Hamburg. Übersee-Club-Rede: Bundeskanzler attackiert russischen Präsidenten hart und beschwört die Entschlossenheit der Demokratien.
Viel mehr Tradition geht in der traditionsreichen Hansestadt nicht: Der honorige Übersee-Club begeht sein 100. Jubiläum mit einem Großen Übersee-Tag im ehrwürdigen Großen Festsaal des Rathauses. Viele Male hat Olaf Scholz in seiner Zeit als Erster Bürgermeister hier Gäste begrüßt. Jetzt ist der sozialdemokratische Bundeskanzler an seinen alten Arbeitsplatz zurückgekehrt und als Festredner des Übersee-Clubs selbst Gast.
Olaf Scholz im Übersee-Club: Putin wird diesen Krieg nicht gewinnen
Scholz lobt den Übersee-Club als „eine einzigartige Hamburger Institution“, ohne die Hamburg eine andere Stadt wäre und die „ein sehr bedeutender Faktor für den besonderen Erfolg dieser Stadt“ sei – „als Hamburger darf ich sagen: unserer Stadt“, fügt Scholz hinzu. Soviel Patriotismus muss sein.
Doch der Kanzler ist schnell und ziemlich schnörkellos bei dem alles andere verdrängenden Thema: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und Scholz findet sehr deutliche Worte in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, deutlichere als zu Beginn des Krieges. „Russlands grausamer Angriffs- und Vernichtungskrieg mitten in Europa markiert einen radikalen Bruch mit der europäischen Friedensordnung nach dem Ende des Kalten Krieges“, sagt Scholz am Freitagvormittag vor gut 500 Club-Mitgliedern und Gästen.
„Mit jedem Tag, mit jeder Woche wird deutlicher: Putin und sein Regime vollziehen auch in zivilisatorischer Hinsicht einen Bruch – einen mutwilligen Ausstieg aus der Weltgemeinschaft, wie ihn nur wenige im 21. Jahrhundert für möglich gehalten haben“.
Olaf Scholz hält Rede in Hamburg
Die Welt werde nach der russischen Aggression („die größte Katastrophe unserer Zeit“) nicht mehr dieselbe sein. „Sie ist es schon jetzt nicht mehr“, fügt Scholz hinzu. In diesem Moment ist es besonders still im Großen Festsaal. Die Bilanz des Kanzlers fällt schonungslos aus: Die Hoffnung, nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes würde „Annäherung durch Verflechtung“ oder „Wandel durch Handel“ Kriege unmöglich machen, habe getrogen.
Ähnliche Motive der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, daran erinnert der Kanzler, hätten unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges 1922 zur Gründung des Übersee-Clubs geführt.
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„Jede rationale Kosten-Nutzen-Logik läuft auf Grund, wo irrationale Akteure aus ideologischer Verblendung die Idee der Kooperation in den Wind schlagen“, sagt Scholz. „Putins Hass auf die freiheitliche Ukraine ist größer als sein Interesse an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung seines eigenen Landes.“ Putins Aggression und seine „imperialistische und revanchistische Ideologie von russischer Macht und Größe“ richteten sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch „gegen jede ökonomische Vernunft“.
Scholz: Putin darf den Krieg nicht gewinnen
Putin habe eine „radikal neue Wirklichkeit geschaffen“, in der die demokratischen und freiheitlichen Staaten handlungsfähig bleiben müssten. „Kommt Putin damit durch, dann droht internationale Regellosigkeit. Schon allein deshalb darf Russland nicht die Oberhand behalten“, sagt Scholz. Deswegen leiste Deutschland umfassende finanzielle und humanitäre Unterstützung für die Ukraine. Der Kanzler lobt ausdrücklich den „Pakt für Solidarität und Zukunft“ für akute Hilfe und Wiederaufbau zwischen Hamburg und Kiew, den Bürgermeister Peter Tschentscher und sein Amtskollege Vitali Klitschko vereinbart haben.
Aber Deutschland liefere auch „in großem Umfang der Ukraine die Waffen, die sie benötigt, um sich wirksam zu verteidigen“, sagt Scholz, ohne dabei ins Detail zu gehen. „Indem wir der Ukraine helfen, ihre Demokratie und ihre Freiheit zu verteidigen, verteidigen wir zugleich unsere Demokratie und unsere Freiheit.“ Für Scholz ist klar: „Putin darf diesen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewinnen – und er wird diesen Krieg auch nicht gewinnen.“ Da brandet starker Beifall im Großen Festsaal auf.
Kanzler warnt davor, die Globalisierung zurückzudrehen
Fast beschwörend warnt der Kanzler davor, die Globalisierung zurückzudrehen. Zwar führe der Krieg weltweit zu steigenden Preisen für Energie und Nahrungsmittel. Deswegen sei es wichtig, strategische Abhängigkeiten etwa von Gas, Öl oder Kohle zu reduzieren. „Aber andererseits müssen wir aufpassen, dass der Ruf nach Deglobalisierung nicht zur Abkoppelung, zu neuer Abschottung, zu neuen Zollschranken und neuem Protektionismus führt“, sagte Scholz und erntete kräftigen Beifall des wirtschaftsnahen Publikums. Es gehe jetzt um „eine kluge, nachhaltige und solidarische Globalisierung“, die allen zugute komme.
„Die Zeiten mögen schwierig sein, die Konflikte enorm. Aber zugleich hat dieser Krieg eine völlig neue Entschlossenheit und Einigkeit der westlichen Demokratien hervorgebracht“, sagt der Kanzler. Wenn die Staaten Entschlossenheit und Einigkeit bewahrten, sei vieles möglich, was vor Kurzem unmöglich erschien. „Und dann liegen unsere besten Jahre immer noch vor uns“, sagt Scholz, der diesen Satz 2013 an den Anfang seiner ersten Rede als Bürgermeister vor dem Übersee-Club gestellt hatte.