Hamburg. Jenisch, Sieveking, Hagenbeck – diese Namen kennt fast jeder in der Stadt. Zweiter Teil der Serie über große hanseatische Traditionen.

War es die Werkstatt des Zigarrenmachers Eduard Cohen oder das Nachbarhaus? Als das Feuer in der Deichstraße am Himmelfahrtstag 1842 gegen ein Uhr nachts entdeckt wurde, war es schon zu spät: Drei Tage, bis zum 8. Mai, fraß sich die Brunst durch Hamburgs Altstadt. Der Große Brand war eine Katastrophe. 1700 Häuser in 41 Straßen, 102 Speicher sowie die Hauptkirchen St. Nikolai und St. Petri fielen dem Drama zum Opfer – von mehr als 50 Toten und rund 20.000 Obdachlosen ganz zu schweigen.

Aus den Trümmern des teilweise gesprengten Rathauses an der Trostbrücke retteten der Stadtbuchschreiber Marcus Hermann Petersen und sein Sohn Carl Friedrich Grundbücher und andere Akten. Besonders Carl Friedrich unternahm eine Menge für den Wiederaufbau und das neue Universitätsklinikum Eppendorf. Sechsmal wurde der Jurist später zum Ersten Bürgermeister der Hansestadt gewählt, zuletzt im Jahr seines Todes 1892.

Denkmal-Replik auf dem Kaminsims

Wer in der Neuzeit am Neuen Wall nahe dem Graskeller vor dem Denkmal Carl Friedrich Petersens innehält, kann eines Hanseaten mit Herz, Format und Verstand gedenken. Dieser steht auf einem Podest, den linken Arm auf eine Sessellehne gestützt. Auf dem Sockel sind lediglich die Amtsbezeichnung „Bürgermeister“, der Name sowie Geburts- und Todesjahr zu lesen. Schnörkellos, hanseatisch.

Und wer sich heutzutage mit seinem Ururenkel Mathias Petersen auf einen Kaffee und ein paar Kekse trifft, staunt über eine Replik des Denkmals auf dem Kaminsims. Es ist ein Erbstück, das in Ehren gehalten wird. Legt es doch Zeugnis ab von dem Wirken einer angesehenen Hamburger Familie. Die Petersens haben Gutes für unsere Stadt getan. Von jeher.

Mathias Petersen ist Hausarzt in Altona

Mathias Petersen, als Hausarzt mit Praxis in Altona ausnahmsweise kein Pfeffersack mit diesem Namen, hat ein Faible für die Vergangenheit seiner Familie. „Das ist hamburgische Geschichte“, sagt er am Wohnzimmertisch daheim in den Elbvororten. Bei diesen Worten breitet Herr Dr. Petersen einen einst von seiner Mutter Carin mit Bleistift auf zwei Pergamentseiten verfassten Stammbaum seiner Sippe aus.

Das Wappen der Petersens
Das Wappen der Petersens © Peter Petersen | Peter Petersen

„Einfach ist die Geschichte nicht“, gibt er zu. Dieser Stammbaum beginnt mit einem Hans Donner, geboren anno 1493. Sein Nachfahre Heinrich Donner war Schleusenwärter in Mölln, Conrad Hinrich Donner im 19. Jahrhundert Kaufmann und Bankier im damals selbstständigen Altona. Der Donnerpark liegt heute in Ottensen, direkt am Elbufer.

Verheiratet mit Sievekings und Amsincks

Mathias Petersens Mutter Carin entstammt dieser Sippe der Donners und Schröders. Die Ahnen seines Vaters Carl Friedrich Petersen verheirateten sich im Laufe der Jahrhunderte mit den Sievekings, Amsincks und Schubacks. Die Zahl der Senatorenämter und Bürgermeisterwahlen sind nur schwer zu zählen. Die ersten urkundlich erwähnten Familienmitglieder namens Petersen waren vor rund 370 Jahren der Grobbäcker Johann Petersen und der Schiffbauer Hieronymus Petersen.

Einer der Vorfahren war Johann Reimarus, um 1750 ein namhafter Hamburger Arzt und Forscher sowie Gründungsmitglied der Patriotischen Gesellschaft. Bis auf Reimarus ist Mathias Petersen als Mediziner eine Ausnahme.

Exklusiver Blick ins Familienalbum

Als Sozialdemokrat ebenfalls. Doch bevor wir dieses Thema streifen, blicken wir in alte Familienalben. Es sind Dokumente Hamburger Historie, wahrhaftige Schätze, die außerhalb der Sippschaft bisher niemand zu sehen bekam. Mathias Petersen, der trotz Trennung von seiner Ehefrau Constanze die Praxis unverändert gemeinsam mit ihr betreibt, hat drei Söhne und zwei Enkel. Der Name wird also erhalten bleiben. Zwei der Kinder leben in Hamburg; der dritte Sohn wohnt in Brüssel.

