Hamburg/Berlin. Eimsbütteler ist bereit, für den Kampf gegen den Klimawandel zu sterben. Kanzlerkandidaten melden sich bei Hungerstreikenden.
Klimaschutz ist das große Thema unserer Zeit. Gerade die junge Generation will sich Gehör verschaffen, wie die globalen Klimaproteste der vergangenen Jahre mit Tausenden Mitstreitern bewiesen haben. Für die junge Protestbewegung ist es nicht nur ein Thema unter anderen, es ist das Thema – für die Menschheit eine Frage des Überlebens. Davon sind Millionen überzeugt.
Klimakrise: Hamburger nach Hungerstreik vor Reichstag kollabiert
Jacob Heinze ist einer von ihnen. Doch zu demonstrieren, reicht dem 27-jährigen Eimsbütteler schon lange nicht mehr. Er nimmt Klimaschutz noch viel ernster – todernst: Er ist bereit, sein Leben dafür zu riskieren. Seit 19 Tagen schon befindet sich der Psychologe im unbefristeten Hungerstreik und campt vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Er hungert zusammen mit fünf weiteren jungen Menschen, die der Klimagruppe „Die letzte Generation“ angehören. „Wer etwas erreichen will, muss mutig sein“, sagt der 27-Jährige. So mutig, sich eventuell in den Tod zu hungern?
Am Dienstagnachmittag brach Jacob Heinze zusammen – nach tagelangem Hungerstreik. Er sei mit dem Krankenwagen in eine Berliner Klinik gebracht worden, teilte er dem Abendblatt am Abend mit. Obwohl die Ärztin ihm empfohlen habe, mit dem Hungerstreik aufzuhören, mache er weiter. „Schon jetzt sterben Menschen, wie in Madagskar durch Hunger, in Australien und Kanada durch Feuer, vielerorts durch apokalyptische Fluten. Das ist unsere Zukunft. Und deswegen bleibe ich im Hungerstreik“, erklärte Jacob Heinze in einer Pressekonferenz.
Ziel des Hungerstreiks: Kanzlerkandidaten vor die Kamera
Die Streikenden begreifen sich als eine Bewegung, die Entschlossenheit vorlebt im Kampf gegen die Klimakatastrophe und als die letzte Generation, die noch das Ruder herumreißen kann. Denn andere Klimagruppen wie „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ und „Ende Gelände“, bei deren Treffen Jacob Heinze seine Mitstreiter kennenlernte, waren ihm nicht entschlossen, nicht radikal genug.
Das Einzige, was die Streikenden zum Essen bewegen könnte, ist die Erfüllung ihrer „ganz einfachen Forderung“, wie Jacob Heinze sie nennt. Die Gruppe fordert ein zweistündiges Gespräch mit den Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz, das live im Fernsehen übertragen werden soll.
Klimaschutz: Sofort
Außerdem will „die letzte Generation“ das politische Versprechen zur Einberufung eines Bürgerrats, dessen zufällig ausgewählte Mitglieder Sofortmaßnahmen zum Klimaschutz erarbeiten sollen. So will die Gruppe sicherstellen, dass möglichst viele Menschen über die Dringlichkeit der Klimakrise aufgeklärt und an der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen beteiligt werden.
Der aktuellste Bericht des Weltklimarats, der im August 2021 erschien, macht deutlich, dass der Menschheit nur noch drei Jahre bleiben, um die Wende bei den Emissionen klimaschädlicher Gase zu schaffen. Gelinge dies nicht, werde eine Erderhitzung um zwei Grad sehr viel wahrscheinlicher.
Die Parteien und ihre "grün gemalten" Programme
Die Folge wäre demnach das eventuelle Überschreiten sogenannter Kipppunkte, die teils unumkehrbare Schäden im Klimasystem verursachen. Zum Beispiel könnte so viel Arktiseis schmelzen, dass die Arktis die Erde nicht mehr kühlen, sondern weiter erhitzen würde. Ein Teufelskreis.
„Wir stehen vor großen Katastrophen“, sagt Jacob Heinze, „und kein Wahlprogramm irgendeiner Partei nimmt diese Kipppunkte ernst.“ Damit will er die Kanzlerkandidaten konfrontieren und sie fragen, ob sie mit ihren „grün gemalten“ Programmen die Verantwortung für die „notwendige 180-Grad-Wende“ tragen könnten.
Angebot von Scholz, Laschet und Baerbock abgelehnt
Zwei Wochen lang erklärte sich keiner der drei Kanzlerkandidaten zu einem längeren Gespräch bereit. Immerhin, Annalena Baerbock telefonierte mit den Aktivisten für eine Viertelstunde und bat sie, wieder etwas zu essen. Das reicht den Streikenden nicht.
Am Dienstag teilten die Kanzlerkandidaten in einem gemeinsamen Schreiben an die Hungerstreikenden dann mit, dass sie “einzeln, persönlich und nicht öffentlich nach der Wahl” zu Gesprächen bereit seien.
