Hamburg. Emilia Fester ist die Nachwuchshoffnung der Grünen in Hamburg: Sie ist 22 Jahre alt, frauenpolitische Sprecherin und hat große Pläne.
Auf der Fensterbank liegen kleine Päckchen, über dem Bett klebt eine Weltkarte zum Freirubbeln, ein Großteil von Europa erstrahlt in satten Farben. Von der Decke hängen Monstera-Pflanzen, und auf dem Schrank liegt ein Plüschtiger. Zwischen Bett und Schreibtisch sitzt Emilia Fester. Die 22-Jährige verfolgt einen kühnen Plan: Sie will für die Grünen in den Bundestag. Ihre Kommandozentrale ist ihr etwa 18 Quadratmeter großes WG-Zimmer in Eimsbüttel.
Fester hat schon früh begonnen mit der Politik. Bereits mit neun Jahren hat sie die Grünen bei der Landtagswahl in Niedersachsen wählen wollen, durfte sie natürlich nicht. Das fand Fester „mega unfair“, erzählt sie. Sie habe daraufhin ihre Eltern gefragt, ob sie nicht für sie mitstimmen wollten. In der Grundschule wählten ihre Mitschüler sie zur Klassensprecherin, in der weiterführenden Schule zur Schülersprecherin. Mit 18 trat sie den Grünen bei, machte Bundestagswahlkampf für Marcel Duda. Von da an ging alles ganz schnell.
Emilia Fester kämpft um Listenplatz 3 bei der Bundestagswahl.
2018 arbeitete sie noch als Regieassistentin am jungen Schauspielhaus in Hamburg, parallel wählte die Grüne Jugend sie zur Landessprecherin. Seit einem Jahr sitzt sie nun auch im Landesvorstand ihrer Partei. Als frauenpolitische Sprecherin stärkt sie weibliche Mitglieder, und seit Mitte Oktober kämpft sie um Listenplatz 3 bei der Bundestagswahl.
Fester telefoniert, verschickt währenddessen eine Mail und beißt in einen Elisen-Lebkuchen. „WG-Café“ steht auf der Verpackung. Sie sitzt auf ihrem linken Bein im halben Schneidersitz. Ihre braunen Haare fallen locker auf ihre Schultern. „Voll gut, Till! Du bist pünktlich wie eine Eieruhr“, sagt sie in ihr Handy.
Der Anrufer ist Till Steffen, ehemaliger Justizsenator, seit Mitte des Jahres ist er Sprecher für Verfassung und Verfassungsschutz. Auch Steffen kandidiert für den Bundestag, etwa 25 Jahre Berufserfahrung trennen ihn und Fester. Sie sprechen über Wahlkampfthemen und ihre Ziele als Landesverband. Der 22-Jährigen ist dabei kaum zu folgen: Mühelos sagt sie Abkürzungen auf, die für einen Außenstehenden klingen, als zitiere sie die Straßenverkehrsordnung: „LAGen, LaVo, BDK, LGSt und BuVo“.
Fester hat am Theater gelernt, spricht auf den Punkt
Wenn man die Sprache als einzige Waffe von Politikern betrachtet, dann ist Fester schon ziemlich gut ausgerüstet für den Kampf, in den sie ziehen möchte. Wer ihr zuhört, könnte tatsächlich auf den Gedanken kommen, eine Frau zu hören, die schon seit Jahrzehnten im Geschäft ist. Ist das gut?
Fester sagt, sie habe am Theater gelernt, auf den Punkt zu sprechen, weiß um ihre Körpersprache. Die Sprache, sie verleiht ihr Seriosität, sie kaschiert, wie jung sie noch ist, insofern hilft Fester ihre Sprache.
