Hamburg. Pilot Alexander Geib erzählt über seinen Weg ins Cockpit, Corona – und Anflüge auf Hamburg. Warum ihm warm ums Herz wird.

„Herzlich willkommen an Bord unseres Fluges ...“ Welcher Reisende kennt sie nicht, die freundliche Begrüßung aus dem Cockpit? Aber wer kennt den Menschen, der der vorne sitzt? Das Abendblatt hat – passend zur Urlaubszeit und zum Neustart des Flugbetriebes – mit einem Hamburger Piloten gesprochen. Alexander Geib ist Stationspilot von Eurowings in Hamburg. Er spricht darüber, wie er uns sein Team durch den Corona-Stillstand gekommen sind, wie er eher zufällig Pilot wurde und wie es ist, im Cockpit Hamburg anzufliegen. Das ganze Gespräch können Sie im Podcast „Check-in“ oder in der Abendblatt-Podcast-App hören

Hamburger Abendblatt: Pilot, das ist der Kindheitstraum vieler. War das auch Ihrer?

Alexander Geib: Nein, bei mir war nicht ganz so… Ich habe mich von früh auf zwar auch schon für Fliegerei interessiert und für die Technik alles was dahintersteht, aber ich hatte nie die Ambition, Pilot zu werden. Das war bei mir mehr eine spontane Entscheidung. Nach dem Abitur war ich ein bisschen orientierungslos. Ich hatte ja eigentlich einen breitgefächerten Wissensdurst. Mich haben sehr viele Themenfelder interessiert und habe dann erst einmal das Jahr Zivildienst in Anspruch genommen, um mich da ein bisschen weiter zu orientieren, in welche Richtung es gehen sollte. Den Zivildienst habe ich zum Teil am Frankfurter Flughafen abgeleistet.

Zivildienst am Flughafen?

Geib: Ich war in einem Flüchtlingslager tätig, und da gab es eine Art Ankunftsstation am Flughafen für Einreisende.

Da sind sie auch den Flugzeugen schon mal nähergekommen.

Geib: Da war ich auf jeden Fall den Flugzeugen schon mal näher. Aber das war immer noch nicht ausschlaggebend, warum ich dann Pilot geworden bin. Ich habe irgendwann angefangen mich mit dem Beruf zu beschäftigen. Und da wurde mir klar, dass das was für mich sein könnte. Weil viel davon abgedeckt wird, was mich interessierte: Sei es Meteorologie, Psychologie, Medizin, Technik oder Physik. Das kam mir sehr attraktiv vor. Also habe ich mich beworben. Was Flugzeuge angeht war ich zu der Zeit nicht sehr bewandert. Ich konnte nicht mal eine Boeing vom Airbus unterscheiden. Doch ich wurde genommen. Meine Ausbildung habe ich 2001 begonnen. Also bin ich direkt mit der ersten großen Krise in die Luftfahrt geschlittert …

Und dann?

Geib: Habe ich in Bremen studiert. Vier, fünf Jahre brauchte die Branche, um sich zu erholen. Und da war ich dann fertig dann fertig mit Ausbildung und Studium.

Und was haben Sie in Bremen studiert? Man studiert ja nicht Pilot.

Geib: Nein, das nicht. Das war so eine Kombination: Luftfahrt, Systemtechnik und Management. 2006 habe ich dann bei Eurowings begonnen.

Haben Sie direkt auf der A320-Familie angefangen?

Geib: Nein, begonnen habe ich auf der BAe 146. Es war wohl die letzte Möglichkeit nochmal ein älteres Flugzeug zu fliegen. Es wird auch ganz Jumbolino genannt. Das ist ein Hochdecker mit vier Triebwerken. Das war spannend, auf so einem Flugzeug anzufangen. Das war ein gutes Schul-Flugzeug. Auch von der Arbeitsbelastung war das etwas ganz anderes als heute. Heute wird man durch Systeme sehr gut entlastet. Das Fliegen im Jumbolino war noch wie früher. Absolute Handarbeit. Wir haben ständig überall geschaltet und was errechnet und was neu eingestellt. Und ja, das hat uns auch mal richtig gefordert.

