Hamburg. Lange galt der Hafen als zu teuer und die Anfahrt als zu lang. Mit der Taufe der „Aidadiva“ kam im Jahr 2007 die Wende.
Es ist Sommer in der Stadt. Restaurants und Cafés stellen Stühle und Tische vor die Tür, bei Planten un Blomen sprießen die Blumen, und die Menschen genießen die Sonne. Entspannung pur. Anders im Hafen. Dort bedeutet die Sommersaison, dass es immer enger wird. Denn dort müssen sich die Containerfrachter den Platz wieder mit den Passagierschiffen teilen – Ausflugsbooten, privaten Yachten und Barkassen. Und mit den ganz großen Pötten: Die Kreuzfahrtsaison erlebt ihren Höhepunkt. Allein für den Juli sind 20 Anläufe geplant, Im August sind es 22.
Dazu kommt ein Novum: Das Luxusschiff „Europa“ von der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd Cruises wird an einem Tag, dem 2. August gleich dreimal in Hamburg festmachen, nämlich hintereinander an allen drei Kreuzfahrtterminals, über die die Stadt verfügt. Das Kreuzfahrtgeschäft in Hamburg boomt also. Das bedeutet mehr Gäste, mehr Imagegewinn und vor allem klingelnde Kassen. Denn die wegen der Schadstoffbelastung der Luft viel kritisierte Kreuzfahrtwirtschaft ist für Hamburg längst ein lohnendes Geschäft.
Kaum eine Branche in Hamburg ist in den vergangenen zehn Jahren so stark expandiert, kaum eine Branche hat das Stadtbild so nachhaltig verändert, wie das stete Verkehrswachstum der Luxusliner auf der Elbe. Seit 2008 hat sich die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere in der Stadt auf 900.000 verzehnfacht. Das heißt: Der jährliche Zuwachs war in der Regel zweistellig.
Wachsende Nachfrage
Zwar rechnen die Verantwortlichen in den kommenden zwei, drei Jahren mit weniger starkem Wachstum, weil in der HafenCity derzeit gebaut wird und das neue Kreuzfahrtterminal dort erst 2022 fertig wird. Die magische Marke von einer Million Passagieren wird also voraussichtlich nicht wie erwartet schon in diesem Jahr, sondern erst nach 2020 geknackt. Doch sind die Verantwortlichen alle weiter positiv gestimmt. „Es gibt eine Durststrecke“, sagt Matthias Rieger, ehemaliger Geschäftsführer des Vereins Hamburg Cruise Net, der das Netzwerk der Branche in der Hansestadt organisiert hat.
„Unsere Sorgen halten sich aber in Grenzen, weil die Fundamentaldaten einfach stimmen.“ Zum ersten Juli ist Rieger, der in den Ruhestand gegangen ist, von Christine Beine abgelöst worden. Sie ist ehemalige Geschäftsführerin der Handelskammer und Expertin für Verkehr und Tourismus. Ihre Aufgaben im neuen Job werden nicht geringer.
Da ist zunächst die wachsende Nachfrage. Im vergangenen Jahr haben 2,26 Millionen Bundesbürger eine Kreuzfahrt gemacht. Das waren 3,4 Prozent mehr als 2017, sagt der internationale Branchenverband Cruise Lines International Association (CLIA). Für dieses Jahr rechnet der Verband mit einer deutlichen Steigerung. Immerhin werden 2019 weltweit zwei Dutzend neue Traumschiffe mit insgesamt 43.000 Betten in Dienst gestellt. Und diese werden aufgrund des Booms an Bord schnell gebucht. „Die Kreuzfahrtbranche hat das Glück, dass das Angebot das Wachstum im Markt steuert. Das heißt, wenn ein neues Schiff den Betrieb aufnimmt, wird es schnell gefüllt, was sich auf die Steigerungsraten auswirkt“, sagte Helge Grammerstorf, der Direktor von CLIA in Deutschland.
Bestnoten für Hamburg
Neben der Nachfrage ist die Infrastruktur wichtig. Hamburg verfügt über drei Kreuzfahrtterminals für unterschiedlich große Schiffe. Zudem gibt es bei der für den Terminalbetrieb zuständigen Cruise Gate Hamburg und in der Politik Überlegungen für den Bau eines vierten Terminals. Der Flughafen ist international frequentiert und nahe am Hafen, was die Kreuzfahrtstandorte Rostock, Kiel und Bremerhaven nicht bieten können.
„Selbst die lange Revierfahrt die Elbe hinauf, die dem Hafen normalerweise als Standortnachteil ausgelegt wird, wird von den Kreuzfahrtgästen ganz anders wahrgenommen und von den Unternehmen durchaus als Vorteil verkauft“, so Grammerstorf.
Als Drittes kann die Hansestadt mit einem breiten Mix aus Zuliefer- und Servicebetrieben aufwarten, die an der Kreuzfahrtbranche verdienen. „Das geht Querbeet von großen Fleischlieferanten über die Unterhaltungsbranche bis hin zu kleinen Hafendienstleistern“, sagt Grammerstorf.
