Hamburg. Dank des Projekts „HonigHelden“ können traumatisierte Kinder jetzt erstmals direkt an Schulen therapiert werden. Die Hintergründe.

Die Einschränkungen der Pandemie haben lange verhindert, dass Stefanie „SteffiGraf aus den USA nach Hamburg kommen konnte, doch nun ist sie da. Die Stifterin und Vorsitzende der Stiftung „Children for Tomorrow“ hat sich einen wenig glamourösen Ort für das Treffen ausgesucht – den Musikraum im Regionalen Bildungs- und Beratungszentrum (ReBBZ) Wilhelmsburg. Aber Glamour ist ohnehin nicht das Metier des einstigen Tennisstars.

Steffi Graf, zurückhaltend gekleidet in einen schwarzen Hosenanzug, ist hier, weil sie über den Fortgang eines Projektes sprechen möchte, das sie 2017 mit dem Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) gegründet hat. Das bundesweit einmalige Projekt „HonigHelden – Kinder für morgen stark machen“ hat zum Ziel, traumatisierten Kindern mit Fluchterfahrung direkt in Schulen ein speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichtetes therapeutisches Angebot zu machen.

Steffi Graf erfreut über Entwicklung von „HonigHelden"

Jetzt wurde ein weiterer Schritt getan: Die Psychotherapeutin Anna Hermes, die eine Praxis in Neugraben betreibt, hat im Rahmen von „HonigHelden“ eine Praxis-Zweigstelle direkt im ReBBZ Wilhelmsburg eröffnet – und damit im gewohnten Umfeld betroffener Schülerinnen und Schüler. Steffi Graf sagt: „Diese qualitative Weiterentwicklung unseres Projekts macht mir Mut. So kann es gelingen, traumatisierten Kindern mit Fluchterfahrung in vertrauter Umgebung für sie passende Therapie­angebote zu machen.“

„Wir freuen uns, dass das neue Angebot eröffnet werden kann und erstmals eine Therapeutin hier auch direkt ihre Angebot machen kann“, sagt Senator Rabe. Die neue Therapiepraxis im ReBBZ Wilhelmsburg sei ein niedrigschwelliges Angebot für Eltern, die nicht von sich aus den Weg in eine Praxis finden würden. „Die Schwelle ist zu hoch. Nach 2015 kamen keine Kinder bei mir in der Praxis in Neugraben an“, sagt Anna Hermes aus Erfahrung.

„Wir können jede Unterstützung gebrauchen“

„Es ist Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen. Wir können jede Unterstützung gebrauchen“, sagt Dagmar von Linde-Suden, Leiterin des ReBBZ Wilhelmsburg, das 230 Schüler an zwei Standorten betreut, erfreut.

Kinder mit Fluchterfahrungen leben häufig in materiell unzureichenden Verhältnissen, viele Familien sind zerrissen. Zu ihren Traumata kommt noch erschwerend eine völlig neue sprachliche und kulturelle Umgebung hinzu – ihnen fehlt in jeder Hinsicht ein Raum, der ihnen Vertrauen, Sicherheit und Geborgenheit gibt.

Therapieangebote oft nur außerhalb der Schule

Cordula Münstermann, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin bei „HonigHelden“ sagt: „Je früher man die Möglichkeit hat, Traumata zu behandeln, desto eher verhindert man Folgeerkrankungen.“ Bei einem traumatischen Ereignis vor dem 11. Lebensjahr sei die Wahrscheinlichkeit, eine psychische Erkrankung zu entwickeln, um das Dreifache erhöht.

Schulen haben nach Angaben der Schulbehörde zurzeit keine Angebote zur Verarbeitung seelischer Wunden, professionelle Therapieangebote gibt es in der Regel nur außerhalb der Schulen. In den Schulen fänden normalerweise lediglich beratende Gespräche, aber keine Psychotherapien statt. Durch die Kooperation mit „Children for tomorrow“ im Rahmen von „HonigHelden“ würden jetzt die räumlichen und personellen Voraussetzungen dafür geschaffen, um in der Schule passende therapeutische Angebote zu schaffen.

Hilfe für geflüchtete Grundschulkinder

Das Projekt fördere damit die Stabilisierung, Prävention und Heilung für geflüchtete Grundschulkinder und schließe damit – unabhängig von der Finanzierung durch die Krankenkassen – diese Lücke im Versorgungssystem. Und so könne Anna Hermes nun direkt im alltäglichen Lebensraum der Schülerinnen und Schüler passende Therapieangebote machen.

Alle Maßnahmen werden nicht nachmittags, sondern als Bestandteil des Schulalltags an den Vormittagen ange­boten. Zudem erhalten alle Lehrkräfte der Schule ein zweijähriges Fortbildungsangebot und begleitende Supervision. Darüber hinaus bietet das Projekt Lehrern und Eltern die Möglichkeit, eine traumapädagogische Sprechstunde in Anspruch zu nehmen.

Schon 234 Kinder erfolgreich behandelt

Den Kindern werden Einzel- und Gruppentherapien angeboten. Bisher wurden nach Angaben von Cordula Münstermann 234 Kinder erfolgreich behandelt. 67 Einzelplätze pro Woche stehen zur Verfügung. Aktuell beteiligte Schulen und ReBBZ sind die Grundschule Osterbrook, die Fritz-Köhne-Grundschule, die Grundschule am Schleemer Park, die Grundschule Poppenbüttel sowie die ReBBZ Mitte, Bergedorf und jetzt Wilhelmsburg.

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Genaue Zahlen, wie viele Kinder in Hamburg eine Fluchtgeschichte haben, gibt es nach Angaben von Ties Rabe nicht. 2015 seien etwa 10.000 Kinder zusätzlich aus dem Ausland gekommen, inzwischen seien es etwa 2000 pro Jahr, darunter aber auch Zuwanderer etwa aus anderen EU-Ländern. Das lasse sich nicht genau trennen, so Rabe.

Steffi Graf rief „Children for Tomorrow“ ins Leben

„Children for Tomorrow“ ist eine Stiftung, die 1998 von Steffi Graf ins Leben gerufen wurde, mit dem Ziel, Kinder und Familien, die Opfer von Verfolgung und organisierter Gewalt geworden sind, zu unterstützen. Die Stiftung stellt auch Mittel für die Arbeit der „Flüchtlingsambulanz für Kinder und Jugendliche“ am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) bereit.

Seit April 2011 hat „Children for Tomorrow“ dort ein eigenes Stiftungsgebäude, in dem auch die Flüchtlingsambulanz untergebracht ist. In der Flüchtlingsambulanz können pro Jahr mit einem multiprofessionellen Team bis zu 400 Kinder im Jahr behandelt werden. Die Stiftung gewann kürzlich den Hamburger Stiftungspreis und durfte sich über 10.000 Euro Preisgeld freuen.