Hamburg. Vor 150 Jahren gründeten Schiffszimmerer aus Hamburg eine Interessenvertretung, aus der später eine richtige Genossenschaft wurde.

Er peilt täglich die Tanks, pflegt das Ankergeschirr und kontrolliert das Gangspill. Er steht beim Auslaufen auf der Back und beim Festmachen am Tau. Er sichert die Persenning auf Lukendeckeln mit Schalkleisten, pallt Packgut mit Bolzen fest und sichert Stückgut mit Festlegehölzern. Sein Dienstgrad ist Unteroffizier, im Rang ist er dem Bootsmann gleichgestellt, doch seine Berufsbezeichnung lässt die Vielseitigkeit seines Handwerks nur erahnen: Er ist Schiffszimmerer. Seine Zunft ist am Werk, seit Kogge, Karavelle und Kraweel durch Nord- und Ostsee segeln.

Das Industriezeitalter aber fordert ihn nicht nur fachlich heraus: Vor allem in Hamburg machen soziale Probleme den Werktätigen immer stärker zu schaffen. Der Lohn ist knapp, das Leben teuer, die Arbeit reine Ausbeutung und das Wohnen in verdreckten und verseuchten Massenquartieren eine schiere Qual.

Hamburger Schiffszimmerer wehren sich

Wie viele andere Gewerke wehren sich auch die Schiffszimmerer an der Elbe und ihren Nebenflüssen gegen die brutale Knechtung durch die ungezügelte Macht des Kapitals. Ihr Motto heißt „Een alleen stüürt keen Noot, aver to hoop slaat wi den Düvel doot“.

Vor 150 Jahren, am 17. April 1871, gründen sie eine Interessenvertretung. Sie soll zunächst Konflikte zwischen einheimischen und zugezogenen Zimmerern überwinden. Den eigentlichen Zweck legt die Satzung der daraus wachsenden Genossenschaft – sie wird im November 1875 besiegelt – fest: „Die Gründung ist aus Begeisterung erfolgt, um den Schiffszimmererleuten in Deutschland in dem ihnen aufgedrungenen wirtschaftlichen Kampfe in der Not mit außerordentlichen Mitteln zu Hilfe zu eilen.“

Eigene Handwerkerämter in Hamburg

Dafür ist es höchste Zeit: Der Wandel der Wirtschaft zur Industrieproduktion hat jetzt auch im Handwerk das Mittelalter beendet. Im Jahr 1375 gibt es in Hamburg eigene Handwerkerämter etwa für Bäcker, Brauer, Glaser, Maler, Schlachter, Schmiede oder Schneider. Die Kaufleute schließen sich ihrerseits in einen Krameramt zusammen. Gewählte Ämterleute kontrollieren die Einhaltung der strengen Regeln. Dazu kommen Brüderschaften gegen soziale Not.

Historischer Schiffbau mit Holz.
Historischer Schiffbau mit Holz. © picture alliance / IMAGNO/Austrian Archives | Austrian Archives

Mit der Technik entwickelt sich die Tätigkeit: Schon im Mittelalter kümmern sich die Männer mit ihren Hämmern, Sägen und Beilen um weit mehr als nur um Planken und Masten, und sie bleiben auch dann auf der Werft und an Bord, als um 19. Jahrhundert die großen Eisenschiffe kommen. Der Schiffszimmermann musste, um ein Schiff zu überholen, gute Kenntnisse in der Holzverarbeitung haben, aber auch mit Metallen umgehen können.

Schiffszimmerergesellen in den freien Wettbewerb entlassen

1835 wird der Zunftzwang abgeschafft. An seine Stelle tritt eine weitgehende Gewerbefreiheit. Für eine neue Fabrik braucht der Unternehmer jetzt nur noch eine Konzession vom Rat. Das Schiffzimmereramt wird wie viele andere aufgelöst, und die 502 Schiffszimmerergesellen finden sich in den rund 60 Werkstätten ebenso wie ihre Meister in den freien Wettbewerb entlassen.

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Die Folgen sind schnell spürbar: Prompt stellen die Werfteigner immer mehr billige Lehrlinge und immer weniger von den gelernten Fachkräften ein. Erst 1849 schaffen es die Schiffszimmerer, nach langen Streitigkeiten endlich einen Gewerkverein zu gründen, mit dem sie gegen die ständige Lohndrückerei ankämpfen können.

Matthias Wichhorst gründet eigene Werft

Das Lohndumping passt schlecht in die Zeit, denn der Schiffbau erlebt damals goldene Jahre. Selbst der moderne Eisenschiffbau kostet nicht, sondern schafft sogar neue Arbeitsplätze um das Holz. An der Elbe stürzen sich neue oder neu formierte Werften in die neue Zeit. Viele Eigentümer sind vom Fach, viele werden Pioniere der modernen Seefahrt.