Pflanzenspezialist Dauerflora ist Vorzeigefirma
Cunard hat seine Deutschlandzentrale in Hamburg, ebenso TUI Cruises und Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten. Aida betreibt in der Hansestadt eine eigene Theaterbühne, auf der das Bordunterhaltungsprogramm für die ganze Flotte produziert wird. Hinzu kommen etliche Ausrüster, Zulieferer und sonstige Dienstleister, wie Fidelio Cruises, Anbieter von elektronischer Bordunterhaltung, oder die Gebrüder Heinemann als Ausrüster der On-Board-Shops. Sogar auf Rechtsstreitigkeiten mit den Reedereien spezialisierte Rechtsanwaltssozietäten haben sich inzwischen hier angesiedelt.
Vorzeigefirma ist beispielsweise der Hamburger Pflanzenspezialist Dauerflora. 1989 als lokaler Lieferant stabilisierter Pflanzen für Hotels und Kaufhäuser hinterm Deich in Moorfleet gegründet, ist das Unternehmen heute weltweit tätig, mit eigenen Dependancen in Dania Beach/Florida und auf Mauritius. Möglich gemacht hat diese Expansion das Kreuzfahrtgeschäft. 1996 wurde die „Aidacara“ als erstes schwimmendes Hotel mit künstlichen Pflanzen von Dauerflora beliefert.
Danach wurde Dauerflora zum Lieferanten für alle Aida-Schiffe und weitere Anbieter. „Von uns wurden bisher 250 Kreuzfahrtschiffe auf der Welt mit Pflanzen ausgestattet“, sagt Dirk Ebelin, der das Unternehmen seit 2005 zusammen mit Barbara Bressem führt. „Und da die Schiffe je nach Saison häufig umdekoriert werden müssen, haben wir viele Folgeaufträge.“ Zuletzt hat Dauerflora das neue Flaggschiff von Aida, die im Mittelmeer kreuzende „Aidanova“ ausgerüstet: 126 bis zu fünf Meter hohe Bäume wurden aufgestellt, 65 Gefäße bepflanzt und 943 Quadratmeter an Wänden mit grünen Hecken ausgestattet. Zwölf bis 16 Mitarbeiter von Dauerflora waren über einen Zeitraum von fast vier Monaten auf dem Schiff beschäftigt.
Breites Angebot an Dienstleistern
Laut Hamburgs Kreuzfahrtdirektorin und Chefin von Cruise Gate Hamburg, Sacha Rougier, kann Hamburg mit diesem breiten Angebot an Dienstleistern bei den Kreuzfahrtreedereien punkten: „Die Reedereien finden hier hochprofessionelle Dienstleister sowie gut ausgebildete Fachkräfte und obendrauf die Qualität im operativen Bereich“, sagt die Geschäftsführerin von Cruise Gate Hamburg, dem Betreiber der drei Kreuzfahrtterminals in der Stadt. „Wir testen ständig unsere Leistung am Terminal, etwa wie zügig Passagiere und Koffer an Bord gelangen. Unser oberstes Ziel ist es, dass der Gast seine Reise bei uns im Terminal entspannt und stressfrei beginnen und beenden kann.“
Hybrid-Kreuzfahrtschiff erreicht Hafen:
Bei Reedereiumfragen bekomme Hamburg regelmäßig Bestnoten vom Schiff und von den Gästen, weil hier das Zusammenspiel aller Kräfte funktioniere, der Hafen-Agenten, Abfertiger, Festmacher, Zoll, Proviantierer bis hin zur Seemannsmission. Als erste staatliche Gewerbeschule in Deutschland hatte die Hotelfachschule Hamburg bereits 2012 ein Studienfach Cruise Management angeboten. Ausgangspunkt war die Erfahrung von Kreuzfahrtreedereien, dass die Anforderungen an die Qualifikation des an Bord tätigen Personals etwas spezieller sind als das bisherige Ausbildungsprogramm an den Hotelfachschulen. Auch die private EBC-Hochschule hat einen Schwerpunkt im Cruise Management.
Nach Brancheneinschätzungen hängen derzeit rund 6000 Arbeitsplätze in Hamburg an der Kreuzfahrt. Das ist nicht einmal die Hälfte des Personals, das Airbus in seinem riesigen Flugzeugwerk in Finkenwerder beschäftigt. Die Bedeutung der Branche für die Stadt Hamburg ist aber sehr groß: Die Wertschöpfung, die das Geschäft mit den Kreuzfahrtschiffen zu Hamburgs Wirtschaftsleistung beiträgt, ist nämlich enorm. Letzte Berechnungen gehen von 410 Millionen Euro im Jahr aus. Diese Daten stammen aber aus 2014. Seitdem ist die Branche am Hamburger Standort um mehr als 50 Prozent gewachsen. Also dürfte die Wertschöpfung insgesamt 600 Millionen Euro jährlich übersteigen.
