Hamburg. Im Herbst 2019 erfasste ein Auto den 22-Jährigen in Hamburg. Das Amtsgericht verurteilte den Autofahrer zu einer Geldstrafe.

Paula S. ist weit gereist, um ihre Mission zu erfüllen. Die Engländerin möchte, dass alle ihren Sohn James so kennenlernen, wie sie ihn wahrgenommen hat. Ein junger, freundlicher Mann, der die Welt bereist und die Liebe seines Lebens gefunden hat, talentiert, ein begeisterter Sportler, so schildert sie ihn. Für die Mutter ist der 22-Jährige „ein Superheld“ gewesen. Als er dann Opfer eines Verkehrsunfalls wurde und dabei umkam, „ist die Hälfte von mir mit gestorben“, sagt seine Mutter. „Ich werde niemals wieder dieselbe sein.“ Das Gleiche gelte für James’ Schwester.

Es ist ein hoch emotionaler Moment in diesem Prozess gegen den Mann, der für James’ Tod verantwortlich sein soll. Der Angeklagte Karl-Heinz E. sitzt reglos da in diesem Augenblick. Der 56-Jährige, dem die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vorwirft, hat der Familie des Opfers ausdrücklich sein Mitgefühl ausgesprochen, insbesondere der aus England angereisten Mutter und Schwester. Und der Hamburger hat gesagt: „Es tut mir furchtbar leid, was da passiert ist.“

Prozess: Hamburger kollidierte mit dem jungen Radfahrer

Bis heute befinde er sich wegen des Unglücks in Psychotherapie. Er könne sich nicht wirklich erklären, was an jenem 8. Oktober 2019 an einer Kreuzung bei den St. Pauli Landungsbrücken geschehen ist. Doch er sei nicht deutlich zu schnell unterwegs gewesen, beteuert der Angestellte. „Ich denke, dass ich eventuell Tempo 55 gefahren bin.“

Die Staatsanwaltschaft geht indes von einer deutlich höheren Geschwindigkeit aus. Laut Anklage hatte Karl-Heinz E. seinen Wagen auf mindestens 79 km/h beschleunigt, als er am frühen Morgen bei Dunkelheit und Regen in Richtung der Kreuzung zur Helgoländer Allee unterwegs war. Dort habe der Autofahrer den ihm entgegenkommenden und bei Grünlicht links abbiegenden Fahrradfahrer James S. übersehen und erfasst, so die Anklage weiter.

„Der Autofahrer ist immer der Böse“

Hätte der Autofahrer das geltende Tempolimit eingehalten, wäre es möglich gewesen, die Kollision zu vermeiden, heißt es. Das Opfer erlitt ein Polytrauma, unter anderem schwerste Kopfverletzungen, denen der 22-Jährige wenig später erlag.

Er habe „freien Blick auf die Kreuzung“ gehabt und dort niemanden gesehen, sagt Karl-Heinz E. „Plötzlich hat es geknallt. Ich wusste zuerst nicht, was passiert ist.“ Er habe unter Schock gestanden. Passanten hätten ihn schnell umringt, was ihm zusätzlich zugesetzt habe. „Der Autofahrer ist immer der Böse“, beklagt sich der Hamburger. Er könne sich nicht vorstellen, 79 km/h oder mehr draufgehabt zu haben.

Marihuana im Auto des Hamburgers gefunden

Er sei auf dieser Strecke regelmäßig frühmorgens zur Arbeit unterwegs und fahre vorsichtig, weil ihm schon wiederholt stark alkoholisierte Menschen in die Quere gekommen seien. „Und ich fahre seit 38 Jahren Auto und bin noch nie wegen deutlich überhöhter Geschwindigkeit aufgefallen. Ich bin auch im Bekanntenkreis nicht als Raser bekannt“, meint Karl-Heinz E.

Tatsächlich aber sind zwei Bußgelder vermerkt, als er in der Stadt 22 beziehungsweise 21 Kilometer zu schnell fuhr, in einem Fall noch nach der tödlichen Kollision. Ob er sich dazu äußern wolle, fragt der Anwalt von Paula S. den Angeklagten, dass nach dem Unfall an den Landungsbrücken Marihuana in seinem Auto gefunden wurde? Das sei nicht seins, erklärt Karl-Heinz E. mit Nachdruck. Wem es gehöre, wolle er allerdings nicht erzählen.

Hamburger Autofahrer fuhr mindestens 79 km/h

Laut der Aussage eines Zeugen hat der Radfahrer beim Linksabbiegen die Vorfahrt missachtet. „Ich sah das Auto kommen und habe gehofft, dass der Radfahrer stehen bleibt“, erzählt der 25-Jährige. „Ich habe mich noch weggedreht, weil ich sah, dass es zum Unfall kommt. Dann hat es gekracht.“ Ein technischer Sachverständiger erläutert, anhand der Schäden am Unfallwagen sowie zahlreicher Messungen könne einwandfrei festgestellt werden, dass der Autofahrer mindestens Tempo 79 draufhatte.

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Das Fahrrad von James S. habe sehr wahrscheinlich nicht über ein eigenes Licht verfügt, allerdings sei der junge Mann wegen seiner neonfarbenen Oberbekleidung sowie zahlreicher Reflektoren am Rad gut zu erkennen gewesen, hat der Sachverständige rekonstruiert. Wäre Karl-Heinz E. 48 km/h gefahren, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Und bei Tempo 50 hätte er den Radfahrer zwar touchiert, aber nur am Hinterrad. Wegen des viel geringeren Aufpralls wäre das Opfer nicht durch die Luft geflogen.

Hamburger Richterin spricht von „Tragik des Geschehens“

Auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 60 Euro erkennt die Amtsrichterin schließlich und folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Dem Angeklagten müsse zugute gehalten werden, dass er sein Mitgefühl gegenüber den Angehörigen des Opfers ausgedrückt habe. Außerdem sei zu bedenken, dass James S. ohne Licht fuhr und die Vorfahrt missachtet habe. Allerdings sei Karl-Heinz E. mit seinem Auto „erheblich zu schnell“ gefahren.

„Mehr als 20 Kilometer zu viel, das ist sehr gefährlich“, macht sie deutlich. „Man muss davon ausgehen, dass beide einander nicht gesehen haben, da ist der schreckliche Unfall entstanden.“ Die Richterin spricht von einer „Tragik des Geschehens“, für das man „fast keine gerechte Strafe finden“ könne. In diesem Moment schluchzt Paula S. laut auf. „Eine Strafe“, sagt die Richterin, „wird das Opfer nicht zurückbringen oder das Leben aufwiegen können.“