Als Generalvikar im Erzbistum Köln habe Heße eine “indifferente Haltung“ zu Missbrauchsfällen an den Tag gelegt. Erzbischof wehrt sich.
Ein vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in Auftrag gegebenes anwaltliches Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche belastet nach Informationen von „Christ & Welt“ den Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Dabei gehe es um Heßes frühere Tätigkeit als Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln, teilte die „Zeit“-Beilage am Mittwoch mit. Heße bestreitet die Vorwürfe.
„Christ & Welt“ zitiert aus einer juristischen Stellungnahme des Erzbistums Hamburg vom 27. Mai, die der Redaktion vorliege. In dem Dokument werde das anwaltliche Gutachten wie folgt zitiert: „Dieser Befund gestattet die Schlussfolgerung, dass es sich bei den Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen basierend auf einer indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker.“
Heße wehrt sich gegen Vorwürfe im Missbrauchsskandal
Heße wehrt sich gegen den Vorwurf, in seinen früheren Funktionen mit Missbrauchsfällen falsch umgegangen zu sein. Er habe sich als Personalchef in seine Aufgabe gestürzt. „Ich sehe darin kein fehlendes Problembewusstsein, sondern ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, um jedem Fall gerecht zu werden“, sagt er in einem Interview mit „Christ & Welt“. „Für mich kann ich ausschließen, dass ich jemals versucht hätte, Täter zu schützen oder Taten zu vertuschen.“
Heße war zunächst Personalchef und dann von 2012 bis 2014 Generalvikar in Köln und damit einer der wichtigsten Mitarbeiter des damaligen Kardinals Joachim Meisner (1933-2017). Nach dem Bericht von „Christ & Welt“ kritisiert das in Woelkis Auftrag erstellte Gutachten einer Münchner Anwaltskanzlei Heßes Verhalten in sechs Fällen.
Erzbischof Heße schließt Rechtsmittel nicht grundsätzlich aus
Woelki hatte im März eine Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Gutachtens überraschend abgesagt. Grund sei eine unklare Rechtslage, hatte das Erzbistum damals mitgeteilt. Ursprünglich war geplant gewesen, bei der Präsentation auch diejenigen namentlich zu benennen, die im Erzbistum dafür verantwortlich waren, dass Missbrauchsfälle nicht konsequent aufgedeckt und geahndet wurden. Diese „identifizierbare Nennung der früheren Verantwortungsträger“ sei aber noch nicht in all ihren Rechtsaspekten „abschließend geklärt“, hatte das Erzbistum mitgeteilt.
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Heße bestätigt nun, dass er damals auf datenschutzrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Aspekte hingewiesen habe. In dem Interview mit „Christ & Welt“ kritisiert er das Gutachten. „Ich habe insgesamt den Eindruck, die Verfasser der Studie hätten gründlicher arbeiten können.“ Er verlangt, dem Gutachten seine Sicht der Vorgänge gegenüberzustellen. Auf die Frage, ob er notfalls mit juristischen Mitteln gegen die Münchner Kanzlei oder das Kölner Erzbistum vorgehen werde, antwortet er: „Ich setze auf den gesunden Menschenverstand im Erzbistum Köln und in der Kanzlei in München.“
Heße räumt ein "Mitverantwortung" zu tragen – aber keine Schuld
Auf die Frage, ob er Schuld auf sich geladen habe, antwortet Heße in dem Interview: „Schuld nein, Mitverantwortung ja.“ Auch räumt er ein, anfangs auf die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen nicht vorbereitet gewesen zu sein. „Dafür war ich auch nicht ausgebildet. Das sehe ich heute als sehr großes Defizit.“
Die von Woelki in Auftrag gegebene Untersuchung erfolgte nach Angaben des Erzbistums Köln völlig unabhängig. Geprüft wurde demnach, ob die Vorgehensweise der Verantwortlichen in der Verwaltung des Erzbistums „jeweils im Einklang mit den Vorgaben des kirchlichen und des staatlichen Rechts“ stand.
Eine vor eineinhalb Jahren von der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellte Studie hatte ergeben, dass zwischen 1946 und 2014 mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 meist männliche Minderjährige missbraucht haben sollen. Kritiker bemängelten an dieser Studie, dass die Autoren keinen Zugang zu Originaldokumenten in den Kirchenarchiven bekommen hatten. In der Kölner Studie soll das der Fall gewesen sein.