Hamburg. Der Hamburger Senat dämpft Erwartungen an den heutigen Corona-Gipfel mit Kanzlerin Merkel, sei aber an Öffnungschritten „interessiert“.

In der Debatte um Lockerungen der Corona-Maßnahmen zeigt sich der rot-grüne Senat zwar weiterhin zurückhaltend. „Die Lage bleibt kritisch“, sagte Sprecher Marcel Schweitzer gestern mit Verweis auf den aktuellen Inzidenzwert von 81,5, also die Zahl der durchschnittlich auftretenden Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Vor einer Woche hatte die Inzidenz bei 71,4 gelegen.

Vor der heutigen Beratung der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie hat der Senat um Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Lockerungen in Aussicht gestellt, zugleich aber hohe Erwartungen gedämpft. „Wir sind auch an Öffnungsschritten interessiert, wir brauchen eine solche Perspektive“, sagte Schweitzer. Eine Lockerungsstrategie müsse aber verbunden sein mit Schutzmaßnahmen wie Schnell- und Selbsttests.

Tschentscher: Inzidenzwert von 35 erstmal unrealistisch

Es wäre falsch zu erwarten, dass nach den Beratungen sofort alle Geschäfte und Kultureinrichtungen öffnen dürften. „Es kann nur stufenweise gehen, mit einem Puffer dazwischen“, sagte Schweitzer. „Lockerungen vornehmen, das Infektionsgeschehen beobachten, weitere Lockerungen – das ist die Grundhaltung, an der wir festhalten.“

Zuvor hatte Bürgermeister Peter Tschentscher gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ erklärt, eine Schwelle von 35 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen sei „in nächster Zeit sicher nicht“ zu erreichen. Öffnungsschritte sollten sich „nicht allein an einem Inzidenzwert orientieren“.

Bestätigte Infektionen durch Corona-Mutante bei 87

In Hamburg wurden gestern 183 neue Corona-Fälle gemeldet, 22 mehr als vor einer Woche. Zur Begründung, warum der Senat allerdings auch mit begleitenden Schnelltests vorsichtig vorgehen will, verwies Schweitzer neben der gestiegenen Inzidenz auf die Ausbreitung der britischen Corona-Mutante B.1.1.7 in Hamburg.

Die südafrikanische Variante B.1.135 sei in drei Fällen nachgewiesen worden. Zudem gebe es 847 Verdachtsfälle. Wie berichtet, gehen Forschende am Uniklinikum Eppendorf und am außeruniversitären Heinrich-Pette-Institut auf der Grundlage eigener Analysen davon aus, dass die britische Variante in Hamburg für mindestens 30 Prozent der Neuinfektionen verantwortlich ist.

1278 Menschen in Hamburg starben an oder mit Corona

Wie die Gesundheitsbehörde gestern mitteilte, stieg die Zahl der Menschen in Hamburg, die an oder mit dem Virus starben, um sechs auf 1278. In den Hamburger Kliniken wurden am Montag 269 Corona-Patienten behandelt, 85 von ihnen auf Intensivstationen. Seit Freitag sank die Gesamtzahl der Patienten damit um 13, die der Intensivpatienten stieg hingegen um vier. 218 stationär behandelte Patienten sind aus Hamburg.

Gut 102.600 Menschen in der Hansestadt haben inzwischen eine Corona-Erstimpfung erhalten, was einer Durchimpfungsrate von 5,6 Prozent entspricht. Etwa 53.900 von ihnen haben zudem eine Zweitimpfung bekommen. Im zen­tralen Impfzentrum in den Messehallen sollen am Donnerstag wieder neue Termine freigeschaltet werden. Welche Personen- und Berufsgruppen dazu aufgerufen sind, einen Termin zu vereinbaren, ist online unter www.hamburg.de/corona-impfung abrufbar.

Spahn kündigte Tests schon für 1. März an

Details zu Schnell- und Selbsttests in Hamburg könne der Senat nicht nennen, solange die Verfügbarkeit nicht geklärt sei, sagte Sprecher Marcel Schweitzer. Mit Spannung erwarte man Ausführungen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu, wie viele Tests der Bund gekauft habe und wie viele Hamburg beziehen könne. Allein der Hamburger Unternehmer Philipp Lissner will monatlich 15,5 Millionen Selbsttests aus China einführen. Die ersten Lieferungen sollen nächste Woche eintreffen.

Hintergrund: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Mitte Februar angekündigt, vom 1. März an sollten sich alle Bürger kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests auf eine Corona-Infektion untersuchen lassen können. Diese Ankündigung konnte Spahn allerdings nicht halten.

Hamburgs Hausärzte unterstützen Teststrategie

In der Hansestadt habe es bereits eine Ausschreibung für Testzentren gegeben, um Tests in Hamburgs Schulen und Kitas zu gewährleisten. „Darauf können wir gut aufbauen.“ Auch Hamburger Hausärzte hätten sich zur Unterstützung bereit erklärt. „Hamburg ist im Grunde gut aufgestellt für eine Teststrategie“, sagte Schweitzer.

Unterdessen sind zwei Einzelhandelsketten in der Hansestadt mit ihrem Wunsch nach Öffnung der Geschäfte trotz gegenteiliger Corona-Auflagen vor Gericht gescheitert. Das Verwaltungsgericht lehnte die Eilanträge der Ketten mit einem sogenannten Mischsortiment gestern ab. Nach Überzeugung des Gerichts verletzt das Öffnungsverbot im konkreten Fall nicht die Grundrechte.

Unbekannte hängen Plakate mit Aufruf zur Gewalt auf

Die Möglichkeit, dass die beiden Ketten ihr Sortiment mit entsprechenden Hygienekonzepten verkauften, sei zwar ein milderes, aber nicht gleich geeignetes Mittel. Die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie sei weiterhin sehr hoch. Dass das Robert Koch-Institut das vom Einzelhandel ausgehende individuelle Infektionsrisiko unter Berücksichtigung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes als niedrig erachte, ändere daran nichts, erklärte das Gericht.

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Gegen die Corona-Beschränkungen wenden sich Unbekannte, die Plakate und Transparente mit Aufrufen zur Gewalt an verschiedenen Stellen in der Stadt aufgehängt haben. An der Außenwand eines Corona-Testzentrums an der Fuhlsbüttler Straße klebten Plakate, auf denen eine Anleitung zur Sprengung des Impfzentrums in den Messehallen und Abbildungen von Politikern und des Virologen Christian Drosten zu sehen waren, denen eine Pistole an den Kopf gehalten wird. Die Polizei stellte die Plakate sicher.

Sven Tode von Unbekannten bedroht

Am Büro des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Sven Tode klebten ähnliche Zettel. Die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes wurde eingeschaltet. Dort ermitteln die Beamten wegen der Störung des öffentlichen Friedens durch eine Androhung von Straftaten. An den Freihafenelbbrücke mussten Polizisten anrücken, um ein zehn Meter langes Transparent mit der Aufschrift „Lockdown – Langzeitschaden, Nutzen?“ zu entfernen.