Hamburg. Debatte zwischen Oberbaudirektor Höing und Denkmalschützerin Sassenscheidt – uneinig sind sie sich nur nur bei einer Brücke.

Von seinem Büro im zwölften Stock der Stadtentwicklungsbehörde in Wilhelmsburg hat Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ganz Hamburg im Blick. Ob der oberste Bauherr der Stadt dabei auch die Bewahrung ihrer historischen Substanz nicht aus den Augen verliert, darüber diskutiert er auf Abendblatt-Initiative mit Kris­tina Sassenscheidt, der Geschäftsführerin des Denkmalvereins. Viele Hamburger empören sich über den Abriss historischer Villen.

Müssen sich die Hamburger um das historische Gesicht ihrer Stadt Sorgen machen?

Franz-Josef Höing: Nein. Wir tun alles dafür, dass dieses Erbe bewahrt wird und die geschichtliche Entwicklung der Stadt erlebbar bleibt. Bei jedem historischen Gebäude fragen wir nach dessen Qualität und Bedeutung. Auch wenn wir dabei nicht einem Bauchgefühl, sondern Expertenmeinungen folgen, glaube ich, dass unser Blick auf die Stadt (er schaut zu Kristina Sassenscheidt) gar nicht so unterschiedlich ist.

Kristina Sassenscheidt: Auch der Denkmalverein gründet sein Engagement auf fachliche Expertise, insbesondere des Denkmalschutzamtes. Und wir sehen, dass wir gerade sehr aufpassen müssen, dass der Charakter und die Lebensqualität in unserer Stadt erhalten bleiben. Im Vergleich zu anderen Städten hat Hamburg schon viel historische Substanz verloren – durch den Großen Brand, den Zweiten Weltkrieg oder die Kahlschläge der vergangenen Jahrzehnte. Jetzt gerade geht es vor allem den Gründerzeithäusern an den Kragen.

Das treibt offenbar viele Hamburger um. Wir erhalten jedenfalls nach entsprechenden Berichten zahlreiche Leserbriefe.

 Höing: Zu oft wird aber nur auf diese historischen Gebäude in prominenten Lagen geschaut. Ich wünsche mir auch einen Blick auf die deutlich spröderen Quartiere, die nach dem Krieg entstanden sind – beispielsweise in Rothen­burgs­ort. Gerade wird intensiv diskutiert, wie sich die Stadt hier in den nächsten zwei Jahrzehnten entwickeln wird. Hier wünsche ich mir von uns allen die gleiche sorgfältige Betrachtung wie bei Gebäuden, die idealerweise noch über ein bisschen Stuck verfügen.

 Sassenscheidt: Auch die Bauten der Nachkriegsarchitektur und der Postmoderne zählen zu den besonders gefährdeten Objekten. Wir kümmern uns schon lange darum. Gerade anhand dieser jüngeren Gebäudebestände lässt sich ein weiterer wichtiger Aspekt thematisieren: Die allergrößte Herausforderung der nächsten 20 Jahre ist die Klimakrise, und da spielt die Bauwirtschaft eine Schlüsselrolle. Gebäude sind Ressourcenspeicher: Erhaltung und Weiternutzung egal welcher Gebäudegeneration spart Energie und CO2-Ausstoß. Die Stadt selbst kann bei der nachhaltigen Stadtentwicklung vorbildhaft vorangehen. Doch es fehlt ein Konzept für nachhaltige Stadtentwicklung.

 Höing: Was ist uns der Bestand wert? Das fragen wir uns bei jedem Bauprojekt, auch wenn es für graue Energie keine Patentrezepte gibt. Aktuell etwa laufen Gespräche zwischen der Stadt und Investoren, wie wir mit den Quartieren auf der Horner Geest verfahren wollen, wo immerhin knapp 20.000 Menschen wohnen. Dabei schauen wir uns sehr sorgfältig die Qualität der Bebauung, aber auch der Freiräume an. Das Stichwort ,graue Energie‘ lasse ich immer wieder fallen. Doch wenn man sich fragt, wo die Stadt wachsen soll, sind die Ränder nur eine Antwort. Abgesehen von den neuen Quartieren Oberbillwerder und der Gartenstadt Öjendorf im Hamburger Osten findet die Veränderung innerhalb der bestehenden Stadt statt.

