Hamburg. Warum Gino Leineweber seinen Steuerberaterberuf an den Nagel hängte und sich seinen Traum erfüllte.
Es ist ein Vorfrühlingstag vom Feinsten. Wie geschaffen für Poeten. Gino Leineweber studiert den hinreißenden Wolkenflug über Teufelsbrück, beobachtet den steten Fluss der Elbe, legt am Ufer eine kurze Rast ein. Die knorrigen Baumstämme dort sind wie geschaffen für einen Moment der Muße. Ob ihrer ungewöhnlichen, anregend bizarren Form passen die Robinien prima zum Leben des Schriftstellers und Dichters: Gino Leineweber ist ein Lebenskünstler erster Klasse, ein Paradiesvogel der besonderen Güte.
Er setzte in die Tat um, wovon andere nur reden und träumen: Mit Anfang 50 quittierte er seinen Alltagsberuf und widmete sich fortan lustvoll schönen Dingen, die mehr Spaß machen: Reisen, Kurzgeschichten schreiben, dichten. Mit der Metamorphose vom Steuerberater zum Schriftsteller ging eine Namensänderung einher: aus dem schlichten Gerd wurde ein kunstvolleres Gino, offiziell so im Reisepass verankert.
Der Erlös aus dem Firmenverkauf reichte für den Lebenswandel
Der Erlös aus dem Firmenverkauf reichte für einen Lebenswandel abseits der Norm. 23 Jahre ist das jetzt her. „Bereut habe ich diese Entscheidung nicht einen Tag“, sagt der 76-jährige Leineweber. Die Zwischenschritte hätten ihn vorangebracht auf dem Weg zum Ziel eines Daseins nach seinem Gusto. Meilensteine waren gut ein Dutzend Jahre als Vorsitzender der Hamburger Autorenvereinigung, fünf Jahre als Redakteur der Buddhistischen Monatsblätter sowie Aktivitäten in internationalen Literatur- und Übersetzerverbänden.
Vor Corona reiste Leineweber mehr als die Hälfte des Jahres durch die Welt. Eines der favorisierten Ziele ist das Leelanau County in Michigan (USA). Sein Freund Hank, ein Indianer, richtete dem Hamburger Gino in seinem Landhaus ein Zimmer als Refugium ein – kostenlos und auf Lebenszeit.
Zwölf Bücher hat er bislang veröffentlicht
Bisher veröffentlichte er zwölf Bücher. Mit einer solchen Entwicklung war früher nicht zu rechnen. Gerd wuchs in Lurup auf. Weil seine Eltern den Lebensmittelladen der Großeltern übernahmen, zog die Familie nach Hamm-Süd. Als der Sohn als Berufswunsch Schriftsteller angab, antwortete Vater Heinz: „Mach erstmal was Vernünftiges.“ Kurzgeschichten verfasste er schon damals – auf einer Schreibmaschine, einem Weihnachtsgeschenk.
Der Schulzeit folgten eine Ausbildung, Praktika, Abendschule, 1972 das Steuerberaterexamen. Vier Jahre später macht sich Gerd Leinweber mit einem Büro am Eppendorfer Marktplatz selbstständig. „Die Geschäfte liefen gut“, erinnert sich der Kaufmannssohn.
Besuche auf Fuerteventura als Gunst des Schicksals
„Wir hatten alle Hände voll zu tun.“ Der Betrieb wuchs. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Emmerich Kretzenbacher beschäftigte Gerd Leineweber in den neuen Kontoren an der Johnsallee zwei weitere Steuerberater und bis zu 27 Mitarbeiter. In seinem Hinterkopf indes keimte der alte Traum: „Wenn ich 50 Jahre alt bin, höre ich mit der Berufstätigkeit auf und werde Schriftsteller.“ Mit leichter Verzögerung klappte es. 1998, im Alter von 54 Jahren, sagte Leineweber seinem bisherigen Leben tschüs. „Alle erklärten mich für verrückt“, berichtet er.