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Selten platzt es aus ihr heraus, beispielsweise als es um einen anderen Politiker geht, der Klimabudgets abwertet. „Oh, Alter“, stöhnt Fester und schmeißt ihren Stift hin. „Wir müssen doch an solchen Mechanismen festhalten! Wie wollen wir denn sonst messbar machen, dass wir uns an Paris halten?“
Dann verkündet Till Steffen eine gute Nachricht: Das Kohlekraftwerk Moorburg geht nächstes Jahr vom Netz. Emilia grinst. „Yey“, sagt sie. „Das ist schön, ich freue mich! Jedes Kohlekraftwerk, das vom Netz geht, ist ein Schritt Richtung Klimaneutralität. Auch wenn es eine Farce ist, dass wir die Klimakiller-Konzerne auch noch ausbezahlen müssen.“ Die Freude währt kurz, Fester konzentriert sich wieder auf das Gespräch, beißt noch einmal in ihren Lebkuchen.
Prominente Parteifreunde glauben an ihre Karriere
Ihre Ideen schreibt sie fein säuberlich in ein riesiges rotes Notizbuch. Nebenbei schielt sie auf ihren Laptop. WhatsApp, Telegramm und Signal sind geöffnet, andauernd laufen Nachrichten ein, zum Beispiel von „Anna“ (Justizsenatorin Anna Gallina), oder „Ivy“ (Bürgerschaftsabgeordnete Ivy May Müller). Alles Parteikollegen und liebe Freundinnen, sagt Fester.
„Millas Anliegen sind der Dialog in der Partei und die Verbindung mit anderen politischen Gruppen“, sagt Till Steffen. Für das im November beschlossene neue Grundsatzprogramm habe sie innerhalb der Partei einen breiten Diskussionsprozess organisiert, der viele Mitglieder mitgenommen habe. „Ihr ist wichtig, dass wir als Grüne bei aller Regierungstauglichkeit im regen Austausch sind mit neuen politischen Gruppen, in denen sich vor allem junge Menschen organisieren.“ Nicht nur Steffen glaubt an ihre politische Karriere.
Fester wäre eine der jüngsten Abgeordneten aller Zeiten
Mitte Oktober wählte die Grüne Jugend Fester zur einzigen sogenannten Votenträgerin. Eine eigene Liste können die Nachwuchspolitiker nicht aufstellen, daher entsenden sie eine Kandidatin in den Bundestagswahlkampf, um ihre „linksgrüne“ Vision einzubringen – so der Plan. „Genau da gehöre ich hin. Ich will mitgestalten“, sagt Fester. Wenn sie es auf Listenplatz 3 schaffen würde, dann wäre ihr der Einzug garantiert. Das ist ihr Ziel, sie wäre dann eine der jüngsten Abgeordneten aller Zeiten, vor sich eine womöglich steile Karriere. Auf Platz 5 zu landen könnte auch noch reichen, zumindest nach den aktuellen Umfragewerten. Aber darauf möchte Fester es ungern ankommen lassen.
Der angestrebte Listenplatz wird ihr jedoch keineswegs kampflos überlassen. Zunächst muss sie die Landesmitgliederversammlung von sich überzeugen. Die Grüne Jugend und Parteifreunde sind zwar „Milla-Fans“, einige Grünen-Politiker hat sie allerdings schon gegen sich aufgebracht.
Kritiker behaupten, Fester sei beeinflussbar
Gegen ihre Ambitionen formierte sich schnell Widerstand. Sie sei beeinflussbar und nicht eigenständig. „Absurd“ findet Fester das. „Als könnte ich nicht auch als junger Mensch eine eigene Meinung und außerdem ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zu Gleichgesinnten haben. Einem Mann würde so etwas im Übrigen niemand unterstellen.“ Und auch in den Koalitionsverhandlungen habe sie bei dem ein oder anderen SPD-Politiker für „Verwirrung“ gesorgt, berichtet sie. Dass sich eine junge Frau so einbringt.
Fester kneift kurz die Augen zusammen und winkt ab. So, als hätte sie einen Schwamm in der Hand, mit dem sie die trüben Gedanken wegwischen könnte. Dass junge Politiker Widerstand spüren, ist nichts Neues. Kevin Kühnert, der aufsteigende Star der SPD, sieht sich regelmäßig der Kritik ausgesetzt, er solle etwas Vernünftiges lernen, bevor er Politik mache.
