Hamburg. Stephan Steinlein ist der engste Vertraute des Bundespräsidenten. Was man über diesen eher im Hintergrund wirkenden Mann wissen sollte.
Achtung, in diesem Text besteht Verwechslungsgefahr. Denn es gibt zwei von uns: Zwei Steinleins, beide mit demselben Vornamen und der auch noch in der selteneren Schreibweise: Stephan mit ph. Zwei, die nahezu am gleichen Tag Geburtstag haben – gerade einmal 48 Stunden (und ein Jahr) liegen zwischen uns. Es geht um – Stephan Steinlein. Den aus dem Bundeskanzleramt, aus dem Auswärtigen Amt, aus dem Bundespräsidialamt.
Es geht um den Mann, der seit mehr als 20 Jahren dem jetzigen und wohl auch künftigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier die Treue hält, was immer der gerade macht. Um den, der ganz dicht dran sein wird, wenn die Bundesversammlung Frank-Walter Steinmeier am 13. Februar zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten wählen wird. Das zumindest gilt als sicher.
Bundesversammlung: Steinlein wurde Staatssekretär
Mal abgesehen von Frau Steinmeier, also Elke Büdenbender, dürfte niemand so vertraut sein mit dem heutigen Bundespräsidenten. Als Bodo Hombach im Sommer 1999 zurücktrat, machte Gerhard Schröder in seinem ersten rot-grünen Kabinett Frank-Walter Steinmeier zum Kanzleramtsminister. Und der holte sich Stephan Steinlein aus dem Auswärtigen Amt – zunächst als Pressesprecher, ab 2002 dann als Büroleiter. Inzwischen ist der eine der Bundespräsident, der andere dessen Staatssekretär.
„Keiner ist professionell länger in Steinmeiers Nähe. Und keiner so einflussreich.“ So formulierte es das Magazin „Politik und Kommunikation“ in einem Artikel über das „Machtsystem Steinmeier“. Und weiter: „Habituell ähnelt der Staatssekretär seinem Chef: Er ist verbindlich, kein Lautsprecher, eher nachdenklich als forsch. Seit 2017 ist er Chef des Bundespräsidialamts. In der gleichen Rolle wie immer: als Schlüsselfigur.“ Was Steinlein für Steinmeier, war bis Herbst Beate Baumann für Angela Merkel, ist Wolfgang Schmidt für Olaf Scholz. Um wirklich erfolgreich zu sein, braucht es diese loyalen und eher im Hintergrund wirkenden Vertrauten.
Steinlein: evangelischer Theologe und DDR-Bürgerrechtler
Wer aber ist dieser Stephan Steinlein? Die Kurzfassung lautet: ein evangelischer Theologe, DDR-Bürgerrechtler, vierfacher Familienvater, Frankreichliebhaber. Die längere: „1980 habe ich in Berlin-Mitte mein Studium der Theologie aufgenommen, an einer kleinen, vom kommunistischen Staat und seinem Einfluss unabhängigen Fakultät, dem Sprachenkonvikt, das ein paar Jahre später zu einer Wiege der friedlichen Revolution werden sollte.“
Das hat Stephan Steinlein erst Mitte Januar erzählt, als er zum „Offizier im Nationalen Orden der Ehrenlegion Frankreichs“ ernannt wurde. Steinleins Zuhause als Kind sind Pfarreien. Sein Vater ist evangelischer Superintendent – und Staatsfeind (jedenfalls aus „Sicht des Regimes“ wie Vater Steinlein in seinen Erinnerungen notiert, über die die „Lausitzer Rundschau“ vor einer Weile schrieb).
Steinlein verweigert den Wehrdienst
Steinlein wächst in diesem christlichen Elternhaus und in „kritischer Distanz zum DDR-Regime“ zu einem jungen Mann heran, der „Schwerter zu Pflugscharen“ fordert, als das noch gleichbedeutend mit staatlichen Repressalien ist. Er verweigert den Wehrdienst und landet im bereits erwähnten Sprachenkonvikt. Er ist dabei, als im November 1989 Hunderttausende in Berlin gegen das SED-Regime aufbegehren, wird Teil der Bürgerrechtler-Szene um seinen „großen Lehrer“, Mentor und Ausbilder Wolfgang Ullmann. Mit 29 wird Steinlein nach der letzten Volkskammerwahl letzter Botschafter der DDR in Paris – für gerade einmal sechs Wochen. Seine spätere Frau lernt er in dieser Zeit kennen – in Frankreich. Zurück in Deutschland, landet Steinlein im Diplomatischen Dienst. Von dort, also dem Außenministerium, wechselt er 1999 ins Kanzleramt.
