Sie war die erste Profi-Boxerin beim Hamburger Universum-Stall und wurde 1998 zur Weltmeisterin. Wie Regina Halmich heute lebt.

Angefangen hat alles in der Walddörfer Straße in Wandsbek in Hamburg. Regina Halmich ist 19 Jahre alt und lebt im Gym. Nicht nur so umgangssprachlich, nein, die junge Boxerin bewohnt ein Zimmer mit einem Doppelstockbett und einem Schrank direkt neben der Trainingshalle. Kein Luxus, dafür nah dran. Einen Fernseher gibt es nicht, eine Dusche im Sportzentrum natürlich schon, allerdings unisex. Daran müssen sich die Jungs erst einmal gewöhnen, dass da plötzlich eine junge Dame trainiert, die als solche wenig Lust auf gemeinschaftliches Abseifen verspürt. Muss das jetzt echt sein, weibliche Konkurrenz in der Männerdomäne Boxen? So denken zu der Zeit viele, wenn nicht alle.

Regina Halmich ist die erste Frau überhaupt mit einem Profivertrag als Boxerin beim weltbekannten Boxstall Universum – damals gleicht es einer Sensation. Sie ist unfassbar stolz, dabei sein zu dürfen – aber merkt, wie skeptisch die Trainingskameraden auf sie reagieren. Deshalb sagt Halmich ihrem Coach: „Wir ziehen genau das gleiche Pensum durch wie die Männer.“ Das beeindruckt die anderen. Ihr großes Idol Dariusz ­Michalczewski (Regina verpasst kein einziges Sparring von ihm) macht am Anfang noch Scherze, die Klitschkos sind höflicher, doch nach wenigen Monaten akzeptieren alle Regina wie ihre Schwester. Die Kleine könnte es weit bringen.

Regina Halmich war zwölf Jahre lang Weltmeisterin im Fliegengewicht

Wie recht die Kerle hatten, das junge, starke Ding in Ruhe duschen zu lassen. 54 Siege, zwölf Jahre lang Weltmeisterin im Fliegengewicht. Ungeschlagen! Was so einfach klingt, war in Wirklichkeit „ein harter Weg“, wie Regina Halmich im Interview mit dem Abendblatt erklärt. Draußen glitzert die Alster. Drinnen Halmichs Hosenanzug. Hier sitzt eine Frau, die alles erreicht hat, doch die dafür viel einstecken musste, nicht nur im Boxring.

Als sie Mitte der 90er die ersten Erfolge feiert, wird sie permanent mit bösen Untertönen und der Frage konfrontiert, ob man Frauen beim Boxen denn überhaupt sehen wolle? Regina Halmich gibt Vollgas, doch ihre Leistung scheint zweitrangig zu sein. „Es ging ständig darum, dass ich nur eine Frau bin“, sagt Halmich. „Da wurde ich fast aggressiv, doch im Grunde muss ich meinen Neidern und Kritikern danken, weil es mich noch stärker machte.“ Es tut ihr damals weh, nicht für voll genommen zu werden. Sie geht einen Schritt zurück, aber nur, um Anlauf zu nehmen.

Halmich: „Ich hatte das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein"

1998 verteidigt sie in Kiew ihren Weltmeistertitel zum ersten Mal. Die anwesenden Herren geben ihr nicht die Hand, bei der Pressekonferenz werden die weiblichen Boxerinnen nicht vor das Mikrofon gelassen. Der Bürgermeister meint, er wolle nicht, dass sie über Boxen sprechen. Frauen gehören seiner Ansicht nach in die Küche oder ins Bett, erzählt Regina Halmich: „Ich hatte das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Heute kann ich darüber lachen, aber zu dem Zeitpunkt war ich am Boden zerstört. Ich hatte immerhin gerade einen WM-Titel erfolgreich verteidigt und bekam nur auf den Deckel.“

Doch nach und nach baut sich Halmich eine große Fanbase auf. Bei ihren Kämpfen schauen fünf, sechs, sieben, acht Millionen Zuschauer zu, ganze Fernsehabende werden auf sie zugeschnitten. Doch die Bezahlung fällt relativ ungleich aus. Die männlichen Boxer leisten sich nach einem Kampf ein neues Auto. Halmich kann das nicht, obwohl sie die gleichen TV-Quoten einfährt. In den letzten drei Jahren ihrer Karriere nimmt sie sich deshalb einen Anwalt. Der fordert, dass nach Leistung bezahlt wird. Sie pokert hoch. Mehr Geld oder kein Kampf. Doch zu dem Zeitpunkt weißt die Sportlerin längst, welche Rolle sie spielt. Sie bekommt, was sie verdient: „Freiwillig hätte ich nie das Geld bekommen, das mir zusteht, ich musste es erst einfordern.“

Ihre Eltern schauen sich keinen einzigen Kampf an

Sie begeistert die Massen. Doch zwei Menschen gibt es, die sich keinen einzigen Kampf anschauen: ihre Eltern. Ihr Vater probiert es einmal und muss mit Herzschmerzen die Halle verlassen. „Das tue ich mir nie wieder an“, beschließt er. Fortan setzen sich die Eltern bei Kämpfen ins Auto und drehen ein paar Runden durch Halmichs Geburtsstadt Karlsruhe. Die Einzige, die immer am Ring die Stellung hält, ist die Schwester. Nach jedem Kampf ruft sie zu Hause an: „Alles gut gegangen, nur leicht verletzt.“

