Hamburg. Skeptiker und Impfbefürworter stehen sich oft wütend gegenüber. Ärztekammer-Präsident Dr. Pedram Emami beleuchtet die Fakten.

Impfskeptiker, Impfgegner, Corona-Leugner – das ist die Eskalationsskala, die sich auch im exponentiellen Anschwellen der öffentlichen Erregung zeigt. Auf beiden Seiten. Während Politik und Pandemiker die heilende Kraft der Impfstoffe gegen Sars-Cov-2 beschwören, piksen die Skeptiker ihre Argumente zumeist anonym im Internet oder per Twitter oder Telegram in die Debatte. Deshalb ist es Zeit, einige der Argumente einem Faktencheck zu unterziehen.

Einer der wenigen, die sich „trauen“, öffentlich das Impfen zu diskreditieren, ist der bayerische Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger. Der Parteichef der Freien Wähler sagt, er wolle sich nicht impfen lassen. Er habe in seinem Umfeld von „massiven Nebenwirkungen“ gehört. „Da bleibt einem die Spucke weg“, sagte er im Deutschlandfunk. Auf Ungeimpfte werde „Jagd gemacht“. Auch beim Abendblatt laufen diese und ähnliche Aussagen von Leserinnen und Lesern auf.

Impfbefürworter befürchten Hassbotschaften und Stalking

Niemand will sich öffentlich mit Namen äußern. Das ist auf der „anderen Seite“ zum Teil ähnlich. Trotz der Impf-Appelle und politischer Unterstützung fällt es auch Ärzten und im Gesundheitswesen beschäftigten Menschen schwer, offen mit ihrem Namen für das Impfen einzutreten. Sie fürchten Stalking, Hassbotschaften und Vereinfachung. Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, sagte dem Abendblatt: „Ich denke, dass die, die nicht geimpft werden wollen, nicht zu überzeugen sind. Bei ihnen sind es meist ideologische Gründe.“ Husemann kritisierte außerdem die wenig gelungenen Impfkampagnen der Politik.

Lesen Sie auch:

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat nachgebessert und bietet jetzt im Internet leicht zugängliche Informationen und Videos, auch bei YouTube. Doch eine „Regierungsplattform“ ist genau das, was die Gegner beflügelt. Eines ihrer Hauptargumente: Die Erfahrungen mit den Impfstoffen können seit ihrer ersten Anwendung noch gar nicht so aussagekräftig sein, dass man sie risikolos spritzen kann.

Handlungsdruck wuchs in Frühphase der Pandemie

Dr. Pedram Emami ist Präsident der Ärztekammer.
Dr. Pedram Emami ist Präsident der Ärztekammer. © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Unbekannt

Für das Abendblatt beleuchtet der Präsident der Ärztekammer, Dr. Pedram Emami, einige Vorhaltungen. Er sagt: „Die Technologie der Vektorimpfstoffe ist bekannt und wird vielfach angewendet. Es gibt auch jedes Jahr andere Grippeviren, an die der jeweilige Impfstoff angepasst wird. Möglicherweise haben die Kritiker der Impfstoffe diesen bereits selbst einmal bekommen.“

Der mRNA-Impfstoff von Biontech und Moderna sei an mehreren Tausend Menschen erprobt worden. „Schon bei den ersten Impfungen in den USA hat man gesehen, dass es keine gravierenden Folgen gibt. Vor diesem Hintergrund aber auf unwissenschaftliche Art über Langzeitfolgen zu spekulieren, das ergibt keinen Sinn.“ In der Frühphase der Pandemie im vergangenen Jahr sei es so dramatisch gewesen, dass der Handlungsdruck wuchs: „In einer Phase, in der einem die Menschen wegsterben, zu sagen: Wir warten mit dem Impfstoff auf weitere Forschungen – das ist unverantwortlich.“

„Inzidenz von der Sterblichkeit entkoppelt"

Emami erkennt im Verlauf der wenigen Monate alten Impfkampagne bereits einen Wendepunkt im Infektionsgeschehen. „Wir sehen bereits, dass sich die Inzidenz von der Sterblichkeit entkoppelt hat. Das zeigt, dass das Impfen hilft. Und unter anderem deswegen nimmt Corona keinen Verlauf wie die Katastrophe der Spanischen Grippe 1918.“ Gleichzeitig ist dem UKE-Neurochirurgen bewusst, dass die Fehler in der Impfkampagne bei den Menschen haften bleiben.

Als bei extrem wenigen mit Astrazeneca geimpften Frauen Sinusvenenthrombosen festgestellt wurden, hat man das Impfen mit diesem Vakzin erst ausgesetzt, dann wieder genehmigt. Emami sagt: „Das war eine kommunikative Katastrophe. Ich möchte die gesundheitlichen Folgen für die von Impfnebenwirkungen Betroffenen nicht kleinreden. Aber die Zahl dieser Patienten ist so klein. Und wir dürfen nicht vergessen: Es gibt keine Behandlung, die nicht eine unerwünschte Wirkung hervorrufen kann.“

Impfungen bei Kindern: Einzelfälle abwägen

In der Gruppe der über 60-Jährigen sei das Risiko einer Covid-Erkrankung deutlich höher als das Impfrisiko. Bei Kindern und Jugendlichen sei das etwas anders. Da sie zumeist nicht so schwer erkrankten, müsse man die Einzelfälle abwägen. Was wenigen bewusst ist: Alle Impfstoffe haben auch in der EU nur eine sogenannte Notfallzulassung. Für eine dritte Impfung, die für Millionen Menschen anstehen könnte, gibt es noch keine Genehmigung der Europäischen Arzneimittelbehörde.

