Hamburg. Staatsrat Christoph Holstein lebt sein Ressort selber täglich vor. Seine lässige Art stößt aber nicht immer auf Zustimmung.
Mancher hält ihn für den coolsten Berufspolitiker unserer Stadt. Christoph Holstein selbst weist diese Einschätzung – natürlich – weit von sich. Er bemühe sich lediglich um Bodenhaftung, Zuversicht und Lebensfreude. Lockerheit im Umgang auch mit denen da ganz oben und der Verzicht auf staatstragende Allüren helfen in seinem Amt als Staatsrat Sport der Innenbehörde. Man muss die Sache ernst nehmen, nicht die eigene Person. Das Renommee des politischen Beamten an der Basis ist ausgeprägt.
Wahrscheinlich auch, weil der gebürtige Essener mit bestem Beispiel vorangeht. Im wahrsten Sinn des Wortes. Wer sich als Liebhaber barocker Lebensart nach einem – im Spätsommer noch unkomplizierten – Restaurantbesuch vom Tisch erhebt, spürt den Ballast mehr als sonst. Holstein hingegen ist Sportsgeist auf zwei Beinen.
Holstein joggt vom Sportamt nach Groß Borstel
Wenn er eher en passant erzählt, mindestens einmal in der Woche vom Sportamt in der Innenstadt nach Hause in Groß Borstel zu laufen, bleibt einem erst mal der Atem weg. Nicht gehen. Laufen. Zehn Kilometer sind es gut und gerne. Und wenn das aus Termingründen oder wegen der Witterung nicht klappt, joggt der Mann ein Stündchen durchs Eppendorfer Moor. Im Schnitt jeden zweiten Tag. Alleine, mit sich und seinen Gedanken.
„Ich brauche das“, sagt er, „in Corona-Zeiten ganz besonders.“ Wenn er richtig gut in Fahrt kommen will, etwa an jedem dritten Wochenende, befestigen seine Ehefrau Katharina und er die Surfbretter auf dem Dach ihres Ford Transit und steuern das Ferienhäuschen auf Föhr an. Wenn der Wind braust und die Nordseewellen trecken, ist das Ehepaar Holstein in seinem Element.
Jedes dritte Wochenende nach Föhr
Gerne auch mit den beiden just erwachsenen Kindern und besonders gerne auch dann, wenn das Klima für Otto Normalsportler viel zu widrig ist. „In der Erziehung alles richtig gemacht, Katharina“, postete Christoph Holstein jüngst in den sozialen Netzwerken. Parallel ist der 20 Jahre alte Sohn bei Schnee am Strand zu sehen – beim Aufbau des Segels. Als habe der Vater damit nichts zu tun. Stolz ist er durchaus.
Dieser lässige Umgang mit dem Alltag bescherte dem 57-Jährigen in der Vergangenheit nicht nur amüsierte Reaktionen und Zuspruch. Man warf ihm vor, sich bisweilen öffentlich allzu lax zu präsentieren. Es gezieme sich eines Spitzenbeamten nicht, Fotos vom Biertrinken an der sommerlichen Nordsee ins Netz zu stellen – und dabei die Füße im Wassereimer zu kühlen.
Kritik wegen öffentlichem Selfie
Auch das Selfie im Regenfass mit einem Abendblatt in der Hand war nicht nach jedermanns Geschmack. Holstein sah es ein, trat auf die Bremse, präsentierte sich fortan seriöser. Die Spontaneität ging ein bisschen baden. Seinem Spaß habe solche Zurückhaltung keinen Abbruch getan. Denn die Parole blieb: Locker bleiben, Leute.
Wer ihn von früher kennt, der weiß: Christoph Holstein spielt keine Rolle. Er ist, wie er ist. Als Kind des Ruhrpotts kam er im November 1963 in Essen als mittlerer von drei Jungs zur Welt. Die Mutter war Zahnarzthelferin, der Vater Bibliothekar bei Krupp. Mit seinem Bruder ging er ins Stadion an der Hafenstraße und sah Rot-Weiss Essen noch erstklassig kicken. Mit Horst Hrubesch und „Ente“ Lippens. Sympathie zu Hamburg keimte früh.
Logo des FC St. Pauli an Wand
In der dreiköpfigen WG in München pinselte Student Christoph ein riesiges Logo des FC St. Pauli an die Flurwand – Durchmesser mehr als 1,50 Meter. Auf die Gewissensfrage „lieber HSV oder die Männer vom Millerntor?“ entgegnet der Staatsrat heutzutage diplomatisch: SV Groß Borstel. In dem Verein ist er Mitglied, ebenso im Lufthansa SV.
Nach dem Examen in Germanistik, Politik und Geschichte lockte der Norden – nach Zwischenstation im südwestlichen Afrika. Surfen spielte seinerzeit noch keine Rolle in Holsteins Leben. Für diesen Kick sorgte die heutige Ehefrau. Katharina lernte er bei einer Hochzeit kennen, als beide als Trauzeugen dabei waren. Es funkte rasch. Bald drei Jahrzehnte liegt dieses Schlüsselerlebnis zurück. Und da die angehende Ärztin, die aktuell als Internistin im UKE arbeitet, Windsurfen liebte, folgte er ihr auch aufs Wasser. Die Leidenschaft hielt an. So und so.
Zunächst als Pressesprecher in der Innenbehörde
Beruflich gab es mehrere Meilensteine. Im Anschluss an das Studium schrieb der damals 29-Jährige knapp ein Jahr für die deutschsprachige Zeitung „Tempo“ in Namibias Hauptstadt Windhoek. Ferne und Abenteuerlust reizten zum Aufenthalt in Afrika. Es folgten fünf Jahre als Redakteur beim „Flensburger Tageblatt“. Hoch lebe der Kontrast. Übrigens gab es auch beim Hamburger Abendblatt ein Vorstellungsgespräch. Ergebnislos. Doch man sollte sich wiedersehen.
