Hamburg. Der Erzbischof gibt Fehler im Schulstreit zu. Künftig will er stärker mit der evangelischen Kirche kooperieren.
Vor einem Jahr kündigte das Erzbistum Hamburg völlig überraschend die Schließung von mindestens fünf katholischen Schulen in der Hansestadt an – und brachte viele Gläubige gegen sich auf. Im Gespräch mit dem Abendblatt gibt sich der Erzbischof Stefan Heße nun selbstkritisch und nachdenklich.
Im Januar 2018 hat das Bistum die Schließung von fünf Schulen verkündet. Würden Sie es heute wieder so machen?
Stefan Heße: So würde ich es sicher nicht noch einmal machen. Die Kommunikation und Einbeziehung der Betroffenen hätten besser sein müssen. Wir hatten das Thema in den Gremien besprochen und uns dann von der finanziellen Lage zu sehr unter Druck setzen lassen. Wir wollten nicht nur die Not zeigen, sondern uns der Verantwortung stellen und handeln.
Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Heße: In diesem umfassenden Veränderungsprozess müssen wir selbstverständlicher mit den Betroffenen ins Gespräch kommen und dürfen sie nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Der Frust, der Schock und die Enttäuschung sitzen tief.
Haben Sie die Wichtigkeit der katholischen Schulen in der Stadt unterschätzt?
Heße: Ich wusste um die besondere Stellung der Schulen, auch aus der Geschichte heraus: In Hamburg gab es ja erst die Schulen, dann bildeten sich die Gemeinden. Wir haben im Erzbistum Hamburg 24 Schulen, im Erzbistum Köln mit seiner fünffach größeren Zahl an Gläubigen nur 30. Wir können das Geschehen nicht zurückdrehen, aber ich möchte mit den Schulen stärker ins Gespräch kommen.
Ist das eine Bitte um Entschuldigung?
Heße: Ich sehe, dass wir Menschen wehgetan haben. Da möchte ich um Entschuldigung bitten. Der Weg nach vorne wird nicht im Hauruckverfahren beschritten. Das Vertrauen kann nur langsam wachsen.
Inzwischen ist klar, dass es sechs Schulen treffen wird. Ist das Thema damit durch?
Heße: Unser Ziel ist die zukunftsorientierte Entwicklung von mindestens 13 katholischen Schulen in Hamburg, hoffentlich 15. Wir werden ein wirtschaftlich solides Schulsystem schaffen, das pädagogisch und räumlich den künftigen Ansprüchen gerecht wird.
Wie ist der Stand für die beiden gefährdeten Einrichtungen?
Heße: Ich bin dankbar, dass viele Menschen helfen wollen. Für die Katholische Schule Harburg und die Katholische Sophienschule in Barmbek haben wir das Moratorium um ein Jahr verlängert. Wir sehen hoffnungsvolle Zeichen für eine Lösung. Aber wir sind auf Spender und Investoren angewiesen.
Hilft die Schulbehörde?
Heße: Wir sind dankbar für die Unterstützung aus Behörden und Senat. Die Erhöhung der Zuwendungen für die freien Träger geht in die richtige Richtung. Aber in den kommenden Monaten werden weitere Gespräche notwendig sein.
Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, Tafelsilber zu verkaufen, etwa ein Krankenhaus …
Heße: Möglich ist vieles. Wir sollten keine Option ausschließen. Natürlich müssen wir uns die Frage stellen, was verantwortbar ist und wem es am Ende nützt. Viel Tafelsilber hat die Diözese nicht. Wir sind mit 24 Jahren ein sehr junges Bistum und leben unter bescheideneren Bedingungen als manch andere. Das macht uns aber auch beweglicher.
Man könnte den Dom – wie etwa den Michel – für Veranstaltungen vermieten.
Heße: Im Verständnis der Kirchenräume unterscheiden wir uns noch etwas. Kirchen sind sakrale Räume, da müssen wir vorsichtig sein.
Können Sie ausschließen, dass Kirchen entwidmet werden?
Heße: Das Erzbistum Hamburg hat viele Gebäude: Kirchen, Pfarrhäuser Gemeindehäuser – und natürlich stellt sich in dem Konsolidierungsprozess die Frage, ob wir alle in Zukunft weiterhin brauchen. Oder sollten wir einen Teil vermieten? Zugleich kann man die Frage stellen, ob sich nicht Gemeinden auch in Stadtteilhäusern einmieten können. Ich kenne sogar einen Pfarrer, der ist in ein Ladenlokal gezogen – mitten in der City – und hat ganz andere Menschen erreicht. Immobilien machen uns manchmal immobil. Es gibt Gemeinden im Osten, da fahren wir mit einem Bus in die kleinen Orte. Kann das nicht auch eine Möglichkeit sein?
Die evangelische Kirche hat ähnliche Probleme. Müsste Ökumene nicht bei den Gebäuden beginnen?