Und dort müssen für Neubauten immer mehr historische Gebäude abgerissen werden. Wie sieht es denn mit der Sorgfalt bei der Prüfung dieser einzelnen Gebäude
aus?

 Höing: Auch dort gehen wir sehr behutsam vor. Nehmen Sie beispielsweise das Postbankgebäude aus den 80er-Jahren in der City Nord, das der Investor eigentlich abreißen wollte. Nach einer genauen Betrachtung der Substanz ist nun in der Auslobung des Architektenwettbewerbs die Rede davon, dass Gebäude zu zwei Dritteln zu erhalten und auf den Bestand einen Holzaufbau zu setzen. Für die meisten Architekten und Architektinnen ist der Umgang mit dem Bestand ein neues Feld, auf das sie sich hinbewegen. Das ist auch bei den Investoren hinsichtlich der Gründerzeitvillen zu bemerken. Da führen wir mittlerweile ganz andere Diskussionen als noch vor zehn Jahren.

 Sassenscheidt: Das kann der Fall sein, aber nur, wenn es sich für Investoren rechnet – und das tut es oft nicht bei Gründerzeitvillen, die nur zwei bis drei Stockwerke hoch sind. Die meisten davon stehen nicht unter Schutz, weshalb die Stadt häufiger Städtebauliche Erhaltungsverordnungen anwenden sollte, um ihren Abriss zu verhindern.

 Höing: Vielleicht muss der Denkmalschutz an der ein oder anderen Stelle noch etwas mutiger werden.

Es passiert aber ja auch, dass Oberbaudirektoren dafür plädieren, stadtbildprägende oder sogar unter Schutz stehende Bauwerke abzureißen. Ihr Vorgänger hat den Abbruch der denkmalgeschützten City-Hochhäuser forciert, Sie sprechen sich für den Abriss der Cremonbrücke an der Ludwig-Erhard-Straße aus ­…

 Sassenscheidt: … die der Denkmalverein und viele andere Hamburger unbedingt erhalten wollen. Es gab ursprünglich die Überlegung, nur die Fassade des Holcim-Gebäudes zu erneuern. Sie aber brachten die Idee auf, das Gebäude komplett neu zu bauen und dazu auch noch die Brücke abzureißen.

 Höing (an Kristina Sassenscheidt gewandt): In dieser Hinsicht habe ich überhaupt kein Verständnis für Ihre Haltung. An der Stelle kann sich der Stadtraum nicht weiterentwickeln. Die Brücke verhindert eine Aufwertung des Hopfenmarkts und zelebriert den Auto- und Individualverkehr. Dass der Hopfenmarkt mittlerweile ein Parkplatz ist, darf keine dauerhafte Situation bleiben.

 Sassenscheidt: Das Problem des Platzes ist nicht die Brücke, sondern die sechsspurige Straße! Die Brücke wurde vielmehr als qualitätvolle Fußgängerquerung geschaffen um durch ihre Treppenanlage den Hopfenmarkt aufzuwerten. Hier droht ein besonderer Stadtraum verloren zu gehen. Durch den Abriss der Brücke wird zudem eine große Chance vertan, den Hopfenmark in die Entwicklung des Ortes einzubeziehen.

 Höing: Das sehe ich nicht so. Um den Hopfenmarkt zurückzuerobern, muss hier etwas passieren. Dazu wird auch die Gestaltung der Südseite beitragen, die durch den Neubau eine völlig neue Eingangssituation für die Cremoninsel und das Nikolaiquartier schafft.