Rückblickend erwiesen sich die regelmäßigen Besuche auf Fuerteventura schon vor dem Firmenverkauf als Gunst des Schicksals. Während dieser sonnigen Winterwochen im Süden flirtete Leineweber mit der Literatur: „Es war wie ein Flash.“ Er las viel, mit Vorliebe Philosophen wie Schopenhauer und Nietzsche, recherchierte in Fachbüchern, informierte sich über Stilkunde, versuchte sich an einem Roman. Ende des vergangenen Jahrtausends veröffentlichte er Kurzgeschichten im Selbstverlag.
Begegnung mit dem Bankräuber Burkhard Driest
Vor allem lernte er im Ferienclub auf der Kanareninsel den früheren Jurastudenten und Bankräuber Burkhard Driest kennen. Dieser betätigte sich nach seiner Haftzeit als Autor, Drehbuchschreiber und Schauspieler. Leineweber und Driest freundeten sich an, entwarfen gemeinsam vier Exposés für Krimis, hatten eine Menge Spaß. Sie fanden den Weg zu Buddha. Letztlich indes ging der Steuerberater a. D. aus Hamburg literarisch seinen eigenen Weg.
Seine erste Biografie schilderte das Leben des spanischen Peru-Eroberers Francisco Pizarro. Südamerika hatte Leineweber während einer Fußballreise mit Freunden schätzen gelernt. Es folgten ein Buch über den buddhistischen Mönch Bhante Rahula aus den USA, diverse Prosa im Verlag LangenMüller, Kurzgeschichten sowie Lyrik. Mehrere Übersetzungen aus dem (amerikanischen) Englisch wie zum Beispiel eine Novelle Mark Twains runden das umfangreiche Arbeitspensum ab.
Kleines Apartment in Wandsbek
Seinen früheren Spitznamen Gino legte sich Leineweber Anfang der 2000er-Jahre als offiziellen Künstlernamen zu. Aus einer mittlerweile geschiedenen Ehe stammt ein Sohn, der aktuell als Arzt in Henstedt-Ulzburg arbeitet. Wegen der vielen, teilweise langen Reisen nach Pakistan, in die USA, in die Türkei, nach Italien, Griechenland und Litauen gab er seine große Altbauwohnung an der Hartungstraße auf und zog in ein kleineres Apartment nach Wandsbek. Bis Corona abenteuerliche Pläne mit Exkursionen in alle Welt durchkreuzte.
Freunde werten den Autoren als Paradiesvogel und Genießer. Er sei Freigeist, lebt nach seiner individuellen Façon, ist jedoch alles andere als ein Spinner. Weggefährten wie der Kunstmaler und frühere Fußball-Nationaltorwart Rudi Kargus beschreiben Gino Leineweber als unterhaltsamen und originellen, indes verlässlichen und bodenständigen Charakter.
Mitglied der CDU
Es passt ins Bild, dass Leineweber seit mehr als einem halben Jahrhundert Mitglied der CDU ist und mehr als 30 Jahre der Hamburger Finanzdeputation und 24 Jahre der Kulturdeputation angehörte. Nach wie vor ist er als Ehrenvorsitzender der Hamburger Autorenvereinigung, als Jurymitglied des Hannelore-Greve-Literaturpreises und als Vorsitzender des Fördervereins Buch e. V. im Einsatz. Für seine Lyrik erhielt er internationale Preise.
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„Das Leben ist herrlich bunt und aufregend“, sinniert Leineweber bei einem schwarzen Kaffee auf einer Bank im Jenischpark. Ihm gefällt es, quasi zwei Leben in einem zu haben. Den zweiten Teil einer spannenden Geschichte dokumentiert ein kanadischer Tilley-Hut, ausgestattet mit breiter Krempe und Kinnband. Die aktuelle Kopfbedeckung stammt aus Michigan. Darauf gab es lebenslange Garantie. Auch für Gino Leineweber ist diese Sicherheit von Vorteil. Der Mann hat noch eine Menge vor.