Hamburg. Untersuchungsausschuss könnte im Frühjahr erste Zeugen vernehmen. Doch im aufziehenden Wahlkampf bahnt sich Streit um Termine an.
Der Mönkedamm in der Hamburger Innenstadt soll seinen Namen den Mönchen verdanken, die sich hier vor Jahrhunderten gern die Füße vertraten. Heutzutage ist es eine unscheinbare, kleine Verbindungsstraße vom Rödingsmarkt zum Adolphsplatz, wo im 19. Jahrhundert das Maria-Magdalenen-Kloster für den wuchtigen Neubau der Handelskammer weichen musste.
Mönche lockt die zwischen Bürogebäuden, Fleet und den U-3-Schienen eingeklemmte Straße daher heutzutage nicht mehr an. Dafür aber immer häufiger eine andere Spezies in diskreter Mission: Politiker. Denn am Mönkedamm hat die Bürgerschaft Räume für ihren Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur Cum-Ex-Affäre angemietet.
Dort sitzt nun der hauptamtliche Arbeitsstab, geleitet von Claudio Kirch-Heim, einem eigens dafür freigestellten Richter am Finanzgericht. Und dort befindet sich der Datenraum, in dem die brisanten Akten lagern – und die die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter nur dort einsehen dürfen. Auf Papier. Fotos zu machen oder gar Fotokopien ist strengstens verboten. Das klingt doch wieder mehr nach Mönchen als nach Neuzeit. Aber dazu später mehr.
Cum-Ex? Genau, da war mal was. Um Milliarden haben Banken und andere Finanzjongleure den Staat betrogen, indem sie trickreich Wertpapiere um den Dividendenstichtag herum so schnell untereinander verschoben, dass der Fiskus den Überblick verlor und die nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstattete.
Corona verdrängte andere Themen
Vor fast genau einem Jahr schlugen dann Berichte des NDR-Magazins „Panorama“ und der „Zeit“ wie eine Bombe in die Endphase des Bürgerschaftswahlkampfs ein: Bürgermeister Peter Tschentscher und sein Vorgänger, der heutige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (beide SPD), so der darin erweckte Eindruck, könnten mit dafür gesorgt haben, dass die Stadt darauf verzichtet hatte, von der Warburg-Bank 90 Millionen Euro an Steuern aus Cum-Ex-Geschäften zurückzufordern.
Der seine Unschuld beteuernde Bürgermeister war erbost, weil er den Veröffentlichungstermin, zehn Tage vor der Wahl, als gezielte Einflussnahme empfand. Dennoch versandete die Angelegenheit rasch, was drei einfache Gründe hatte: Tschentschers SPD gewann die Wahl trotzdem haushoch. Zweitens verdrängte ein gewisses „neuartiges Coronavirus“ alle anderen Themen. Und drittens ist die politische Aufklärung des Falls bis heute kaum vorangekommen. Doch das dürfte sich bald ändern.
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Ein kurzes Aufflackern gab es bereits im Herbst: Kurz nach der Ausrufung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD – Zufälle gibt’s – nahm eine ungewöhnliche Allianz aus CDU und Linkspartei in der Bürgerschaft ihr Minderheitenrecht wahr und beschloss die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses.
Sitzung in den Frühjahrsferien geplant
Dass seitdem nicht viel passiert ist, ist für ein Teilzeitparlament nicht ungewöhnlich: Zunächst müssen Mitarbeiter eingestellt werden, was schwierig und daher immer noch nicht abgeschlossen ist – welcher Jurist oder Finanzexperte hat mal eben ein bis zwei Jahre Zeit?
Dann müssen Räume angemietet und Akten beim Senat angefordert werden. Nicht zuletzt müssen die rund 20.000 Seiten in 70 Ordnern, die bislang vorliegen, auch gelesen werden – für Abgeordnete, die Politik nur nach Feierabend betreiben, eine Herausforderung.
