Hamburg. Der Mann hatte seine Tochter so heftig geschüttelt, dass sie starb. Er habe ihren Tod “billigend in Kauf genommen“, so der Richter.
Sie war nur eben kurz Einkaufen. Doch als Sofie R. vom Supermarkt zurückkommt, mit Cola, Schokolade und Babynahrung, hat sich das Leben für die 31-Jährige dramatisch verändert. Ihre kleine Tochter, die wenige Minuten vorher noch gesund und munter war, ist plötzlich mehr tot als lebendig. Ein Häuflein Elend, bewusstlos. Wenige Tage später ist offensichtlich, dass es keine Hoffnung mehr gibt, das knapp zwölf Wochen alte Mädchen zu retten. Die Maschinen auf der Kinder-Intensivstation, die dafür sorgten, dass Jamilas kleines Herz weiter schlägt, werden abgeschaltet.
Verantwortlich für den Tod des Säuglings ist sein Vater Paulo E. Er hat an seiner Tochter einen Totschlag begangen. Zu dieser Überzeugung kommt an diesem Freitag das Landgericht, das den 30-Jährigen zu sieben Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Mann hat seine Tochter am 15. Mai vergangenen Jahres so heftig geschüttelt, dass sie an den Folgen der schwersten Verletzungen starb, ist die Kammer überzeugt.
"Tod billigend in Kauf genommen": Fast acht Jahre Haft für Vater
„Der Angeklagte wird sein Leben lang mit der Schuld leben müssen, sein eigenes Kind totgeschüttelt zu haben. Mehr Strafe geht eigentlich nicht“, sagt der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann in der Urteilsbegründung. Und: „Jamila starb, weil der Vater für einen kurzen Moment die Nerven verloren hatte.“ Wer einen Säugling so heftig schüttele, wie Paulo E. es tat, „erkennt die tödliche Gefahr, in die er das Kind bringt. Wer so handelt, nimmt den Tod billigend in Kauf. Er kann nicht ernsthaft drauf vertrauen, das Kind werde überleben.“
Die Staatsanwaltschaft hatte zwölf Jahre Haft gefordert, die Verteidigung auf vier Jahre plädiert. Der Anwalt von Sofie R. hatte sich dem Antrag der Verteidigung angeschlossen. Als das Gericht nun das Strafmaß verkündet hat, bricht die Mutter der getöteten Jamila, die als Nebenklägerin im Prozess sitzt, in Tränen aus. Eine Vertraute drückt die Hand der 31-Jährigen. Die gelernte Krankenpflegerin scheint sich regelrecht daran zu klammern.
Baby totgeschüttelt: Vater wirkte erstaunlich gefasst im Prozess
Paulo E. dagegen, der einige Meter entfernt auf der Anklagebank sitzt, regt sich kaum, schaut nach unten. Der massige Mann wirkt starr. Schon während an früheren Verhandlungstagen im Prozess die Details um Jamilas kurzes Leben und ihr tagelanges Sterben ausgebreitet wurden, während Mediziner schilderten, in welchem trostlosen Zustand sich der Säugling befand, hatte Paulo E. erstaunlich gefasst gewirkt.
„Eine junge Familie ist zerstört“, sagt der Vorsitzende über das Dreigespann Paulo E., dessen damalige Lebensgefährtin Sofie R. und die kleine Jamila. Dabei sei es bis zum 15. Mai vergangenen Jahres, jenem schicksalhaften Tag, recht vielversprechend gewesen für Vater, Mutter und das Kind. Die Eltern waren bereits seit Jahren ein Paar, waren von Cottbus nach Hamburg gezogen, um hier einen Neuanfang zu wagen. Sie fand einen Job, Paulo E. auch. Doch irgendwann ging er einfach nicht mehr hin. Er hatte wohl keine Lust mehr.
Drei Tage nach der Geburt von Jamila kommt es zu einem heftigen Zwischenfall: Paulo E. schlägt seine Freundin, so dass ihr Gesicht um das Auge herum ganz blau ist. Auf Drängen der Hebamme zeigt sie ihn Wochen später an, er zieht daraufhin zu einer Bekannten. Mitte April 2021 kommt das Paar aber wieder zusammen. „Es entsteht so etwas wie Normalität in der kleinen Familie“, sagt der Vorsitzende dazu. „Eine Normalität, die dann brutal zerbricht.“
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Unfall? Vater stolperte und stürzte auf seine Tochter
An jenem 15. Mai haben Jamilas Eltern beschlossen, Pizza zu bestellen. Sofie R. geht los, um Getränke zu kaufen. Während sie weg ist, begibt sich Paulo E. mit dem Säugling auf dem Arm ins Badezimmer, um einen Schnuller auszuwaschen. In dem engen Raum stolpert der große, füllige Mann über die Babywanne, stürzt und landet ausgerechnet auf seiner fünf Kilo leichten Tochter. So hat es der Angeklagte erzählt, und das Gericht sieht keine Anhaltspunkte, die diese Einlassung widerlegen könnten.
Bei Jamila ist in dieser Zeit ein sichelförmiger Schädelbruch entstanden, von dem mehrere medizinischen Sachverständige gesagt hatten, dass eine solche Fraktur sehr ungewöhnlich sei. So etwas habe er „noch nie vorher“ gesehen, hatte ein Rechtsmediziner bekundet. Das Gericht ist indes davon überzeugt, dass der Angeklagte den Schädelbruch nicht vorsätzlich ausgelöst habe – obwohl die Fraktur „beidseitig und verheerend“ gewesen sei, sagt der Vorsitzende.
Vater verlor die Nerven – und schüttelte Baby zu Tode
Wenn allerdings das Baby danach nicht von Paulo E. geschüttelt worden wäre, wäre der Schädelbruch wohl wieder zusammengewachsen und Jamila wieder gesund geworden. Doch es kam anders. „Das ist eine sehr bittere, traurige, bedrückend Erkenntnis, die wir gewonnen haben.“ Weil Jamila nach dem Sturz benommen war, habe der Vater für einen kurzen Moment die Nerven verloren.
Er schüttelte nach Überzeugung des Gerichts den empfindlichen Kopf der kleinen Jamila heftig hin und her. „Das Kind war den Kräften hilf- und wehrlos ausgeliefert“, sagt der Richter. Als klar war, dass das Leben des Säuglings auch durch beste ärztliche Kunst nicht zu retten ist, stimmten die Eltern einer Organentnahme zu. Dass Jamila habe sterben müssen, sei „sehr traurig, bitter und bedrückend“. Paulo E. habe seine Tochter nicht töten wollen, ist das Gericht überzeugt. Aber er habe vollkommen falsch reagiert. Sie hätte „Schutz gebraucht. Nichts hätte näher gelegen, als nach dem Sturz sofort Hilfe zu holen.“