Wertschöpfung über 600 Millionen Euro
Die Wertschöpfung beginnt bereits beim Einlaufen eines Schiffes. Da fallen Hafengebühren an, die Hamburg Cruise Net mit 11.500 Euro pro Schiff beziffert. Hinzu kommen Lotskosten. Die Gebühren der Hafenlotsen belaufen sich im Schnitt auf 2419 Euro, die der Elblotsen auf 13.843 Euro pro Schiff. Nicht zu vergessen – wenn auch gering – sind die Kosten für die Festmacher von durchschnittlich 1500 Euro. An den beiden Terminals in der HafenCity und in Altona fallen Ausgaben für die Abfertigung der Passagiere und des Gepäcks an sowie für die Abwasserentsorgung und Frischwasseraufnahme. Die Kosten für Proviantierung, Reparaturen und den Treibstoff schlagen noch deutlicher zu Buche.
Zudem lassen die Passagiere sowie die Crewmitglieder, die nach Hamburg kommen, auch Geld in der Stadt. Dabei muss zwischen denjenigen Gästen unterschieden werden, die als Transit-Passagiere nur ein paar Stunden in der Stadt verweilen, und denjenigen, die hier ihre Kreuzfahrt beginnen oder beenden. Diese sogenannten Turnaround-Gäste hängen gern noch die eine oder andere Übernachtung in der Stadt an ihre Reise an. Nach einer Studie des englischen Consulting-Unternehmens G. P.
Wild gibt ein solcher Gast im Durchschnitt 75,12 Euro in Hamburg aus, ein Transit-Gast 27,46 Euro. Crewmitglieder sind sparsamer und geben im Schnitt 25,44 Euro aus. Die Wertschöpfung beläuft sich auf knapp 21 Millionen Euro. Experten vermuten, dass diese Berechnung sehr konservativ ist. Da immer mehr Kreuzfahrtpassagiere individuell an- und abreisen, gibt es keine zentrale Erfassung der Zwischenübernachtungen in der Hansestadt. Die Zahl könnte also höher liegen.
Hamburgs Hafen galt als teuer
Lange hat es gedauert, bis Hamburg bei den Kreuzfahrtunternehmen als Destination auf der Landkarte erschien: Dass Kreuzfahrten nicht nur unter Palmen und bei 30 Grad im Schatten starten müssen, hatte Rostock als Hauptsitz des deutschen Unternehmens Aida bereits vorgemacht. Doch Hamburgs Hafen galt als teuer und die lange Anfahrt über die Elbe als zu lang. Nicht einmal ein Dutzend Kreuzfahrtschiffe pro Jahr verirrten sich anfangs in die Hansestadt. Abgefertigt wurden sie mitten im Hafen am O’Swaldkai, zwischen Autoverladung, Gefahrgutlagerung und dem Fruchtumschlag.
Taxifahrer wussten gar nicht, wo sie ihre Kreuzfahrtgäste abholen sollten. Hamburgs dann doch rasanter Aufstieg zur angesagten Kreuzschifffahrtsmetropole ist untrennbar mit zwei Auslösern verbunden: Zum einen entdeckte die Politik den Wert der Branche für sich – nicht zuletzt vorangetrieben durch den damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Freytag (CDU), selbst ein begeisterter Kreuzfahrer. Zum zweiten mit der Gründung des Hamburg Cruise Center e. V. im Jahr 1998. Heute trägt das Netzwerk den Namen Hamburg Cruise Net e. V. (HCN) und gilt mit mehr als 115 Mitgliedern als erfolgreiches Beispiel für das gemeinsame Engagement von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft im Rahmen einer Private Public Partnership.
„Von Anfang an war es die Idee, in der Hamburger Wirtschaft eine Kreuzfahrtcommunity aufzubauen, die sich gegenseitig befruchtet und zur Problemlösung beiträgt. „Unter den Kreuzfahrtmetropolen hat Hamburg hier ein Alleinstellungsmerkmal“, erklärt Stefan Behn, Vorstandsvorsitzender von HCN. Ein Wendepunkt sei die spektakuläre Taufe der „Aidadiva“ 2007 gewesen. Diese habe gezeigt, dass der Kreuzfahrtmarkt nicht nur Passagiere anlockt, sondern auch viele Tagesbesucher, die nur mal an der Pier stehen und gucken wollen.
Erstaunliche Entwicklung
Zu regelrechten Volksaufläufen kommt es seitdem bei Schiffstaufen, den Cruise Days – und wenn die „Queen Mary“ die Elbe hochkommt – trotz ihrer inzwischen regelmäßigen Besuche. Rund 4000 Fachbesucher aus aller Welt zieht zudem alle zwei Jahre die Kreuzfahrtmesse Seatrade in die Hansestadt.
„Hamburg hat als Kreuzfahrtstandort eine ganz erstaunliche Entwicklung gemacht, nicht zuletzt weil sich die Stadt insgesamt dafür eingesetzt hat“, sagt Grammerstorf. Mit der Förderung der Kreuzfahrten habe sich die Hansestadt auch international ein positives Image erworben. „Die Taufe eines Kreuzfahrtschiffs bei laufendem Betrieb auf der Elbe wäre vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen, meint er. „Heute geht’s. Das ist für alle ein Gewinn.“