Nach bislang drei Sitzungen, die sich vor allem um Organisatorisches drehten, dürfte der PUA nun aber bald Fahrt aufnehmen. Ungewöhnlicherweise ist sogar eine Sitzung für den 12. März geplant, also in den Frühjahrsferien. Dabei dürfte es einerseits um die Akten gehen: Nach dem PUA-Gesetz ist es den Abgeordneten eigentlich gestattet, diese mitzunehmen, wenn auch mit namentlicher Kennzeichnung, was die Weitergabe erschweren soll.
Teilweise wird es absurd
Dann ist es aber immerhin möglich, die Akten im Büro oder zu Hause zu lesen und sich Notizen am PC zu machen, was die Auswertung erheblich vereinfacht. Beim PUA HSH Nordbank lief es noch so. Im Fall Cum-Ex hat der Senat aber darauf bestanden, dass die Akten, die die Warburg-Bank betreffen, ausschließlich im Datenraum gelesen werden dürfen und nur handschriftliche Notizen erlaubt sind.
Das wollen sich die PUA-Mitglieder nicht gefallen lassen und dem Senat ein Gutachten zur Rechtslage zusenden. Auch fehlende und geschwärzte Akten sorgen für Unmut.
Teilweise wird es absurd: So hat das Landgericht Bonn, wo parallel ein Strafverfahren in Sachen Cum-Ex läuft, in dessen Mittelpunkt ebenfalls die Warburg-Bank steht, dem PUA zwar haufenweise Akten zur Verfügung gestellt – allerdings nur elektronisch. Um sie lesen zu können, müsste man einen PC im Datenraum aufstellen. Dafür wird aber noch nach einer Lösung gesucht, die mit dem Steuergeheimnis konform ist.
Zeugenvernehmung wirft ihre Schatten voraus
Schließlich wirft die Zeugenvernehmung ihre Schatten voraus. Klar ist, dass Scholz, Tschentscher sowie die Warburg-Inhaber Christian Olearius und Max Warburg vorgeladen werden sollen – schließlich stehen im Mittelpunkt des Interesses die Tagebucheinträge von Olearius, wonach er 2016/2017 mehrfach das Gespräch mit dem damaligen Bürgermeister Scholz gesucht hatte.
Daraus leitet die Opposition den Verdacht ab, dass Scholz selbst oder der damalige Finanzsenator Tschentscher Einfluss auf die Entscheidung der Steuerverwaltung genommen haben könnten, das Geld – das Warburg inzwischen erstattet hat – nicht zurückzufordern. Beide haben das mehrfach zurückgewiesen. Und selbst die Opposition glaubt nicht, dass sich ein schriftlicher Beleg dafür finden wird.
Streit um Reihenfolge der Vernehmungen?
Doch man will sich nicht vorwerfen lassen, nicht danach gesucht zu haben. „Im PUA geht es darum zu klären, ob der Rechtsstaat in diesem Fall funktioniert hat“, sagt CDU-Vertreter Götz Wiese.
Den größten Streit dürfte es um die Reihenfolge der Vernehmungen geben. Die Linkspartei würde gern „von unten nach oben“ vorgehen – also erst Betriebsprüfer und Finanzbeamte vorladen und klären, warum sie zunächst für die Rückforderung waren, dann aber dagegen.
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Scholz solle erst danach, aber möglichst noch vor dem Sommer aussagen, um damit nicht in den Bundestagswahlkampf zu geraten. Das dürfte hingegen genau der Zeitpunkt sein, der der CDU vorschwebt, auch wenn sie das natürlich zurückweist. Die SPD wiederum kann sich vorstellen, mit den prominentesten Zeugen zu beginnen – was praktischerweise mit dem größten zeitlichen Abstand zur Wahl einherginge.
Einig sind sich viele Abgeordnete, dass es trotz des zähen Vorlaufs noch hoch her gehen wird. „Da wird noch einiges passieren“, sagt einer. Vorher muss man allerdings noch ein paar Wochen auf den Spuren der Mönche wandeln – und am Mönkedamm Akten studieren.