Unser erster Kontakt liegt um die zwei Jahrzehnte zurück – und stammt aus der Anfangszeit des Duos Steinmeier/Steinlein. Und er war so kurios und außergewöhnlich wie andere später. Von einem Stephan Steinlein im Kanzleramt hatte ich nie gehört, offensichtlich er von mir schon – von einer damaligen Kollegin. Ob es sein könne, dass er Post ins Kanzleramt bekommen habe, die eigentlich für mich bestimmt war?, fragte dieser fremde Mann in unserem ersten Telefonat. Woher sollte ich das wohl wissen? Als er den Inhalt verriet, war klar: Der Brief war für mich. Warum die Post den Brief ins Kanzleramt zustellte, blieb ihr tiefgründiges Geheimnis.
Steinlein immer an der Seite von Steinmeier
Seither sind wir uns immer mal wieder begegnet – oder hörten von Menschen bei Veranstaltungen, der „andere Steinlein“ sei auch da. So etwa beim Sommerfest in der Hamburgischen Landesvertretung. Wann immer Frank-Walter Steinmeier eine neue Aufgabe übernimmt – Steinlein ist dabei. Vom Kanzleramt wechselt Steinmeier 2005 unter der neuen Bundeskanzlerin Angela Merkel als Minister ins Auswärtige Amt. An seiner Seite: Stephan Steinlein.
2009 soll Steinmeier als Spitzenkandidat für die SPD die Bundestagswahl retten. Aus der Zeit des Wahlkampfs stammt eine weitere lustige Begebenheit. Wie Magazine oder Zeitungen es halt so machen, sie transportieren Themen am liebsten über Menschen. Und so wird in einem Politik-Magazin die Kandidatur in Häppchen erzählt als das „System Steinmeier“. Das ging in etwa so: Das ist der Kandidat, das ist seine Frau, das ist sein Förderer, das sein wichtigster Vertrauter. Dessen Name, Sie ahnen es: Stephan Steinlein. Nur, dass das Magazin nicht dessen Foto zeigt, sondern – meins. Was in Politik- und Journalistenkreisen eine gewisse Heiterkeit auslöst.
SPD landet in der Opposition
Bekanntlich wird es nichts mit einem Kanzler Steinmeier und einem Kanzleramtsminister Steinlein. Es ist die große Niederlage im politischen Leben Steinmeiers. Stattdessen landet die SPD in der Opposition, Steinmeier wird Fraktionschef, Steinlein an seiner Seite.
Nach der Bundestagswahl 2013 gibt es wieder eine Große Koalition – und das Duo zieht erneut ins Auswärtige Amt ein. Dieses Mal mit einem Staatssekretär Steinlein. „Zuständig für die eher internen Angelegenheiten des Hauses, erneuerte Steinlein seinen Ruf als professioneller, verlässlicher Technokrat der Diplomatie. Dass Steinmeiers Apparat vom ersten Tag seiner zweiten Amtszeit an (einige sagen: bereits einige Wochen zuvor) einwandfrei lief, hatte allerhand mit Steinlein zu tun.
Wiederwahl von Steinmeier steht an
Dem Zufall überlässt der nämlich nichts. Steinlein übernahm die Funktion für den Politiker und Minister Steinmeier, den dieser selbst lange ausgeübt hatte: graue Effizienz der Macht. Nie laut, dafür aber einflussreich.“ So beschrieb die Tageszeitung, die „Welt“, meinen Namensvetter.
Der Rest ist bekannt: Im Februar 2017 wird Steinmeier das erste Mal Bundespräsident. In wenigen Tagen steht seine Wiederwahl an – und gilt als sicher: Neben SPD, Grünen und FDP hat sich auch die CDU klar für Steinmeier positioniert. „Das hatte ich gehofft“, sagt dessen Staatssekretär. Und dass die Entscheidung der Union nicht ganz überraschend gekommen sei. Schließlich pflegt Steinmeier ein sehr gutes und enges Verhältnis zu den Ministerpräsidenten – auch denen der CDU. So hat sich beispielsweise Daniel Günther schon sehr früh für eine Wiederwahl ausgesprochen, zu einem Zeitpunkt, als seine Partei noch zögerte.
Misstrauen bei Bevölkerung nahm weiter zu
Was Steinlein als Staatssekretär für Steinmeier tut, beschreibt die „Welt“ zu Beginn der ersten Amtszeit: Vor allem sei er „für alle internen Angelegenheiten des Bundespräsidialamtes zuständig. Nicht zuletzt geht es dabei um die Frage, welche Akzente der Bundespräsident Steinmeier setzen wird.“ Ein Akzent sticht dabei hervor: Steinmeier hat die Demokratie an sich zum wichtigsten Thema seiner Präsidentschaft gemacht.
Als er das Vorhaben vor fünf Jahren das erste Mal beschreibt, „haben viele Menschen noch gar nicht richtig verstanden, wie sehr die Demokratie herausgefordert ist. Gewisse Teile der Gesellschaft glauben nicht mehr an sie und die demokratischen Institutionen“, sagt Steinlein. Was Steinmeier und Steinlein bei der Amtsübernahme nicht ahnen können: Staatsferne und Misstrauen eines Teils der Bevölkerung sollten nochmals deutlich zunehmen.
