Hamburg. 1996 entführte Drach Reemtsma und erpresste 15 Millionen Euro – sein Opfer forderte schon im ersten Prozess Sicherungsverfahren.
Der Verbrecher Thomas Drach sitzt seit Ende Februar wieder in Haft. Wegen dreier Raubüberfälle droht ihm erneut eine lange Strafe. Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma erklärt, warum das Gericht Drach schon 2001 hätte strenger behandeln sollen. Der vor fast 25 Jahren entführte Hamburger Multimillionär und Soziologe Jan Philipp Reemtsma (68) sieht sich durch die erneute Verhaftung seines Peinigers Thomas Drach bestätigt.
Im Prozess um seine Entführung habe er 2001 als Nebenkläger Sicherungsverwahrung für Drach gefordert. Doch nach Verbüßung einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten war der Haupttäter 2013 freigekommen. Am 23. Februar dieses Jahres wurde er in Amsterdam erneut festgenommen. Dem 60-Jährigen werden drei Raubüberfälle zur Last gelegt.
Drach droht Auslieferung nach Deutschland
Es droht ihm die Auslieferung nach Deutschland. Reemtsma war im Frühjahr 1996 nach 33 Tagen Geiselhaft gegen ein Lösegeld von umgerechnet rund 15 Millionen Euro freigelassen worden. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur erinnert er an seine Prognose im damaligen Prozess und spricht über seine heutigen Gefühle, mit denen er das Geschehen verfolgt.
Hamburger Abendblatt: Sie haben mal geschrieben: „Nie tat es mir gut, irgendetwas über die Entführer zu hören oder zu lesen.“ Gilt das noch?
Jan Philipp Reemtsma: In gewissem Sinne gilt das noch. Denn wissen Sie, ich habe mich damals als Nebenkläger vor Gericht mit meinem Anwalt für eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Ich habe gesagt, dass dieser Mensch, wenn er vor Gericht stand, Thomas Drach, in seinem Leben nichts weiter gemacht hat, als kriminelle Handlungen zu begehen. Er weiß gar nicht, wie man anders durchs Leben kommt. Er hat buchstäblich nie etwas anderes getan. Und es war klar, dass das, was er tat, immer gefährlicher für andere Menschen wurde. Seine Idee war, einmal so viel Geld zusammenzubekommen, dass er entweder einen luxuriösen Lebensabend hat oder das als Startkapital verwendet für ein weiteres, noch größeres Verbrechen. Das ist ihm alles misslungen.
Er hat dieses Lösegeld offensichtlich nicht mehr, er muss weitere Verbrechen begehen. Und er wird immer älter und ungeduldiger und gefährlicher. Das hat sich jetzt gezeigt. Aber es ist keine große Befriedigung, in einer solchen Sache Recht behalten zu haben. Ich kann nur mit Schulterzucken sagen: Ja, ich hab's gesagt, so wird es kommen. Genauso ist es gekommen. Jetzt sind da zwei Menschen schwer verletzt, weil er nicht in Sicherungsverwahrung genommen wurde. Die wären sonst unverletzt. Das ist das einzige, was ich dazu sagen kann. Da ist man nicht fröhlich deswegen.
Haben Sie noch Rachegefühle? Sie haben mal geschrieben, dass es dem Opfer gut tut, Rachegefühle zu haben.
Reemtsma: Ja, es tut ihm schlecht, solche Gefühle zu unterdrücken. Aber ich habe auch immer gesagt, dass es keinen Ort gibt für diese Rachegefühle, keinen legitimen Ort. Zudem befriedigt es einen ja nicht - in eigener Sache nicht -, wenn jemand soundso viele Jahre im Gefängnis sitzt, und freut sich darüber. Rachefantasien sind solche von persönlicher Vergeltung, man triumphiert über den anderen. Das sind aber doch alles Fantasiespiele, die haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Menschen sind gut beraten, so etwas in der Wirklichkeit nicht aufsuchen zu wollen. Sie würden enttäuscht. Oder selbst kriminell.
Sie haben geschrieben, dass Sie als Entführungsopfer einmal den Wunsch hatten, Ihr Entführer möge hinter Gittern verrotten. Haben Sie das Gefühl noch?
Reemtsma: Ich habe über einen momentanen Affekt geschrieben. Es ist gut, wenn man solche Affekte nicht verleugnet. Aber das ist auch alles.
Wenn es jetzt zum Prozess kommt - wovon wir im Moment ausgehen können -, hoffen Sie darauf, dass vielleicht auch in Ihrem Fall noch Dinge aufgeklärt werden, die damals offengeblieben sind?
Reemtsma: Da ist eigentlich nichts offengeblieben. Das einzige, was man nicht weiß, was ich nicht weiß: Wo ist das Lösegeld geblieben? Wahrscheinlich haben seine Kumpane ihn teilweise darum betrogen, das ist irgendwo verschleudert worden, versickert, bei Geldwäsche verloren gegangen. Darüber wird man vermutlich nichts herausfinden. Vielleicht doch. Na gut, dann wird man sehen. Aber sonst? Was dieses Verbrechen, das Geschehen angeht, ist nichts unklar.
Ein Mittäter von Thomas Drach ist 2014 in Portugal von einer Klippe gestürzt...
Reemtsma: Gestürzt oder gesprungen oder in den Tod gestürzt worden?
Genau das ist letztendlich nicht geklärt.
Reemtsma: Ja, aber es ist mir wirklich ziemlich egal.
Im zu erwartenden Prozess würde sicherlich auch die Vorgeschichte von Drach erörtert werden. Wenn jemand Sie noch einmal als Zeuge laden wollte, würden Sie das machen?
Reemtsma: Wenn ich in dieser Sache geladen würde, müsste ich kommen.
Und dann würden Sie Ihre Zeugenpflicht gern erfüllen oder würden Sie mit vielen inneren Widerständen da hingehen?
Reemtsma: Ich würde mich sicher nicht darauf freuen, das noch mal zu machen. Das ist eine psychisch anstrengende Angelegenheit, etwas, was einem doch sehr nahe geht, noch mal vor irgendeinem Publikum auszubreiten. Aber was gemacht werden muss, muss gemacht werden.
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Zur Person: Der Literatur- und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma (68) leitete bis 2015 das von ihm gegründete Hamburger Institut für Sozialforschung. Der Mäzen und Erbe des Zigarettenherstellers Philipp F. Reemtsma wurde am 25. März 1996 auf seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese entführt und verbrachte 33 Tage angekettet in einem Kellerverlies bei Bremen. Dann ließen ihn die Entführer gegen Zahlung eines Lösegeldes von umgerechnet 15 Millionen Euro frei. 2001 wurde der Kopf der Entführer, Thomas Drach, wegen erpresserischen Menschenraubs zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.