Menschen und beschädigten das Vertrauen in staatliche Institutionen.
„Ich würde mir wünschen, dass gemeinsam getroffene Entscheidungen auch gemeinsam vertreten werden“, so de Vries. „Eine Arbeitsteilung, dass sich die Union um die Krisenbewältigung kümmert, während die SPD in Bund und Ländern Wahlkampf macht, werden wir nicht länger hinnehmen.“ Die Länder hätten „wie der Bund genügend Grund, ihr Handeln bei der Bewältigung kritisch zu hinterfragen“. Er frage sich etwa, wieso Hamburg zwar Testzentren einführe, „sich aber nicht für die Beschaffung der Tests verantwortlich fühlt“.
Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick
- Corona in Hamburg – die aktuelle Lage
- Die Corona-Lage für ganz Deutschland im Newsblog
- Interaktive Corona-Karte – von China bis Hamburg
- Überblick zum Fortschritt der Impfungen in Deutschland
- Interaktiver Klinik-Monitor: Wo noch Intensivbetten frei sind
- Abonnieren Sie hier kostenlos den täglichen Corona-Newsletter
- So wird in Deutschland gegen Corona geimpft
Viele Menschen fragten sich auch, „warum der Senat im letzten Jahr nicht dafür gesorgt hat, dass Personal, Besucher und Bewohner der Pflegeeinrichtungen verpflichtend regelmäßig getestet werden, obwohl längst bekannt war, dass das Coronavirus gerade für diese Gruppe besonders lebensbedrohlich ist“, so de Vries.
Defizite in der Schulpolitik
"Besonders frappierend sind auch die Defizite in der Schulpolitik. Hier hat Senator Rabe lange Zeit auf Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und getrennte Lerngruppen verzichtet, obwohl die Infektionszahlen stiegen. Begründet wurde dies mit der unbelegten Behauptung, die Schulen seien keine Infektionstreiber, während anderslautende wissenschaftliche Erkenntnisse unter dem Deckel gehalten wurden.“
Trotz aller Probleme glaube er, „dass wir Ende Mai mit der zunehmenden Immunisierung der älteren und besonders gefährdeten Menschen und dem Ende der klassischen Virensaison das Schlimmste überstanden haben“, sagte de Vries. „Für das zweite Quartal werden nach gegenwärtigem Stand rund 77 Millionen Impfdosen geliefert.“ Nun brauche man „eine kluge Strategie für die nächsten zwei, drei Monate“.
Er glaube, „dass Deutschland eine erneute Verschärfung des Lockdowns gesellschaftlich, mental und wirtschaftlich nicht mehr verkraftet“, so de Vries. „Nach einem Jahr Pandemie sollten Kanzlerin und Ministerpräsidenten am 22. März trotz steigender Infektionszahlen bessere Lösungen finden, als die Notbremse zu ziehen.“
de Vries will Gastronomie für frisch Getestete öffnen
Er wünsche sich „einen Strategiewechsel weg von der alleinigen Fixierung auf Inzidenzwerte hin zu einer risikobasierten Handlungsstrategie, die insbesondere die Auslastung der intensivmedizinischen Kapazitäten zum Maßstab nimmt“. Man könne etwa Einzelhandel, Gastronomie, Hotels sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen „weitreichend mit Hygiene- und Schutzkonzepten für diejenigen öffnen, die einen tagesaktuellen Schnell- oder PCR-Test oder eine Impfung vorweisen können“.
Lesen Sie hier den aktuellen Corona-Newsblog für Hamburg und den Norden
Das führe dazu, dass Menschen sich auch auf eigene Kosten testen lassen würden. Damit könnten Infektionen verstärkt erkannt und Infektionsketten früher unterbrochen werden als bislang. Es müssten „vernünftige Lösungen gefunden werden, die den Praxistest bestehen und von Bürgern akzeptiert werden“, so de Vries. „Die Lasten der Pandemie-Bewältigung sollten nicht länger vier, fünf Branchen allein aufgebürdet werden.“