Was sind Ihre liebsten Flüge?

Geib: Ich mag die Kurzstrecke sehr. Also am besten alles, was im Radius von einer Stunde liegt. Da hat man ein bisschen was zu tun. Das Spannende beim Fliegen sind Start und Landung – nicht der lange Flug. Da ist man eher mit System-Überwachung beschäftigt. Die wirkliche Arbeit ist halt Starten und Landen. Und das hat man auf kurzen Flügen auch bis zu viermal am Tag. Das macht Spaß.

Was machen Sie lieber? Starten oder landen?

Geib: Landen! Das Runterkommen ist eigentlich immer schwieriger als das Hochkommen. Man sagt ja auch nicht umsonst, dass jede Landung anders ist. Es ist also niemals gleich. Die Gegebenheiten sind immer ein bisschen anders. Und ja, das macht ja dann auch die Herausforderungen aus. Deswegen ist das Landen viel spannender als das Starten.

Gibt’s bei den Flughäfen große Unterschiede?

Geib: Da gibt es definitiv große Unterschiede. Einer meiner absoluten Favoriten ist London City. Er liegt ja wirklich …

… direkt an der Themse.

Geib: Richtig. Und er liegt mitten in der Stadt, hat eine sehr kurze Bahn mit einem ex­trem steilen Anflug. Die hohen Gebäude rundum sorgen für Verwirbelungen. Also das ist jedes Mal eine anspruchsvolle Landung gewesen. Und natürlich liebe ich auch den Anflug, den Ausblick auf London. Das ist Postkarten-Niveau.

Postkarten-Niveau ist ein gutes Stichwort: Das gibt’s ja auch, wenn sie zurückkommen, noch nach Hamburg. Hafen, Alster, Elbphilharmonie … Was empfinden Sie, wenn Sie da zur Landung ansetzen?

Geib: Sie haben das Abendrot noch vergessen. Ja, natürlich, das hebt die Stimmung gleich an, gerade wenn man Hamburg anfliegt. Wenn man dann runter schaut, links wie rechts, dann ist das echt wunderbar. Da wird es einem schon manchmal – das klingt jetzt romantisch – ein bisschen warm ums Herz. Ja, das ist dann einfach ein schönes Gefühl und das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Sie sind Stationspilot der Eurowings in Hamburg. Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung?

Geib: Das ist eine Zusatzaufgabe eines Piloten. Ich bin praktisch an der Station für die Piloten verantwortlich. Ich bezeichne mich ganz gerne selbst als Schäfer der Station. Und meine Herde sind in jedem Fall dann die Piloten, die in Hamburg stationiert sind. Ich kümmere mich um deren Belange. Darüber hinaus bin an unterschiedlichsten Projekten des Flughafens oder der Airline beteiligt.

Kommen Sie noch zum Fliegen?

Geib: Ja, das Fliegen kommt aber in letzter Zeit eindeutig zu kurz. Ich sitze jetzt locker sechs bis acht Tage im Monat im Büro. Und was nebenher an Arbeit noch anfällt, das rechne ich jetzt gar nicht mit.

Was sind das für Projekte?

Geib: Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Ich bin mit den Stationspiloten von anderen Airlines im Runaway-Safety-
Team tätig. Bei der Vorfeld-Sanierung wurden neue Roll-Linien aufgezeichnet. Da wurden wir als Piloten beteiligt, um schon bei der Planung eventuelle Sicherheitsrisiken zu identifizieren und zu beseitigen.

Also auf dem Vorfeld wurden neue Verkehrswege für die Flugzeuge geschaffen?

Geib: Ja genau. Da sind ja schon immer diese gelben Linien. Jetzt gibt’s noch eine blaue und eine orange Linie. Das sind auf zusätzliche Linien, damit die Flugzeuge parallel rollen können, um mehr Verkehr auf dem Vorfeld bewältigen zu können.

Und hat die Planung gepasst?