„Wir versuchen, die Menschen zusammenzubringen"
Es ist nicht der Umgang der Politik mit dem Virus, der die Gesellschaft gespalten hat. Sondern geschätzt zehn bis 20 Prozent der Menschen haben sich bewusst abgespalten vom Rest. Nur wie mit ihnen umgehen? Mit der Inzidenz stieg die Beschäftigung mit dem Thema Corona auch im Bundespräsidialamt. „Der Bundespräsident hat immer versucht, auf die zuzugehen, die Zweifel haben, aber noch erreichbar sind. Diese Menschen dürfen wir nicht aufgeben, wir müssen immer wieder versuchen, ins Gespräch zu kommen“, beschreibt Steinlein eine der größten Herausforderungen der vergangenen Jahre.
Was auch schon vor der Pandemie galt, gilt auch seither: „Wir versuchen, die Menschen zusammenzubringen, die normalerweise nicht miteinander sprechen. Demokratie lebt von der kontroversen Diskussion und vom Austausch. Das können wir nicht abladen bei Kirchen oder Parteien. Es ist vielmehr die Aufgabe jedes einzelnen Bürgers, in seiner Umgebung zu versuchen, Menschen zurückzugewinnen“, sagt Steinlein.
Steinmeier besuchte Regionen mit vielen Impfgegnern
Die Menschen zu erreichen sei unter den Corona-Bedingungen schwierig. Aber mithilfe hybrider oder rein digitaler Formate und auch der sozialen Medien gelinge es wohl ganz gut, „im Dialog zu bleiben. Und auch Menschen daran zu beteiligen, die sich schon ausgeklinkt hatten. Wir haben immer wieder versucht, Gesprächspartner einzubeziehen, von denen wir wissen, dass sie kritische Positionen zur Corona-Politik beziehen. Kein Mensch darf aufgegeben werden.“
Man müsse zu den Menschen gehen, sagt Steinlein, und erinnert daran, dass der Bundespräsident sehr viel in Ostdeutschland unterwegs war; in Sachsen oder in Thüringen beispielsweise. Steinmeier ist ganz bewusst in die Regionen mit besonders vielen Impfgegnern und Corona-Leugnern gegangen, zu Menschen mit einem ausgeprägten Misstrauen in die demokratischen Institutionen. Denn: „Die Demokratie war nie so angefochten wie jetzt. Von innen wie von außen.“
Mit Steinmeier verbindet ihn eine besondere Freundschaft
Seine Motivation, hieran entscheidend mitzuwirken und zu versuchen, die Menschen zurückzugewinnen, beschreibt der evangelische Theologe Steinlein in seiner Rede anlässlich der bereits erwähnten Verleihung des französischen Ehrentitels: „Meinem Land zu dienen, gegen die Spaltungen und inneren Risse anzukämpfen, und Europa zu dienen, Vorurteile, Missverständnisse zu bekämpfen, Kompromisse und neue Lösungen zu finden, das sind für mich keine Auseinandersetzungen, die voneinander getrennt ausgefochten werden, sondern diese Auseinandersetzungen sind Bestandteile eines einzigen Kampfes: des Kampfes für die Freiheit, für die Demokratie und für die Menschenwürde.“
In unserem letzten Gespräch vergangene Woche nannte Steinlein die Beziehung zu Steinmeier „sehr besonders“, sprach von einer Freundschaft sui generis, also einer Freundschaft ganz eigener Art. „Es gibt ein großes Vertrauen zwischen uns, große Nähe, großes Verständnis für einander ganz ohne Worte.“ Einen langen Weg sind beide gemeinsam gegangen. Man weiß (nahezu) alles über den anderen, kann sich aufeinander verlassen, duzt sich. „Dieser Weg wird immer weitergehen“, sagt Steinlein.
Was Steinlein und Steinmeier verbindet
„Während meiner dreißig Dienstjahre hatte ich das Glück, bei verschiedenen Institutionen zu arbeiten, im Auswärtigen Amt, im Bundeskanzleramt, im Bundestag und im Bundespräsidialamt. Ich hatte das Glück, das noch größere Glück, seit 22 Jahren mit einem außergewöhnlichen Politiker zu arbeiten: mit Frank-Walter Steinmeier. Beide lieben wir es, uns zwischen der nationalen und der internationalen Politik hin und her zu bewegen. Wir teilen dieselben Überzeugungen in Bezug auf Deutschland und in Bezug auf Europa“, hat Steinlein die Beziehung zu Steinmeier beschrieben, als er zum „Offizier im Nationalen Orden der Ehrenlegion“ ernannt wurde.
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Etwas Familienforschung habe er betrieben, erzählte Steinlein kürzlich. Und dabei herausgefunden, dass seine Familie seit Ende des 17. Jahrhunderts in oder in der Nähe von Berlin lebt. Zuvor, das konnte er nachvollziehen, waren die Vorfahren wohl in oder bei Oettingen südwestlich von Nürnberg zu Hause – in einer Region, wo Überlieferungen zufolge auch meine Urururahnen mal gelebt haben sollen.