Hamburg. Inhaberin Lucia Mötting hat endlich jemanden gefunden, der nach Auslaufen des Mietvertrages das denkmalgeschützte Inventar übernimmt.
Von außen sieht die Ise-Apotheke, die seit 111 Jahren in einem Gründerzeithaus an der Klosterallee residiert, wie immer aus. Und so kommt es vor, dass hin und wieder Kunden vor der Tür stehen, die Inhaberin Lucia Mötting aber wegschicken muss. Denn die Ise-Apotheke ist seit Ende März geschlossen. Die dunkel gebeizten Regale, Schränke und Vitrinen im Verkaufsraum sind bereits leer geräumt. In einer Ecke stapeln sich Umzugskartons.
Die gesamte Inneneinrichtung wurde 1910 von den Architekten W. Schmidt und Sohn errichtet. Sie galten als Meister der Apothekenbaukunst, daher ist das komplette Inventar denkmalgeschützt – und zieht jetzt ins Museum: die Wandvertäfelungen, die Verkaufstheke und die Rezeptur, hinter der Salben und Tinkturen angemischt wurden, sowie die von der Decke hängenden Leuchtreklamen für Spalttabletten und Cafaspin. Und auch die verblichenen Fotos der drei Vorgänger von Inhaberin Lucia Mötting. Sie hat die Apotheke 1984 übernommen.
Das Labor ist bereits leer geräumt
Über eine schmale Treppe gelangt man ins Obergeschoss. Das Labor ist bis auf die historische Destillierapparatur und den Trockenschrank bereits leer geräumt. Im Raum daneben sind die Regale aber noch mit Hunderten von unterschiedlich großen Gläsern gefüllt, die – für den Laien rätselhafte – Aufschriften wie „Rad. Althaeae Pulver“ und „Kal. Nitric“ tragen. Auf manchen prangen Warnhinweise.
Über ein weiteres Treppchen ist das ebenfalls bereits ausgeräumte Apothekerzimmer zu erreichen. Nur ein großer hölzerner Schreibtisch steht noch in der Mitte des kleinen Raums. An ihm kann man sich die vier Apotheker-Generationen, die sich hier über Bücher, Schriften, Listen und Rezepte gebeugt haben, gut vorstellen.
Gesamter Bestand muss genauestens protokolliert werden
Bevor er verpackt wird, muss der gesamte Bestand von einer Archivarin für das Denkmalschutzamt genauestens protokolliert werden. Was nicht mit ins Museum kommt, kann nicht einfach weggeschmissen werden. „Die Chemikalien müssen zunächst umgefüllt und beschriftet und dann in blauen Spezialtonnen verschlossen werden“, erklärt Lucia Mötting.
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Noch vorsichtiger muss sie mit dem Phosphor umgehen, der im Keller lagert – in besonderen Glasflaschen, umhüllt von Sand. „Er wurde früher für den Knochenaufbau bei Kindern verwendet“, erklärt die 70 Jahre alte Apothekerin.
Neues Zuhause ihrer Apotheke wird im Herzogtum Lauenburg sein
Das neue Zuhause ihrer Apotheke wird im Herzogtum Lauenburg sein: in das von einem Verein betriebene Museum „Vergessene Arbeit“ in Steinhorst. Die beiden Vorsitzenden, Paul Petersen und Reinhard Mielke, beginnen in der Ise-Apotheke mit dem Abbau der Wandvertäfelungen im Verkaufsraum.
„Mal sehen, wo wir hier anfangen können“, sagt Mielke und betrachtet die solide Handwerksarbeit aus dem vergangenen Jahrhundert. Es darf nichts beschädigt werden. Wie gut, dass er von Beruf Tischler ist. In dem Museum, das in einem riesengroßen alten Kuhstall liegt, wurde für die Ise-Apotheke bereits Platz geschaffen, die künftig nicht verteilt über drei Etagen, sondern auf einer Ebene liegen wird. Damit sie auch von außen ihr altes Erscheinungsbild behält, hat Mielke bereits den markant geschwungen Bogen über der jetzigen Eingangstür nachgebaut.
Apothekerin ist glücklich über die jetzt gefundene Lösung
Wie berichtet, hatte Lucia Mötting lange nach einem Abnehmer für das gesamte Inventar gesucht. Doch die Museen, die sie ansprach, waren zwar interessiert, wollten aber nur ausgewählte Stücke haben. „Aber ich wollte die Apotheke nicht zerpflücken“, so die Apothekerin, die glücklich über die jetzt gefundene Lösung ist.
Mit Paul Petersen und seiner Frau Heike, die ebenfalls heute mit anpackt, ist sie bereits per Du. „Ich nehme mir heute die Schubladen vor und nummeriere sie“, sagt Heike Petersen. Das ist wichtig, da die Laden alle unterschiedliche Maße habe – und beim Wiederaufbau wieder exakt an ihren alten Platz kommen müssen.
Lucia Mötting ist auch wichtig, dass ihre Arbeit nicht vergessen wird
Doch Lucia Mötting freut sich nicht nur darüber, dass die Apotheke wieder aufgebaut wird. Ihr ist auch wichtig, dass ihre Arbeit nicht vergessen wird. Daher wird sie später im „Museum für vergessene Arbeit“ zeigen, wie die Aufgaben eines Apothekers in früheren Zeiten aussahen. Diese seien nicht vergleichbar mit der Arbeit heute.
„Heute ziehen Apotheker fast nur noch Schubladen auf, um den Kunden Fertigarzneien auszuhändigen“, sagt sie. Die wahre Apothekerkunst aber bestehe im Anmischen von Salben, Drehen von Pillen oder dem Gießen von Zäpfchen. „All das habe ich noch gelernt und werde es Museumsbesuchern oder Schulklassen gerne zeigen.“
Besichtigen kann man die alte Harvestehuder Apotheke vom 1. Juli an
Besichtigen kann man die alte Harvestehuder Apotheke an ihrem neuen Standort im Steinhorster Kuhstall aber wohl erst vom 1. Juli an. Ob das Museum dann schon offen oder noch coronabedingt geschlossen ist, kann noch niemand sagen. Interessierte sollen aber schon vorher auf der Website des Museums einen virtuellen Rundgang durch die Ise-Apotheke machen können.
Museum der Vergessenen Arbeit
- Das „Museum der Vergessenen Arbeit“ liegt im ehemaligen Kuhstall einer 1876 bis 1879 erbauten Durchfahrtsscheune, wird vom Heimatverbund und Geschichtsverein Steinhorst/ Sandesneben betrieben und zeigt auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern eine Sammlung restaurierter Geräte und Maschinen aus Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Hauswirtschaft und Handwerken verschiedener Epochen. Adresse: Schulstraße 10, 23847 Steinhorst, www.museum-steinhorst.de