Serie Hamburger Dynastien , Matthias Petersen in seiner Wohnung mit seinen Vorfahren , fotografiert am 30.11.2017
Serie Hamburger Dynastien , Matthias Petersen in seiner Wohnung mit seinen Vorfahren , fotografiert am 30.11.2017 © HA | Michael Rauhe

Bis zum Ausklang des vergangenen Jahrtausends organisierten die Petersens regelmäßige Familientreffen. Ort war die Villa der Großeltern in Wentorf, das ehemalige Sommerhaus der Sievekings. Während sich die Erwachsenen bei Portwein gepflegten Gesprächen widmeten, genossen Mathias und die anderen Kinder vor mehr als einem halben Jahrhundert ein damals noch seltenes Vergnügen: Fernsehen. Die Tiersendung „Fury“ zum Beispiel stand im Blickpunkt.

Rudolf Petersens Biografie wurde nachgedruckt

Manchmal nahmen bis zu 40 Petersens an diesen Zusammenkünften teil. Aktuell sind etwa 60 Familienangehörige bekannt. Einige Cousinen und Cousins von Mathias Petersen leben in England, in den USA oder in Brasilien.

Mathias Petersen erhebt sich. Er empfiehlt, einen weiteren Kaffee in seinem Refugium zu trinken. Es handelt sich um einen geschmackvoll eingerichteten Raum voller Erinnerungsstücke. Uralte, gerahmte Fotos sind zu sehen, Pokale, Silberschälchen mit Gravur. Einige dieser unbezahlbaren Schätze ziert das Wappen der Hansestadt Hamburg. Wir nehmen auf einem hellbraunen Ledersofa Platz. „Einst gehörte es meinem Großvater Rudolf“, sagte Mathias Petersen beinahe beiläufig. Große Worte sind seine Sache nicht. Gut so.

Rudolf Petersen blieb auf dem Boden

Rudolf Hieronymus Petersen, der erste Hamburger Bürgermeister nach dem Zweiten Weltkrieg, ist ein passendes Beispiel für die Schaffenskraft dieser jahrhundertealten Dynastie. Am Tag vor Silvester 1878 wurde er als siebtes Kind geboren. Knapp 27 Jahre später, im Oktober 1905, fand die Hochzeit mit der drei Jahre jüngeren Olga Sieveking statt. Rudolf Petersen hat seinen Werdegang, ein hanseatisches Sittengemälde erster Klasse, selbst aufgeschrieben. Bekenntnisse einer lustlosen, faulen Schulzeit gehören ebenso dazu wie die Lehre im Exporthaus Wolff an der Bleichenbrücke, geschäftliche Aktivitäten in vieler Herren Ländern von Paris bis Sibirien und der Wiederaufbau nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches. Die britische Militärregierung setzte ihn 1945 und 1946 als Ersten Bürgermeister ein. Zu seinem Nachfolger wurde Max Brauer gewählt.

Auch wenn es Rudolf Petersen als Kaufmann und Politiker zu Wohlstand und Ansehen brachte, blieb er auf dem Boden. In seiner Biografie definiert er die „Erfolgsformel“ seiner Lehrzeit rückblickend so: „Wenig Begabung plus großes Interesse gleich Erfüllung“. 1946 trat Rudolf Petersen der neu gegründeten CDU bei. Sein Sohn Carl Friedrich folgte ihm.

Drei Jahrzehnte nach Rudolf Petersens Tod 1962 druckte sein Enkel Mathias die Lebensgeschichte nach – exklusiv für die Familie. Die Arbeit des großen Vorfahren soll nicht in Vergessenheit geraten.

"Erster Sozialdemokrat in der Bürgerschaft"

„Ich bin der erste Sozialdemokrat unserer Familie in der Bürgerschaft“, stellt Mathias Petersen heute fest. Seine politische Karriere ist ein Kapitel für sich. Im März 2007 verzichtete er nach innerparteilichem Tohuwabohu auf eine erneute Kandidatur für den Hamburger SPD-Vorsitz und die Spitzenkandidatur für die Bürgerschaftswahl im Jahr ­darauf. Aktuell ist Mathias Petersen Vorsitzender des Haushaltsausschusses und Vorsitzender des SPD-Kreisverbands ­Altona. Der Bürgerschaft gehört der ­Allgemeinmediziner seit mehr als 20 Jahren an.

Sein Urururgroßvater Marcus Hermann Petersen war der eingangs erwähnte Stadtbuchschreiber und mithin jener Beamte, der während des Großen Brandes von 1842 wichtige Akten aus dem niederbrennenden Rathaus rettete. Auch seine schriftlichen Lebenserinnerungen blieben bestens erhalten.