Ein Grund zur Beunruhigung? Emami meint: nein. „In der Chemotherapie kommt es vor, dass individuelle Medikamente angewendet werden, die keine generelle Zulassung haben. Das geschieht unter einer Risikoabwägung, wenn man medizinisch sicher ist, dass sonst nichts hilft.“ Der Arzt räumt mit einem weiteren Vorurteil auf: „Eine Notfallzulassung bedeutet nicht, dass sie weniger sorgfältig geprüft wird. Das Tempo der Bewertung ist ein anderes.“

Ärztekammerpräsident: „Ich hoffe auf Einsicht"

Emami ist nach eigenen Worten kein ausgewiesener Experte für die Psyche. Doch der Ärztekammerpräsident sagt: „Es ist sinnlos, Mythen und Aberglauben um das Impfen mit Argumenten zu entkräften, weil es bei diesen Menschen tief verwurzelt ist. Die Gesellschaft muss auch diese sehr kleine Minderheit aushalten können. Ich hoffe auf die Einsicht derjenigen, die zwar zurückhaltend, aber klug genug sind, die Notwendigkeit der Impfung einzusehen.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Aus Fakten ziehen Impfgegner Schlussfolgerungen, die nicht belegbar sind. Da geht es schnell um die Verschwörung in ganz großem Stile. Das Biotech-Unternehmen Curevac etwa hatte mit Geldern von Finanzier Dietmar Hopp (SAP-Mitgründer) neue Entwicklungsmöglichkeiten. Hopp glaubte früh an das Potenzial der Biotechnologie. Im Jahr 2015 stieg dann die Stiftung von Bill und Melinda Gates ein. Als es im Frühjahr 2020 danach aussah, als könne Curevac einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus auf den Markt bringen, gab es später dementierte Gerüchte, die US-Regierung unter Präsident Trump wolle das Vakzin zunächst exklusiv für die USA nutzen. Die deutsche Bundesregierung beteiligte sich später an Curevac.

Bill Gates unterstützt Impfungen schon seit Langem

Beim Microsoft-Gründer Bill Gates geht das Engagement für das Impfen schon auf frühe Aktivitäten seiner Stiftung zurück, in die er sein Vermögen eingebracht hat. Seit Langem tritt er für das Impfen in Ländern des globalen Südens ein, um Krankheiten effektiv zu bekämpfen. Er unterstützte auch Impfkampagnen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Mithilfe der Johns Hopkins Universität und des Weltwirtschaftsforums hat Gates‘ Stiftung im Jahr 2019 eine Pandemie mit einem Coronavirus simuliert („Event 201“). Sie sollte untersuchen, wie staatliche Stellen und die Gesundheitssysteme reagieren würden.

In Verschwörungstheorien wurde behauptet, er habe entweder bereits gewusst, dass es eine solche Pandemie gebe oder grundsätzlich profitiert. Dabei hatte es schon zuvor Planspiele dieser Art gegeben. Im Jahr 2015 hat Gates mit Blick auf Ebola vor weltweiten Killer­viren gewarnt. In kruden Theorien wurde behauptet, Gates habe Impfprogramme gegen Malaria gefördert, die zu Hunderten toten Kindern sowie Unfruchtbarkeit bei Frauen geführt hätten. Die Annahme eines Profits von Gates geht darauf zurück, dass er sich skeptisch zeigt, Patente für Impfstoffe freizugeben. Dieselbe Politik fuhr Gates bei den Lizenzen für die Anwendungen von Microsoft­. Verschenkt hat er da nichts.

Der Osten Deutschlands: Verlierer in Sachen Impftempo

Beim Impftempo ist deutlich zu sehen, dass Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bei Zweitimpfungen zum Teil deutlich unter 50 Prozent liegen, während der Bundesschnitt bei 54,5 Prozent liegt (Hamburg: 52). Die Skepsis im Osten Deutschlands nährte das Stammtisch-Argument, die Anti-Corona-Impfstoffe seien nicht gut erprobt – und man beuge sich keinem „staatlichen Zwang“.

Der MDR hat zuletzt verglichen, dass man in der DDR als junger Erwachsener bis zu 20-mal geimpft wurde. Das sei ein „Mittel der Politik“ gewesen, sollte die „Überlegenheit des sozialistischen Systems“ zeigen. Wer also Skeptikern entgegnet, in der damaligen DDR sei weitaus mehr als im Westen gepikst worden, hört mitunter: „Ja, das waren aber sichere Impfstoffe.“