Es gab ja mal die Idee, die Brücke zu verlagern. Prüft die Stadt diese Möglichkeit?

 Höing: Wir sind in Gesprächen mit den Bezirken, die nach Orten dafür suchen.

 Sassenscheidt: Es wäre sehr sinnvoll, dabei auch die Öffentlichkeit einzubeziehen, die sicherlich gute Ideen beitragen kann.

Kommen wir zum Café Seeterrassen. Wie stehen Sie als Oberbaudirektor zu den umstrittenen Plänen der Messe GmbH, das Gebäude abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen?

 Höing: Das ist ein Haus mit Charme, an das viele Hamburger gute Erinnerungen haben und das auch mir am Herzen liegt. Ich vertrete durchaus die Haltung, dass man an dem Gebäude die eine oder andere hinzugekommene Schicht abtragen und dadurch seine interessante Architektur wieder zum Vorschein bringen kann. Man sieht doch Harald Juhnke förmlich noch vor sich, wie er die Treppe hinuntersteigt, während hinter ihm auf der Terrasse das Orchester spielt. Aber Spaß beiseite: Wir haben uns das Haus von außen und von innen angesehen und Diskussionen mit dem Eigentümer geführt. Die Entscheidung für einen Abriss ist aus meiner Sicht noch nicht getroffen.

Wie kann man ihn verhindern?

 Höing: Man muss miteinander reden!

 Sassenscheidt: Dass es einen politischen Willen zum Erhalt des Cafés gibt, ist gut zu hören. Und ich freue mich, dass Sie das Thema ,Graue Energie‘ auch stärker voranbringen möchten.

Könnte das nicht auch ein Instrument sein, um den Abriss des Bürohauses am Johannisbollwerk 10 zu verhindern?

 Höing: Das weiße Haus prägt an dieser Stelle ein Stück weit das Gesicht Hamburgs an der Elbe. Wir haben sehr intensiv mit dem Denkmalschutzamt über eine Unterschutzstellung diskutiert; es ist drinnen zu verbaut. Jetzt sind wir mit den neuen Eigentümern im Gespräch. Die ursprünglich geplante Hotelnutzung wird aber nicht weiter verfolgt.

 Sassenscheidt: Es ist absurd, dass hier ein so prägendes und voll funktionsfähiges Wohnhaus ohne Not für eine Büronutzung geopfert wird ...

An anderer Stelle sind ja bereits Neubauten hinter historischen Fassaden entstanden. Wie stehen Sie dazu, Herr Höing?

 Höing: Damit habe ich kein grundsätzliches Problem. Ich kann aber qua Amt nur für bestimmte Dinge werben, sie nicht verordnen.

Und wie sehen Sie das, Frau Sassenscheidt?

 Sassenscheidt: So ein „Fassadismus“ darf nur die Ausnahme darstellen – die meiste Geschichte steckt ja oft im Inneren der Gebäude

Letzte Frage: Wie geht es weiter mit der Sternbrücke?

 Sassenscheidt: Gerade wurde das Gutachten veröffentlicht, das die bautechnische Erhaltungsfähigkeit der Brücke belegt. Die Brücke ist ein eingetragenes Kulturdenkmal, ihr Abriss ließe sich also nur rechtfertigen, wenn andere öffentliche Interessen wichtiger sind. Dank der Verkehrswende braucht es keinen Neubau für vier Autospuren unter der Brücke – und für die Stadt wäre die Sanierung günstiger als jeder Neubau, weil die Bahn die Sanierung bezahlen müsste. Es spricht also alles für den Erhalt.

Höing: Die Dinge sind da etwas komplexer. Ich sehe die Notwendigkeit, dass eine dauerhaft leistungsfähige Bahnbrücke gebraucht wird, und ich finde es aber gleichermaßen wichtig, dass auch Fußgänger, Radfahrer und Busse ausreichend Platz bekommen.