Beim Abschiedskampf der Weltmeisterin 2007 schauen neun Millionen Menschen zu, der Promoter Klaus-Peter Kohl („Mr. Universum“) schenkt ihr als Dank für eine außergewöhnliche Karriere einen Brillantring. Noch heute bekommt die 43-Jährige täglich Fanpost, sie wird als Moderatorin und Rednerin gebucht. Ein Loch nach dem Karriereende habe Halmich nie verspürt, weil sie immer viel zu tun hatte und bereits bei ihrem letzten Kampf wusste: „Ich werde nie wieder etwas so gut können wie boxen. Das ist einfach so, aber es war mir stets bewusst. Man muss sich nicht jeden Tag neu erfinden.“

Wenn Halmich Kämpfe kommentiert, kribbelt es

Frauenboxen hat sich inzwischen ex­trem weiterentwickelt, das verdankt der Sport seiner Pionierin Regina Halmich. Inzwischen verdienen Boxerinnen wie Katie Taylor oder Claressa Shields Millionen, sie füllen ganze Stadien. In Deutschland bekommt man davon leider nur wenig mit, weil unsere Kämpferinnen den Anschluss an die Spitze verloren haben. Halmich kommentiert regelmäßig Kämpfe, dann kribbelt es in ihrem ganzen Körper, und sie muss aufpassen, nicht zu emotional zu werden.

Das Archaische, den Wettkampf, das harte Training vermisst sie nicht. „Zweimal täglich eisenhart über deine Grenzen gehen – ich frage mich manchmal, wie ich das geschafft habe“, sagt Halmich und nimmt einen Schluck von ihrem Wasser. Ganz gemütlich auf so einem Hotelzimmer-Sofa ... Hm, na ja, aber das Einmarschieren in eine Arena, die Musik, das kreischende Publikum, das sei schon ein unbeschreibliches Gefühl, gibt die ehemalige Leistungssportlerin zu. Vor jedem Fight wusste sie: „Ich gehe da jetzt rein und weiß nicht, wie ich rauskomme. Diese Spannung gibt einem einen Kick!“

Boxer sind extrem eitel

Doch heute muss sich Regina Halmich nicht mehr darum sorgen, wie ramponiert ihr Gesicht nach einem Arbeitstag aussieht. Man möchte es nicht meinen, aber gerade Boxer sind extrem eitel. Das sei keineswegs nur ein Thema unter Frauen, die männlichen Boxer wären damals nach den Fights direkt zum Spiegel gerannt, um ihre Blessuren zu betrachten, erzählt Halmich. „Da gab es manche böse Überraschung.“

Auch sie legte und legt großen Wert auf ihr Aussehen. Als Profi damals spielte Schönheit während des Trainings und der Kämpfe keine Rolle, doch nach dem Kampf war die Boxerin wieder ganz Frau. Selten hatte sie die Möglichkeit, sich schön zu zeigen. Bei den Kämpfen sah man sie blutverschmiert, mit Vaseline im Gesicht, die Haare seltsam geflochten.

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„Als Boxerin siehst du immer unvorteilhaft aus, obwohl du im Fernsehen bist. Andere treten wunderschön geschminkt vor die Kamera, das hatte ich nie. Deshalb wollte ich im Alltag immer weiblich bleiben, das war mir ganz wichtig“, sagt Regina Halmich, die sich heute gerne schminkt und Schuhe liebt. Und sie macht Werbung für „CoolSculpting“, eine Methode, bei der kleine Fettpolster mit Kälte behandelt werden. Ganz ohne Operation oder Narkose sollen so Hüften, Bauch oder Oberarme besser aussehen.

Halmich hat sich die Arme behandeln lassen

Eine Spitzensportlerin mit Problemzonen? Gibt es das wirklich? Doch, doch, erklärt das Testimonial: „Wir Sportler schauen anders in den Spiegel. Natürlich bin ich grundsätzlich mit mir zufrieden, doch wenn es gewisse Technologien gibt, die einen dabei unterstützen, das Beste aus sich herauszuholen, dann bin ich dabei.“ Sie habe sich die Arme behandeln lassen, die würden jetzt noch straffer sein. Als ehemalige Boxerin schaut man bei Fotos halt immer auf seine Oberarme. Fragt sich nur, ob diese Botschaft richtig verstanden wird.

Schönheit über alles? Auf keinen Fall, entgegnet Halmich. Nicht jeder müsse ständig etwas an sich verbessern, aber wenn man nicht glücklich sei, dann könne man etwas ändern, entweder mit Sport, mit Ernährung oder mit modernen Beautybehandlungen. „Absolut sexy finde ich, mit sich selbst im Reinen zu sein“, erklärt Halmich. Wenn jemand etwas Positives ausstrahle, dann seien die Figur und das Äußere zweitrangig. „Doch ich möchte es auch nicht kleinreden: Wir Menschen sind visuell veranlagt. Knackig werden wir immer besser finden als wabbelig.“

Halmich hatte beim Boxen den Killerinstinkt

Wie viel Mut besitzt sie heute noch? Ist Mut ein Muskel, den man permanent trainieren muss? Die Abgeklärtheit, das Unerschrockensein sind geblieben. Der Körper mag nicht mehr so auf Höchstleistung getrimmt sein, aber die mentale Stärke blieb erhalten – und die macht beim Boxen schätzungsweise mehr als 50 Prozent aus. Der besttrainierte Body nützt nichts, wenn du Zweifel hast. „Ich habe in der Gestik, der Mimik, in den Augen meiner Gegnerin jede Unsicherheit gespürt“, sagt Halmich. „Und in dem Moment habe ich sie aufgefressen.“ Das nennt man den Killerinstinkt.