Hamburg. Studie des Hamburger UKE belegt: Kinder und Jugendliche nutzten Spiele und soziale Medien in der Pandemie zum Teil exzessiv.

Die Corona-Krise mit zwei langen Lockdown-Phasen hat bei Kindern und Jugendlichen offenbar zu einer sehr starken Nutzung des Internets mit stundenlangen Computerspielen geführt. Davon ist der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Rainer Thomasius überzeugt.

Der Ärztliche Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE bezieht sich dabei auf die Zwischenergebnisse einer Studie seines Instituts und der DAK-Gesundheit. In dieser Längsschnittstudie wird bundesweit die Mediennutzung bei 1200 Familien untersucht – und zwar im September 2019, also vor dem coronabedingten Lockdown, sowie während des ersten (April 2020) und des zweiten Lockdowns (November 2020). Analysiert wird das Nutzerverhalten von Kindern und Jugendlichen von elf bis 18 Jahren, getrennt nach Spielen (Games) und sozialen Medien (Social Media) wie zum Beispiel Facebook.

Im ersten Lockdown schnellten die Zahlen in die Höhe

Wie erste Ergebnisse zeigten, war die Internetnutzung bei digitalen Spielen beim ersten Lockdown, also zwischen Ende März und Anfang Mai 2020, erschreckend stark in die Höhe geschnellt. Nachdem Kinder und Jugendliche im September 2019 wochentags noch durchschnittlich 83 Minuten digitale Spiele genutzt hatten, waren es im April 2020 ganze 132 Minuten täglich. Damit lag die Nutzungszeit um 59 Prozent höher als zuvor. Ähnlich hoch waren die Zahlen bei den sozialen Medien. Hiermit verbrachten Kinder und Jugendliche täglich 189 Minuten – das sind mehr als drei Stunden und rund 63 Prozent mehr als im September vor der Pandemie.

Beim zweiten Lockdown waren die Nutzungszeiten von Computerspielen und Social Media auf den ersten Blick weniger dramatisch: Kinder und Jugendliche spielten demnach im November 2020 an einem Werktag im Durchschnitt 115 Minuten Spiele. Das ist ein Rückgang von 15 Prozent gegenüber dem ersten Lockdown. Die sozialen Medien wurden durchschnittlich 147 Minuten genutzt, das entspricht einem Rückgang um 29 Prozent im Vergleich zur Erhebung im April.

Kinder nutzten die Zeit im zweiten Lockdown sinnvoller

Thomasius und sein Team erklären den Effekt mit einer gewissen Gewöhnung an die Situation. Der zweite Lockdown kam nicht so überraschend wie der erste, entsprechend gab es offenbar Vorbereitungen, wie die Zeit sinnvoll zu nutzen sei. „Kinder und Jugendliche fanden einen zunehmend konstruktiven Umgang mit der Pandemie und den eingeschränkten Möglichkeiten, die sie mit sich bringt“, erläutert Thomasius. Hinzu kommt, dass im vergangenen November Schulen und Geschäfte zumindest teilweise noch geöffnet waren.

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Aber: Der „harte“ Lockdown mit Maßnahmen wie der Schließung von Schulen und Geschäften, Versammlungsverbot sowie Ausgangssperren setzte erst nach dieser Befragung ein. Das bedeutet: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die im Vergleich zum ersten Lockdown relativ besonnene Internetnutzung nach der Verschärfung des zweiten Lockdowns angehalten hat. Dagegen spreche laut Thomasius, dass die Beratungstermine in seinem Institut aktuell total überlaufen seien. „Wir vermuten, dass insbesondere Jugendliche, die als Motiv für die Nutzung von Computerspielen und sozialen Netzwerken angeben, Stress abbauen zu wollen, Sorgen zu vergessen und Wut loswerden zu wollen, ihre Nutzungszeiten im Frühjahr leider wieder stark ausgeweitet haben“, so Thomasius zum Abendblatt.

Zehn Prozent zeigten „riskantes“ Nutzungsverhalten

Ob es sich tatsächlich so verhält und wie dramatisch die Entwicklung ist, kann erst festgestellt werden, wenn die Ergebnisse einer vierten „Befragungswelle“ aus dem vergangenen April vorliegen. Sie werden aktuell ermittelt, mit den vorherigen Daten abgeglichen und dann im Sommer bundesweit vorgestellt. Bereits vor dem ersten Lockdown hatten zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen ein „riskantes“ Nutzungsverhalten gezeigt, dass heißt, dass die starke Nutzung zwar noch nicht einer Sucht entsprach, aber der Weg dorthin nicht mehr weit war. Als „pathologisch“ hatten die Experten das Verhalten von 2,7 Prozent eingestuft.

Im Rahmen der Befragung hatten 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen angegeben, über die Nutzung von Spielen und sozialen Medien Langeweile bekämpfen zu wollen. Übrigens zeigt sich bei den sozialen Medien ein deutlicher Geschlechterunterschied: Während sich Jungen im November 2020 zumindest an den Wochenenden wieder dem Nutzungsniveau vor der Pandemie annäherten (186 Minuten gegenüber 184 Minuten), reduzierten Mädchen ihren Social-Media-Gebrauch kaum. Er war an einem normalen Wochenende mit 224 Minuten immer noch auf ähnlichem Niveau wie im April 2020 (243 Minuten) und damit deutlich höher als bei den Jungen und als vor der Pandemie (186 Minuten).

Computersuchthilfe Hamburg richtet Online-Anlaufstelle ein

Auch in den Altersgruppen gibt es Unterschiede: Jungen zwischen 15 und 18 Jahren spielten im Herbst 2020 werktags mit 161 Minuten durchschnittlich knapp eine Stunde länger Computer als die 11- bis 14-Jährigen (102 Minuten).

Für Kinder und Jugendliche mit problematischem Onlinenutzungsverhalten haben die DAK-Gesundheit und die Computersuchthilfe Hamburg eine Online-Anlaufstelle eingerichtet: www.computersuchthilfe.info