Geib: Wir haben das meiste für gut befunden. Es gab ein paar Kleinigkeiten, die aus der Perspektive der Praxis geändert werden mussten. Da ging es zum Beispiel darum, den Wechsel von einer Linie zur anderen zu erleichtern, oder von einer Linie in die Parkposition einzufahren. Da haben wir klare Zeichen vorgeschlagen, damit das einfacher zu identifizieren ist.

Sie haben gesagt, Sie sind der Schäfer der Piloten in Hamburg. Wie groß ist Ihre Herde?

Geib: Aktuell 110 Piloten und Pilotinnen.

Wie groß ist der Anteil der Pilotinnen?

Geib: Bei uns schon um die 15 bis 20 Prozent.

Der Anteil hat sich wahrscheinlich in den vergangenen Jahren deutlich entwickelt.

Geib: Ja, deutlich. Der Beruf ist für beide Geschlechter sehr attraktiv und die Luftfahrt ist auch sehr offen. Pilotinnen sind gern gesehen bei uns im Cockpit.

Wie viele Flugzeuge hat Eurowings in Hamburg stationiert?

Geib: Momentan haben wir 11 aktiv. Langfristig wollen wir wieder auf die Vor-Corona-Stärke von 15 Flugzeugen wachsen.

Stichwort Corona. Wie war das für Sie und Ihr Team im vergangenen Jahr? Piloten müssen ja fliegen, um die Lizenz zu erhalten.

Geib: Also Corona war ein Megaimpact – auf das ganze Fluggeschehen. Wenn es keine Passagiere gibt, dann gibt’s auch nicht viel zu fliegen. Teils hatte man gar keinen Flug im Monat, manchmal hatte man noch ein oder höchstens zwei. Manche Piloten sind zum Teil drei Monate lang nicht geflogen. Aber die Airline hat weiter in uns investiert und auch dafür gesorgt, dass Trainings im Simulator stattfinden. Die Lizenzen wurden erhalten, weil man natürlich fest davon ausging, dass Corona irgendwann vorbei ist – und wir dann ja wieder starten wollen.

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Wie lange darf ein Pilot nicht fliegen, bevor er seine Lizenz verliert?

Geib: Es gibt einen Jahrescheck. Einmal im Jahr muss das sogenannte  Type-Rating verlängert werden. Der Pilot erwirbt für jedes Flugzeug eine Berechtigung und die muss jedes Jahr erneuert werden. Bei Eurowings gibt einen Check mehr. Das ist der Halbjahres-Check. So muss man zweimal im Jahr in den Simulator.

Wenn Sie mit ein paar Sätzen mit einem verbreiteten Irrtum über die Fliegerei aufräumen könnten – was würden Sie sagen?

Geib: Dann würde ich eine Lanze für die Co-Piloten brechen. Denn das wird oft missverstanden, er ist nicht einfach nur der Beisitzer im Cockpit. Er ist ein vollwertiger Pilot, genau wie der Kapitän. Aber man teilt sich da vorne die Arbeit. Beide sind gleich ausgebildet und wechseln sich mit dem Fliegen ab. Auf einer Strecke fliegt der Copilot, auf der anderen der Kapitän und die Arbeit, die vorher der Copilot gemacht hat, macht dann der Kapitän. Und wenn ich noch eine weitere Lanze brechen darf: dann für das Kabinenpersonal. Die Kabine, wie wir sagen, ist nicht nur für den Tomatensaft da, sondern hauptsächlich für die Sicherheit an Bord zuständig. Das Wohl der Passagiere, der Service, ist eigentlich nur Beiwerk. Die Hauptaufgabe, die bleibt immer ein bisschen im Dunkeln.

Wohin fliegen Sie als nächstes?

Geib: Im Cockpit geht’s als nächstes nach Varna in Bulgarien. Das sind etwa zweieinhalb Stunden Flugzeit.

Eine Kurzstrecke, ganz in ihrem Sinne.

Geib: Das ist noch so die Grenze.

Der Podcast: „Check-in“, der Podcast über den Hamburger Flughafen und das Fliegen. Berndt Röttger, spricht mit interessanten Menschen, die uns abheben lassen. Alle 14 Tage neu.