Hamburg. Ver.di hatte kurzfristig zu der Maßnahme aufgerufen. Viele Eltern reagierten ungehalten. War alles nur ein Missverständnis?
Stell dir vor, es ist Arbeitskampf – und keiner macht mit: Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) in Hamburg hat mit einem Aufruf zum Warnstreik in den Kindertagesstätten der Elbkinder bei vielen Eltern für Verwirrung und Unverständnis gesorgt.
Nach Elbkinder-Angaben hatte Ver.di die Maßnahme am Sonntagabend um 19.18 Uhr per Mail angekündigt. „Wir haben dann sofort versucht, unsere über 200 Kita- und GBS-Standorte zu informieren – wohl wissend, dass viele diese Info erst heute Morgen erreichen würde“, sagt Katrin Geyer, Sprecherin des Trägers von rund 200 Kitas und Betreuungsstätten. Die Kita-Leitungen seien aufgefordert worden, am Morgen „auf Basis der zur Arbeit erschienenen Fachkräfte“ zu entscheiden, wie die Kinder betreut werden könnten.
Die Eltern seien noch am Abend auf der Elbkinder-Homepage über den drohenden Streik in Kenntnis gesetzt worden. „Wir müssen Sie darauf hinweisen, dass Ihre Kinder im Rahmen dieser Notbetreuung von anderen Fachkräften und in anderen Kindergruppen als gewohnt betreut werden können“, heißt es in dem Elternbrief.
Ver.di-Warnstreik in Hamburger Kitas? Elbkinder meldet kaum Ausfälle
Am Montagmorgen allerdings wurden Elbkinder kaum Personalausfälle gemeldet. Alle Kitas und GBS-Standorte konnten öffnen, die Betreuung habe laut Geyer „ohne Einschränkungen stattfinden“ können: „Dort, wo einzelne Mitarbeitende streikten, konnte durch Kolleginnen und Kollegen kompensiert werden.“ Der Betrieb sei in den allermeisten Elbkinder-Einrichtungen wie gewohnt weitergegangen.
„Die Ver.di-Mitglieder bei uns im Haus wussten nicht einmal von einem Warnstreik“, sagt der Leiter einer großen Hamburger Kita. Doch laut Ver.di sei es auch gar nicht das Ziel gewesen, ganze Kitas zu bestreiken. „Wir haben nur einzelne Beschäftigte zu einem Spezialprogramm aufgerufen“, sagt Kita-Fachbereichsleiter Michael Stock. Also alles ein großes Missverständnis?
Tatsächlich lässt der Ver.di-Aufruf, der dem Abendblatt vorliegt, zumindest Interpretationsspielraum. Unter der in roten Lettern gehaltenen Überschrift „WARNSTREIK“ sind „Tarifbeschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst und Auszubildende in der Heilerziehungspflege“ der Elbkinder aufgerufen. Darunter heißt es vage: Die „persönliche Ansprache“ erfolge durch „die jeweilige Streikleitung“.
Viele Eltern ließen Kinder zu Hause
Als Ver.di am Montagmorgen Entwarnung gab, hatte sich der Warnstreik, der gar keiner war, bereits massiv ausgewirkt: „Wir hatten allein heute Morgen 40 oder 50 Anrufe aufgebrachter Eltern“, erzählt der Kita-Leiter, der ungenannt bleiben möchte. Ohnehin lägen die Nerven bei den Familien nach zwei Jahren Corona-Pandemie und nun auch noch dem Krieg in der Ukraine blank.
Viele Eltern hätten ihre Kinder am Montag vorsorglich zu Hause behalten – und das an einem Tag, an dem wie in vielen Einrichtungen das heiß geliebte Faschingsfest auf dem Programm stand. „Wir können nicht verstehen, dass gerade der Rosenmontag ausgewählt wurde“, sagt Sven Gräpel, Vorstandsmitglied des Landeselternausschusses Kindertagesbetreuung: „Es trifft die Entscheider nicht härter als jeder andere Montag, die Kinder aber sehr wohl.“
Dem LEA seien am Vormittag einzelne streikbedingte Personalausfälle gemeldet worden. Gräpel: „Wir sehen darin schon eine große Beeinträchtigung. Gerade in der aktuell angespannten Personalsituation kann schon der Ausfall einer Betreuungsperson den ganzen Kita-Betrieb vor Probleme stellen.“
Ver.di kündigt weitere Maßnahmen an
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte sich dem Warnstreikaufruf nicht angeschlossen. Sie wandte sich am Montag an ihre Mitglieder bei Elbkindern, der Rudolf-Ballin-Stiftung, dem Hamburger Schulverein und dem Studierendenwerk sowie den Kitas des Arbeiter-Samariter-Bundes: „Wenn alle Kolleginnen und Kollegen, die bei Ver.di Mitglied sind, zu einem Warnstreik aufgerufen werden, dann werdet Ihr ebenfalls aufgerufen. Das ist für heute nicht der Fall“, hieß es.
Am Freitag waren in Potsdam die Tarifverhandlungen nach zwei Jahren Corona-Pause wiederaufgenommen worden. Ver.di fordert Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel sowie eine „finanzielle Anerkennung der Arbeit“. Nach Ansicht der Arbeitgeber lägen die Entgelte der kommunalen Beschäftigten bereits meist über denen bei anderen Trägern im Sozial- und Erziehungsdienst. Die Forderungen umzusetzen koste zudem mindestens eine halbe Milliarde Euro.
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Noch im Lauf der Woche könne es bei den Elbkinder-Kitas laut Stock durchaus zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen. Diese würden aber in jedem Fall frühzeitig angekündigt, sodass sich alle vorbereiten können. Elbkinder äußerte Unverständnis, „dass in einer frühen Phase der Tarifverhandlungen, nach einer langen Zeit der pandemiebedingten Belastungen und auch gerade dieser Tage zu Streikmaßnahmen aufgerufen wird“.
Die genannte Hamburger Kita hat ihrerseits reagiert: Sie richtet am Dienstag eine zweite Faschingsfeier aus, damit kein Kind traurig sein muss.