Heße: Das ist eine zentrale Frage. Warum tun wir uns als Christen nicht häufiger zusammen? Es gibt viele Dörfer, Städte und Stadtteile, in denen beide Gemeinden klein sind. Reicht da nicht eine Kirche oder ein Gemeindezentrum? Denkbar ist es.
Gibt es dahingehend Überlegungen?
Heße: Ja , es hat schon Gespräche gegeben. Aber die sind noch nicht so weit. Wir können aber auf Erfahrungen aufbauen. In Kiel-Mettenhof nutzen die katholische und die evangelische Gemeinde von Anfang an Kirche und Gemeindehaus gemeinsam. In Ahrensbök sind wir in der evangelischen Kirche zu Gast. In Damp war es eine Zeit lang umgekehrt. Und bei großen Baumaßnahmen wie zuletzt noch in Glinde ist ökumenische Gastfreundschaft eine Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin.
Sie machen das Angebot, Gläubigen per WhatsApp Nachrichten und Impulse direkt aufs Smartphone zu schicken. Ist das Kirche im 21. Jahrhundert?
Heße: Ja . Wir müssen die Medien nutzen, die heute passen. Ich merke, dass ich damit viele Menschen erreiche – dafür muss ich sonst oft lange predigen. Der persönliche Dialog ist mir aber sehr wichtig: Ich habe mir vorgenommen, alle 28 pastoralen Räume in diesem Jahr zu besuchen. Dabei geht es auch darum, wie wir die Aufgaben von Kirche in Zukunft angesichts des Priestermangels organisieren wollen. Die Seelsorge liegt beim Pfarrer, aber können Verwaltungs- und Leitungsaufgaben nicht auch von Laien übernommen werden?
Werden Sie noch erleben, dass Gemeinden in Zukunft ausschließlich von getauften Laien geführt werden?
Heße: Ich bin ja noch über 20 Jahre hier Bischof – damit rechne ich, ja.
Wie entwickeln sich denn die Mitgliederzahlen?
Heße: Erstmals seit Jahren ist die Zahl der Gläubigen nicht mehr gestiegen. Bislang gehörten wir dank Zuwanderung zu den wenigen Diözesen in Deutschland, die wuchsen. Aufgrund der demografischen Entwicklung müssen wir uns darauf einstellen, dass weniger Menschen zu uns gehören. Da müssen wir vorausschauend agieren.
Noch fließt die Kirchensteuer reichlich …
Heße: Die Einnahmesituation ist tatsächlich aktuell nicht schlecht, aber die Pensionslasten drücken. Und angesichts der niedrigen Zinsen wird das Problem bleiben. Wir dürfen nicht weiter ins Minus rutschen. Zugleich stehen massive Investitionen an, nicht nur in die Schulen, sondern in viele Immobilien.
Gab es wegen der Schulschließungen Kirchenaustritte?
Heße: Ja , die gab es. Aber noch mehr nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie.
Der Missbrauchsskandal hat die Kirche als moralische Institution tief erschüttert. Wie wollen Sie Vertrauen zurückgewinnen?
Heße: Die Öffentlichkeit ist wichtig. In der Vergangenheit wurde oft verdrängt, vertuscht oder versetzt, das Thema totgeschwiegen, die Opfer sogar eingeschüchtert. Durch die Untersuchung sind wir einen Schritt weitergekommen. Wir müssen wachsamer und achtsamer werden und schauen, wo Fehler im System liegen. Die meisten Missbräuche durch Priester geschehen mehr als 14 Jahre nach der Priesterweihe. Es muss sich also etwas getan haben, was die Menschen zum Täter macht. Wir müssen nicht nur auf die Auswahl der Kandidaten schauen, sondern auch die Begleitung der Priester verbessern.
Wo sehen Sie persönlich Ihre Schwerpunkte im neuen Jahr?
Heße: Das sind die Themen Schule, Gemeindebesuche und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Wir haben noch die Immobilienreform in der Pipeline – aber da haben wir aus dem Schulstreit gelernt.
Schulschließungen: Elternrat setzt weiter auf Gespräche
Die Gesamtelternvertretung kämpft weiter für den Erhalt der katholischen Schulen in Hamburg. Trotz starker Proteste halte das Erzbistum an den vor einem Jahr – am 19. Januar 2018 – angekündigten Schließungsentscheidungen fest, kritisierte Henrik Lesaar, Mitglied des Sprecherteams der Gesamtelternvertretung, in einer Pressemitteilung.
„Wir sind überzeugt, dass ein starkes katholisches Schulsystem wesentlich zur Zukunft des Erzbistums beitragen kann“, sagte Lesaar.
Man sei zwar enttäuscht, wolle aber die Gespräche mit dem Erzbistum unbedingt fortsetzen: „Wir erwarten greifbare Ergebnisse zur Lösung der drängenden Probleme in den katholischen Schulen.“