Doch Jacob Heinze und seine Mitstreiter lehnten dieses Angebot, das keines sei, ab. „Das Angebot ist das Gegenteil dessen, was wir fordern“, erklärten die Hungerstreikenden am Donnerstag in einer Pressekonferenz. „Es verhöhnt uns.“ Ein nicht öffentliches Gespräch nach der „Schicksalswahl“ sei undenkbar.
Hungerstreikende legen Gesprächstermin fest
Schon seit einiger Zeit verhandeln die Hungerstreikenden und ihre Helfer mit den Büros der Kanzlerkandidaten über einen Termin, doch bisher kam nichts zustande. Nachdem Jacob Heinze in die Berliner Charité eingeliefert werden musste, reichte es den Aktivisten. Sie legten den Termin für ein öffentliches Gespräch, den 23. September um 19 Uhr, einfach selbst fest. Eine öffentliche Zusage zu dem Gespräch beende den Hungerstreik sofort, so die Aktivisten.
Bisher seien sie noch nicht in Kontakt mit Fernsehsendern gewesen, erzählte Jacob Heinze dem Abendblatt. Doch sie seien davon überzeugt, dass sie ein Angebot von einem Fernsehsender bekommen würden, falls die Kanzlerkandidaten dem Termin zustimmen.
Riskant: Aktivist zwischen Ohnmacht und Gewichtsverlust
Dass Jacob Heinze am Dienstag kollabierte, hatte sich schon vorher angekündigt. Um den Druck zu erhöhen, setzten die Streikenden am Montag die Einnahme von vitaminreichen Säften ab – ein Glas davon pro Tag hatten sie sich zuvor davon gegönnt. Schon in der vergangenen Woche war Heinze mehrfach fast ohnmächtig geworden. Seit Beginn des Streiks hat er schon acht Kilogramm abgenommen. „Ich habe mich noch nie so schwach gefühlt wie jetzt“, sagt er.
Dabei ist der junge Klimaaktivist ein sportlicher, vor Energie strotzender Typ. In seiner Jugend spielte er hochklassig Fußball (in der Regionalliga) für den Eimsbütteler Turnverband (ETV). Während seines Psychologiestudiums in den Niederlanden arbeitete Jacob Heinze nebenher als Fußballtrainer. Wie zuletzt wieder für den SC Victoria – er unterbrach den Job, um in den Hungerstreik zu treten.
Ziviler Ungehorsam im Namen des Klimaschutzes
Umweltbewusst ist Jacob Heinze schon seit Langem, schon seit zehn Jahren ernährt er sich vegan. Doch allmählich reifte in ihm die Überzeugung, dass er als Einzelner den Klimawandel nicht stoppen könne. Vor zwei Jahren fing Heinze an, sich mit anderen Aktivisten zu organisieren. Anfangs ging er auf Demonstrationen.
Doch schon bald ging er weiter. Proteste gegen den Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen, gegen den Flugverkehr in Frankfurt. Dann fuhr Heinze in den Dannenröder Wald in Hessen, um gegen den Autobahnbau zu protestieren – zweieinhalb Monate lebte er im Camp der Klimaschützer. Mehrfach wurde er für seinen zivilen Ungehorsam von der Polizei inhaftiert, bis zu sechs Tage lang blieb er in Gewahrsam.
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"Es gibt Wichtigeres als meinen Tod"
Die Wut, die Jacob Heinze bei solchen Protestaktionen spürte, und sein Kampfgeist vom Fußball treiben ihn auch heute an, erzählt er. Dennoch sei es eine „unglaublich harte Entscheidung“ für ihn gewesen, in den unbefristeten Hungerstreik zu treten. Eine Aktion, mit der Organisationen wie Fridays for Future so ihre Schwierigkeiten haben – manche Teile der Bewegung unterstützen die Aktion, andere nicht. Die Hamburger wollen sich gar nicht äußern – offenbar zu heikel.
Heinze steht nach 17 Tagen vor einer anderen Frage: Was, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden? Was, wenn wir immer weiterhungern? Schon seit Wochen kreisen Jacob Heinzes Gedanken darum – und um das Sterben. Er hat eine Entscheidung getroffen: „Ich bin bereit, mein Leben zu riskieren, um zu zeigen, dass es bei der Klimakatastrophe um Leben und Tod geht. Es gibt Wichtigeres als meinen eigenen Tod.“
Fürs Klima: Abschied von Freunden und Familie
Es scheint ihm nicht schwerzufallen, dies über die Lippen zu bringen. Seine Stimme bricht erst, als Jacob Heinze erzählt, wie er Freunde und Familie vor Beginn des Streiks warnte, dass er sie vielleicht nicht wiedersehen würde. Täglich denke er an das tränenreiche Gespräch mit seiner Mutter zurück, die jetzt in jeder Minute um ihren Sohn bangt. Und ihn unterstützt. Sie plane eine Solidaritätsaktion in Hamburg, erzählt Jacob Heinze: Sie wolle am Jungfernstieg ebenfalls in den Hungerstreik treten.