Hamburg. Laut neuem Bundesgesetz sind sie bei geringer Grenzwertüberschreitung nicht verhältnismäßig. Die Regel soll von Frühjahr an gelten.

Als bundesweit erste Stadt verhängte Hamburg im Mai 2018 Fahrverbote für ältere Diesel auf Abschnitten der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße. Nun aber könnten die wegen Überschreitung der EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) eingerichteten Durchfahrtsbeschränkungen bald wieder aufgehoben werden.

Hintergrund ist die geplante Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die schon bald in Kraft treten soll. Mit ihrer Gesetzesnovelle kann die Große Koalition zwar nicht den EU-Grenzwert für das aus Dieselmotoren stammende Stickstoffdioxid ändern, der seit 2010 bei 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel liegt.

Der Gesetzentwurf stelle aber klar, „dass Verkehrsverbote bei geringeren NO2-Belastungen – bis zu einem Wert von 50 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel – in der Regel nicht erforderlich sind“, so das federführende Bundesumweltministerium. Es sei davon auszugehen, dass die Grenzwerte dort durch bereits beschlossenen Maßnahmen des Bundes und die Softwarenachrüstung von Fahrzeugen eingehalten würden.

Werte nur in der Habichtstraße deutlich über EU-Grenzwert

Mit einer solchen Gesetzesänderung des Bundestages würden auch die Hamburger Fahrverbote im Nachhinein als unverhältnismäßig gelten. Denn die Werte, sowohl an der Stresemannstraße (45 Mikrogramm im Jahr 2018) wie auch Max-Brauer-Allee (46), liegen genau in dem betroffenen Bereich zwischen 40 und 50 Mikrogramm NO2.

In der Kieler Straße wurde 2018 der Grenzwert mit 44 Mikrogramm im Jahresdurchschnitt ebenfalls leicht überschritten. Nur in der am stärksten belasteten Habichtstraße lag er 2018 mit 55 Mikrogramm deutlich über dem EU-Grenzwert.

Ausgerechnet dort aber hatte der rot-grüne Senat auf Fahrverbote verzichtet – mit Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit. Als Teil des Rings 2 wird die Habichtstraße stark befahren, Einschränkungen würden den Lkw-Verkehr auf benachbarte Straßen verdrängen und in Konflikt mit dort gebauten Fahrradstrecken geraten, so die Begründung des Senats.

Gesetzesnovelle könnte im Frühjahr in Kraft treten

Nachdem die EU-Kommission in der vergangenen Woche signalisiert hat, dass sie gegen die GroKo-Pläne nichts einzuwenden hat, soll die Gesetzesnovelle schnell im Bundestag beschlossen werden. Da der Bundesrat nicht zustimmen müsse, könne sie vermutlich bereits im Frühjahr in Kraft treten, so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums.

In manchen Städten, in denen zuletzt flächendeckende Fahrverbote geplant waren, etwa München, sind diese aufgrund der Verbesserungen der Werte wohl wieder vom Tisch. In Wiesbaden hatte die sonst sehr klagefreudige Deutsche Umwelthilfe (DUH) ihre Klage auf ein Fahrverbot jüngst zurückgezogen.

„Die Entscheidung des grünen Umweltsenators Jens Kerstan sind als reine Kampagne gegen den Diesel entlarvt“, sagt CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm. Sobald der Bundestag die geplante Gesetzesänderung beschließe, werde „die CDU-Bürgerschaftsfraktion den rot-grünen Senat auffordern, die unsinnigen Fahrverbote unverzüglich aufzuheben“, so Gamm. „Die Fahrverbote sind weder öko noch logisch und haben in Hamburg die Gesamtbelastung mit Schadstoffen sogar noch erhöht.“

„Mehr Staus und Abgase durch Fahrverbote“

Auch der ADAC forderte, „im Falle der geplanten Gesetzesänderung zu prüfen, ob die umgesetzten Fahrverbote wieder rückgängig gemacht werden können“, wie Sprecher Christian Hieff sagte. „Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, dass bei geringfügigen Überschreitungen bis 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft von Fahrverboten abzusehen ist. Nicht nur aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, sondern weil durch die Fahrverbote mehr Staus und Abgase auf den Umleitungsstrecken entstehen. In der Summe wird die Luft durch die Durchfahrtsbeschränkungen nicht besser, sondern schlechter.“

Der Umweltverband BUND dagegen kritisierte das Vorhaben der Großen Koalition. „Anstatt eine praktikable Regelung wie die Einführung der Blauen Plakette endlich auf den Weg zu bringen, blamiert sich die Bundesregierung mit einer komplizierten und letztlich auf der Straße kaum zu kontrollierenden Gesetzesänderung“, sagte Geschäftsführer Manfred Braasch. „Damit ist niemandem geholfen, schon gar nicht den Menschen an den belasteten Straßen in Deutschlands Großstädten.“

Umweltbehördensprecher Jan Dube sagte, es sei ein „plumpes Ablenkungsmanöver“, jetzt „auf Kommunen, Gerichte oder Umweltverbände einzudreschen“. Eine „flächendeckende Nachrüstung alter Dieselautos wäre die effektivste Maßnahme“, so Dube. „Klar ist, dass wir jetzt gründlich bewerten müssen, wie Hamburg mit der angekündigten Gesetzesänderung verfährt.“

„Würde Schilder lieber heute als morgen abschrauben“

SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal sagte, die NO2-Belastung sei rückläufig. Ziel sei, „die Durchfahrtsbeschränkungen zu beenden und den Vorsorgewert spätestens 2020 überall in Hamburg einzuhalten“. Spätestens dann würden die Beschränkungen überflüssig.

„Sofern die geplante bundesgesetzliche Lockerung der bestehenden Diesel-Durchfahrtsbeschränkungen umgesetzt wird, muss zügig geprüft werden, welche rechtlichen Spielräume sich dadurch für Hamburg ergeben“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) dem Abendblatt. „Wenn ein Verzicht auf Diesel-Durchfahrtsbeschränkungen rechtlich möglich wird, würde ich die Verbotsschilder lieber heute als morgen abschrauben lassen.“