Hamburg/Düsseldorf. Cansu Özdemir wollte in den Irak fliegen. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit hält Vorgehen der Bundespolizei für verfassungswidrig.
Hamburgs Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) hat mit Befremden auf das Festsetzen der Vorsitzenden der Linken-Bürgerschaftsfraktion, Cansu Özdemir, am Düsseldorfer Flughafen reagiert. Nach den bisherigen Informationen dürften die Maßnahmen der Bundespolizei rechts- beziehungsweise verfassungswidrig gewesen sein, erklärte Veit. Sie kündigte an, dass sich "mit Sicherheit" auch das parlamentarische Kontrollgremium in Hamburg mit dem Vorgang beschäftigen werde.
Hamburger Politik wollte mit Delegation" in den Nordirak
Cansu Özdemir und neun weitere Teilnehmer einer Hamburger "Friedensdelegation" – darunter auch der Linken-Politiker Martin Dolzer – waren am Sonnabendmorgen am Düsseldorfer Flughafen von der Bundespolizei festgehalten worden. Die Delegation war auf dem Weg nach Erbil im Nordirak – Erbil ist die Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete im Irak.
Am Flughafen trafen die Hamburger durch Zufall auf weitere Delegationen, die ebenfalls gestoppt wurden. "Bei den insgesamt rund 20 Personen ging es um eine intensive grenzpolizeiliche Ausreisekontrolle", sagte Bundespolizeisprecherin Christin Fußwinkel dem Abendblatt. "Es wurde geprüft, ob von einer Person Gefährdungen ausgehen, die die Sicherheitsbelange der Bundesrepublik im Ausland nachhaltig schädigen können."
Hamburger Politikerin muss sich vor Polizei rechtfertigen
Die Befragungen der Delegationen dauerten bis zum Nachmittag an – die von Cansu Özdemir war bereits am Mittag beendet, so Fußwinkel. Die Linken-Fraktionsvorsitzende in der Hamburgischen Bürgerschaft könne weiterreisen.
"Wir waren auf dem Weg zum Gate – dann mussten wir unsere Pässe abgeben", schildert Özdemir den Vorfall am Telefon. Özdemir habe bei der Befragung nicht angegeben, dass sie Abgeordnete eines deutschen Landtages sei, hieß es vonseiten der Polizei. "Das ist totaler Quatsch", sagte Özdemir dem Abendblatt. "Ich habe den Beamten mindestens dreimal gesagt, dass ich Abgeordnete bin."
Özdemir nach Festsetzung am Flughafen: "Ich bin schockiert"
Zudem habe ihr Anwalt dem Dienstleiter vor Ort ein Dokument geschickt und sie habe ihren Abgeordnetenausweis vorgezeigt. Das Vorgehen am Düsseldorfer Flughafen habe sie "unfassbar schockiert", so Özdemir. Sie kündigte ein juristisches Nachspiel an.
Nach Erbil im Nordirak habe sie reisen wollen, um mit Parteien ins Gespräch zu kommen, die an dem dortigen Konflikt beteiligt sind. Zudem wollte sie sich mit dem Deutschen Generalkonsul treffen. Özdemir: "Und ich wollte das Flüchtlingslager Machmur besuchen."
Hamburg Bürgerschaftspräsidentin Veit fordert nun eine zügige Aufklärung der Angelegenheit. Sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Verfassung der Hansestadt dürfen Abgeordnete während der Dauer ihres Mandats weder verhaftet noch in sonstiger Weise in ihrer Freiheit und in der Ausübung ihres Mandats behindert werden – "es sei denn, sie werden bei der Ausübung einer Straftat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen", erklärte Veit.
Hamburger Politikerin von Bundespolizei gestoppt – Fraktion empört
Bereits am Vormittag hatte die Linken-Fraktion eine Mitteilung herausgegeben, in der Özdemir zitiert wird. „Wir sind seit mehreren Stunden in einem Raum ohne Fenster eingesperrt", monierte die Linken-Politikerin. "Als ‚Begründung‘ wurden uns lediglich ‚politische Aktivitäten einzelner Delegationsmitglieder in der Vergangenheit‘ genannt." Der Anschlussflug nach Erbil sei ohne die Delegation gestartet.
"Abgeordnete wie Schwerkriminelle behandelt"
Die Co-Fraktionsvorsitzende Sabine Boeddinghaus reagierte empört. „Wir sind fassungslos darüber, dass deutsche Sicherheitsbehörden eine politische Delegation mit gewählten Abgeordneten wie Schwerkriminelle behandeln und an der Ausreise hindern – ohne nachvollziehbare Rechtsgrundlage", sagte sie. "Diese Freiheitsberaubung im Dienste Erdogans muss aufgeklärt werden und Konsequenzen haben.
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Boeddinghaus gab an, im Gespräch mit der Bundespolizei erfahren zu haben, dass die Ingewahrsamnahme das Ziel habe, vermeintliche „menschliche Schutzschilde der PKK“ zu verhindern, um die deutsch-türkischen Beziehungen nicht zu belasten. Ob es einen PKK-Bezug gibt, dazu konnte die Bundespolizei keine Angaben machen. "Aus ermittlungtaktischen Gründen", sagte Christin Fußwinkel.
Journalisten aus Hamburg in Erbil festgesetzt
Mehrere Journalisten aus Hamburg, die ebenfalls zur Delegation gehören, konnten zwar in Düsseldorf in den Flieger steigen, werden jedoch nach Informationen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) derzeit von Sicherheitsbehörden in Erbil festgehalten.
Der Kontakt zu den Pressevertretern sei am Sonnabend stundenlang abgebrochen gewesen, so Tina Fritsche von der dju. „Auch wenn sich die Festsetzung der Delegationsteilnehmenden sowohl in Düsseldorf als auch in Erbil als abgestimmte Aktion der deutschen und irakischen Behörden darstellt, fordern wir die deutsche Bundesregierung und ihre Vertretung in Bagdad dringend auf, umgehend für die Freilassung der Journalisten und Journalistinnen zu sorgen.“ Auch am Sonntag war noch nicht bekannt, wie es den Journalisten geht, was ihnen vorgeworfen wird, wann sie freikommen und welche Rolle deutsche Behörden in dieser Angelegenheit spielen.
Teilnahme an Konflikt belaste Beziehungen zur Türkei negativ
In einem Schreiben zur Ausreiseuntersagung, das Cansu Özdemir nicht erhalten hat, aber Mitglieder anderer Delegationen, heißt es in der Begründung: "Den deutschen Sicherheitsbehörden wurde aus Veröffentlichungen im Internet bekannt, dass Pkk-nahe kurdische Vereine im Zusammenhang mit dem derzeitigen bewaffneten Konflikt der PKK mit den türkischen Sicherheitskräften eine Aktion "menschlicher Schutzschild" gestartet haben, um die Gesellschaft und die "Guerilla" zusammenzuführen."
Demnach sollten ab Anfang Juni Personen in Gruppen in die kurdischen Gebiete einreisen, um von dort aus die Krisenregion zu erreichen. Weiter heißt es: "Durch eine Teilnahme an Aktionen der als verbotenen Terrorunterstützung eingestuften PKK oder der passiven Unterstützung der Aktionen der PKK im Krisengebiet gegen Sicherheitskräfte des Nato-Partners Türkei werden erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt." Eine Teilnahme deutscher oder europäischer Bürger an dem Konflikt werde die "Beziehungen zur Türkei weiter negativ belasten".