Sogar sein Parteikollege Sigmar Gabriel riet ihm dazu, ein paar Jahre arbeiten zu gehen, bevor er ein höheres Amt anstrebe. Unter dem Hashtag #diesejungenleute beschwerten sich vor zwei Jahren mehrere Nachwuchspolitiker, nicht ernst genommen zu werden. Tenor: Erst werde sich beschwert, dass junge Menschen sich nicht für Politik interessierten, täten sie es dann, sei es auch nicht recht. Auch „Fridays For Future“ bekam diesen Paternalismus zu spüren, als Christian Lindner anregte, sie sollten ihr Anliegen doch lieber mal den Profis in der Politik überlassen.
Fester möchte Vertreterin und Vorbild sein
Emilia Fester wurde mit derlei Vorwürfen noch nicht direkt konfrontiert. In der Gesellschaft sei verhaftet, dass man erst mit etwa 35 Jahren im Parlament sitzen kann. „Das finde ich grundlegend falsch“, so Fester, „wir müssen damit aufhören, ‚Erfahrung‘ und ‚Frischen Wind‘ gegeneinander auszuspielen!“
Auch deswegen möchte sie in den Bundestag: „Es geht darum, Vertreterin und Vorbild zu sein“. Sie selbst sieht sich ein bisschen als Ergänzung zu den Bewegungen auf der Straße. „Es reicht nicht nur laut zu sein“, so Fester. Bei Zukunftsfragen sollten diejenigen mitbestimmen, die in ihr wohnen. „Dazu ist eine repräsentative Demokratie ja auch da“, so Fester.Ein Blick auf ihr Handy, es ist gleich halb zwölf, der nächste Termin steht an. Im Nachbarzimmer öffnet sich die Tür, und ihre Mitbewohnerin huscht im Schlafanzug durch den Flur. Sie ist gerade erst aufgestanden. Ob Fester das vermisst? Ob sie nicht auch lieber ausschlafen, feiern und in ferne Länder reisen möchte, um sie anschließend freizurubbeln?
60 Stunden arbeitet sie pro Woche
Dafür ist sie zu ungeduldig. „Ich möchte die Welt besser machen, und ich finde, das muss eigentlich schon gestern passieren.“ Etwa 60 Stunden in der Woche arbeitet sie für diese gerechte Welt – friedlich, feministisch, antifaschistisch, fortschrittlich, klimagerecht und antikapitalistisch soll die sein. Emilia Fester ernährt sich vegetarisch, fliegt nicht mehr und bewegt sich hauptsächlich mit Bus, Bahn und Fahrrad fort. „Ich glaube aber auch, dass das ein unglaubliches Privileg ist, dass ich mir diese Gedanken machen kann. Um das klimagerechte Leben für alle zu ermöglichen, brauchen wir aber politische Entscheidungen.“
Als Politikerin möchte sie vor allem „radikalere“ Anliegen durchsetzen. Das Wahlalter absenken oder sogar abschaffen, so wie es sich die neunjährige Emilia wünschte. Sie möchte, dass Deutschland bereits 2035 klimaneutral wird und dass Frauen auf wichtigen Positionen nicht mehr unterrepräsentiert sind.
Wenn es in einem der Theaterstücke, an denen sie mitgearbeitet hat, ein Vorbild gebe, sagt Emilia Fester, dann vielleicht Antigone, die Protagonistin ihres Lieblingstheaterstücks aus der griechischen Mythologie. Antigone begräbt, obwohl darauf die Todesstrafe steht, ihren gefallenen Bruder – Häscher des Königs graben ihn wieder aus, Antigone begräbt ihn erneut, sie bietet dem König energisch die Stirn. „Sie ist eine starke Frau, die uns beweist, dass Moral keine Schwäche ist.“