Hamburg. Mehr als zehn Angreifer zünden Reifen an und werfen Farbgläser. Laut Experten wurde Schlimmeres verhindert.
Die Farbe an den Fenstersimsen ist abgeblättert, ruhig liegt das Wohnhaus an der steingepflasterten Seitenstraße in Altona da. Es wäre auch an diesem Freitagmittag höchstens anhand des Polizeicontainers auf der Straße zu erahnen, dass hier Olaf Scholz (SPD) wohnt – wären da nicht noch die Spuren eines gefährlichen Brandanschlags auf das Haus des Bundesfinanzministers, Vizekanzlers und Bürgermeisters. Schwarze Farbe läuft die Fassade herab. Es riecht nach Lösungsmitteln. Und am Container sind schwarze Flecken dort, wo die Täter zündelten.
Sie kamen in der Nacht zum Freitag als Gruppe von mehr als zehn Personen, heißt es von der Polizei. Gegen 1.05 Uhr laufen sie die Straße herunter, offenbar schon mit Steinen, einem Autoreifen und mit Farbe gefüllten Marmeladengläsern als Waffen. Sie lehnen den Reifen an den Wachcontainer der Polizei und entzünden ihn. Den Rest werfen sie seitlich und frontal gegen die Fassade des Wohnhauses, während Olaf Scholz auf dem Weg zum G-20-Gipfel in Buenos Aires ist. Dann flüchten sie unerkannt.
Polizei fahndet mit 30 Streifen nach den Tätern
Beamte in einem Streifenwagen des Kommissariats 21 an der Mörkenstraße fahren kurz darauf zufällig am Tatort vorbei und entdecken den brennenden Autoreifen. Sie ersticken die Flammen mit einem Feuerlöscher. Sofort wird eine Großfahndung nach den Tätern eingeleitet. Die Einsatzzentrale alarmiert insgesamt rund 30 Streifenwagen, die aus allen Himmelsrichtungen nach Altona beordert werden.
Die Suche ergibt jedoch zunächst keine heiße Spur. Nach ersten Erkenntnissen hatten sich die Unbekannten die Steine vor der Tat an einer nahegelegenen Kirche bereitgelegt. Der Staatsschutz ermittelt wegen einer möglicherweise politisch motivierten Tat. „Ein Bekennerschreiben ist bislang nicht bekannt“, sagt eine Polizeisprecherin am Freitagnachmittag. Ein mögliches Motiv ist „Rache“ dafür, dass Olaf Scholz den vergangenen G-20-Gipfel im Jahr 2017 in Hamburg stattfinden ließ und die linke Szene nach den Krawallen scharf kritisierte.
Es ist möglich, dass die Beamten aus dem Streifenwagen mit ihrem schnellen Eingreifen noch viel Schlimmeres verhindert haben. „Generell gibt es ein Risiko, dass das Feuer auf Wohnhäuser überschlägt, wenn der Abstand zum Brandherd weniger als fünf Meter beträgt“, sagt Falk Fischer, der in Hamburg als Sachverständiger für Feuerschäden arbeitet.
Entscheidend sei im vorliegenden Fall auch, aus welchem Material die Rollläden an dem Wachcontainer gefertigt sind. Wenn es sich um übliches Kunststoff handelt, hätte der gesamte Container in Brand geraten und die Flammen auf ein danebenstehendes Auto oder ein nahestehendes Wohnhaus übergreifen können. „Grundsätzlich müssen Täter bei einem Brandanschlag davon ausgehen, dass sich das Feuer auf andere Objekte ausweiten könnte.“
Polizei sucht Zeugen des Anschlags
Die meisten Anwohner erfahren erst am Freitagmorgen, was sich in der Nacht in ihrer Wohnstraße abgespielt hat. Sie sind an ihren prominenten Nachbarn ebenso gewöhnt wie an die Gefahr, die damit einhergeht. Es kam bereits mehrfach zu Attacken in der Straße. Im März 2017 hatte es einen Brandanschlag auf ein Fahrzeug der Bewachungskräfte gegeben. Damals war, direkt um die Ecke vom Wohnhaus von Scholz, ein in der Schmarjestraße geparkter Mannschaftswagen der Polizei angesteckt worden. Das Feuer hatte auf andere Fahrzeuge und Anbauten an dem Hotel übergegriffen. In einem Bekennerschreiben hatten sich Linksextremisten zu der Tat bekannt.
Angst habe sie weiterhin nicht, sagt die Anwohnerin Helga Wahls und ergänzt: „Wenn die Rollos am Polizeicontainer oben sind, grüße ich die Polizisten.“ Ein weiterer Nachbar berichtet von einer Freundin mit Kindern im gegenüberliegenden Haus, die am Freitagmorgen sehr besorgt war.
Anwohner Jann-Peter Visser sagt, die ständige Polizeipräsenz in der ruhigen Gegend verursache ein leicht ungutes Gefühl: „Man sieht, dass es wohl angebracht ist.“ Der Betreiber eines Kiosks um die Ecke sagt, Olaf Scholz habe ihm persönlich versichert, dass er seine Wohnung behalten wolle. Er fühle sich sicherer, wenn die Polizei da sei. Da Scholz während der Woche in Berlin ist, habe die Präsenz aber abgenommen. Nach Abendblatt-Informationen ist auch nach dem Anschlag keine Dauerbewachung der Straße geplant. Die Polizei bittet Zeugen des Brandanschlages, sich zu melden. Hinweise werden unter Tel. (040) 428 65 67 89 entgegengenommen.