Schon 1827 gründet der Schiffszimmermann Matthias Wichhorst auf der Veddel eine kleine Werft, die sich bald an die Spitze der technischen Entwicklung setzt. 1847 baut sie Hamburgs erstes Trockendock, 1861 zieht eines der ersten Patentslips große Schiffe aus dem Wasser.

Schiffe für Kaufleute aus dem Norden

1840 und 1842 kauft der Reedersohn Ernst Dreyer zwei Werfen auf Neuhof sowie an der Großen Elbstraße und baut über 100 Schiffe für Kaufleute aus Hamburg und Schleswig-Holstein. 1857 gründet er die Hamburg-Vera Cruz-Paketfahrt Gesellschaft, und er ist auch Geburtshelfer für das Altonaer Museum. Sein großer Park in den Abhängen der Elbchaussee heißt „Dreyers-Lust“.

1846 gründet Heinrich Christopher Stülcken an der Norderelbe eine Segelschiffwerft. 1858 geht dort Hamburgs erstes hölzernes Schwimmdock in Betrieb. Bis 1868 baut Stülcken 20 hölzerne Segelschiffe, bis er die ersten Eisenschiffe auf Kiel legt.

Erstes Hamburger Eisenschiff: „Richard“

1849 erwirbt die Hamburger Kaufmanns Johan Cesar Godeffroy die traditionsreiche Reiherstiegwerft und lässt Segler für Auswanderer bauen. Sieben Jahre und 18 Holzschiffe später läuft dort als erstes Hamburger Eisenschiff der Leichter „Richard“ für Pearson & Langnese vom Stapel. Mit den neuen Schiffen wird Godeffroy zu einem der größten Reeder Europas. 1861 platzt die Werft aus allen Nähten und wird an die Norderelbe verlegt. 1871 entsteht dort Hamburgs erster Eisbrecher für den Kampf gegen die weiße Winterdecke des Stroms: In ihr waren im Jahr zuvor neun Dampfer eingefroren.

Ob Heinrich Grube im kleinen Kirchwerder hölzerne Flussschiffe, J. C. Janssen J. F. Schmilinsky in einer einstigen Schiffszimmerei an der „freien Elbe“ eiserne Küstendampfer oder die Somm’sche Werft auf dem Großen Grasbrook Feuerschiffe und einen der ersten Raddampfer bauen: Immer sind Schiffszimmerer in Lohn und Brot.

Hamburg in Brennpunkten dicht besiedelt

Ihre Familien müssen oft trotzdem darben. Viele hausen in der lichtarmen Enge der Gängeviertel am Hafen, wahren Rattenlöchern, über die der Tbc-Entdecker Robert Koch später an Wilhelm II. schreiben wird: „Eure Hoheit, ich vergesse, dass ich in Europa bin. Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie hier.“

Historisches Gängeviertel in Hamburg.
Historisches Gängeviertel in Hamburg. © staatsarchiv hamburg | staatsarchiv hamburg

In diesen Brennpunkten ist Hamburg dichter besiedelt als selbst die Elendsquartiere von Shanghai. Der Vorstand der Schiffszimmerer erkennt eine neue Aufgabe für die Genossenschaft. Ursprünglich wird sie gegründet, um Werften zu erwerben, auf denen ihre Mitglieder anständige Arbeit finden können. Jetzt geht es auch um anständige Wohnungen für sie.

Hamburger Schiffszimmerer pflegen Wohnanlagen

Deshalb verpflichtet eine neue Satzung nun zu „Ankauf und Betrieb oder Vermietung von Schiffswerften und anderen Grundstücken für gemeinschaftliche Rechnung“. Zuerst werden Mehrfamilienhäuser in Hafennähe gekauft und in Eigenarbeit saniert. Ein erster Neubau, der bei bezahlbaren Mieten mit Balkonen und Bädern sehr gut ausgestattetes Gebhardhof am Venusberg, wird vom Volksmund sofort „Arbeiterschloss genannt.

Neubau der Genossenschaft an der Baakenallee 46-52 in der HafenCity.
Neubau der Genossenschaft an der Baakenallee 46-52 in der HafenCity. © FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Heute pflegen die Schiffszimmerer als große Hamburger Baugenossenschaft Wohnanlagen etwa in Alsterdorf und Ohlsdorf. Den Schiffszimmerer als Ausbildungsberuf aber gibt es nicht mehr: 2009 kommt das Bundesinstitut für Berufsbildung nach einer Untersuchung zu dem Schluss, dass die Tätigkeiten des Schiffszimmerers im modernen Schiffbau entfallen seien.