Und zwar 1998. Die Hamburger Innenbehörde suchte einen Pressesprecher, der aus dem Journalismus und nicht aus den eigenen Reihen stammte. Die Wahl fiel auf den parteilosen Christoph Holstein. Neben seinem gewinnenden Naturell konnte er Sachverstand und Praxisnähe in die Waagschale werfen. Vor allem verstand es der neue Sprecher, herrlich unkompliziert mit Menschen klarzukommen. Seine Kunstfertigkeit, früher wie heute: klare Botschaften wohlfeil formuliert an die richtige Adresse zu bringen.
Elf Jahre Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion
Der Berufsweg verlief zielgerichtet und konsequent. Von 2001 an wirkte Holstein als Sprecher der Hamburger SPD. In dieser Zeit wurde er Parteimitglied. Die insgesamt elf Jahre danach als Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion sowie des Hamburger Senats begreift Holstein rückblickend als Schule fürs Berufsleben.
„Emotionen im Job liegen mir fern“, sagt der Staatsrat dazu. Warum? Auch weil er in dieser Beziehung beim heutigen Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz in die Lehre ging. Der Sozialdemokrat, wegen seiner stoischen Ruhe und äußerlich nordischen Kühle mit dem Spitznamen „Scholzomat“ dekoriert, lässt sich höchst selten aus der Ruhe bringen. Wer ein paar Jahre für Scholz aktiv war, weiß eben, wie Gelassenheit buchstabiert wird.
Holstein von Scholz-Senat zum Staatsrat berufen
Misslich für den einen wie den anderen kam das Aus einer Hamburger Olympiabewerbung per Volksreferendum im Spätherbst 2015. Während andere lautstark lamentierten und monatelang jammerten, kehrte Christoph Holstein zügig zur Tagesordnung zurück.
Wenige Monate zuvor erst war er von Scholz-Senat zum Staatsrat berufen worden – unter dem Dach des damaligen Innensenators Michael Neumann. „Eine demokratische Entscheidung braucht kein Nachkarten“, meinte Holstein, krempelte die Ärmel hoch und arbeitete weiter. So, wie er es gelernt hatte, und so, wie es seiner Art entspricht.
Initiatior des Programms „Active City“
Holstein gehört neben Senator Andy Grote zu den Initiatoren des Programms „Active City“. Im Mittelpunkt stehen Sport, Bewegung und körperliche Betätigung in der Metropolregion. Einen besseren „Vorturner“ könne es kaum geben, sagt man in der Vereinswelt. Nicht nur, wenn Holstein nach Feierabend seinen Anzug im Büro lässt, die Laufklamotten anzieht und sich joggend auf den Heimweg macht.
Dass Einsätze als „Grüßaugust“ zum Job zählen, streitet er nicht ab. Der Staatsrat ist sich keineswegs zu schade, abends und am Wochenende auch kleine Clubs zu besuchen. Jubiläen und Ehrungen verdienstvoller Ehrenamtlicher sind ebenso Pflicht wie Verbandssitzungen und Arbeitskreise. „Macht Spaß“, sagt er, „und ist eine Frage des Respekts.“ Nicht selten beinhalten solche Kontakte auf Augenhöhe Anzug und Krawatte. Faustregel: Bei Tennis und Wassersport machen Kleider Leute. Ansonsten darf’s gerne legerer zugehen.
Auch Holstein leidet unter Corona
Und Corona? Macht Holstein ebenso zu schaffen wie allen anderen auch. Logisch. Kaum Veranstaltungen, Großereignisse ohnehin nicht, ein Drittel der Woche im Homeoffice, Kontaktbeschränkungen und so weiter. „Ich hoffe, dass wir im Sommer einigermaßen in Richtung Normalbetrieb navigieren können“, meint Holstein. Momentan arbeitet er im Team an Konzepten, Finanzhilfen für Vereine zu stemmen.
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Parallel werden Ideen entwickelt, neue Vereinsmitglieder zu gewinnen und verlorene zurückzugewinnen. Klar, dass es mühevoll wird. Ziel ist es, trotz lockerer Umgangsformen Erfolge zu verbuchen. Gemeinsam mit einem Kollegen teilt sich Holstein einen Dienstwagen. Derzeit steht dieser meist still. Mangels dicht gedrängter Termine führen ein Fahrrad oder die U-Bahn ebenfalls zum Ziel.
Christoph Holstein mag Ordnung und Sauberkeit
Und privat? Surfen auf der Nordsee steht ganz oben. Ausfahrten an Bord des familieneigenen Katamarans ebenfalls. In der Doppelhaushälfte mit Garten ist Arbeitsteilung angesagt. Als „Handlanger“ darf er draußen gießen, Rasen mähen, Holz hacken und stapeln. In der Küche verspottet ihn der Nachwuchs als „Aufräumer“. Christoph Holstein mag saubere Verhältnisse. Und er pflegt seinen Ordnungssinn. Darüber kann er selbst am meisten schmunzeln.
Am nächsten Wochenende steht wieder Föhr auf dem Programm. Raus aufs Wasser. An diesem Wochenende bleiben die Holsteins zu Hause. Dann gönnt sich der Staatsrat drei Sternstunden: in aller Ruhe Zeitung lesen. Nicht nur Tagespolitik, sondern so richtig genüsslich schmökern. Und dabei den Kamin im Wohnzimmer in Betrieb setzen. Dann weiß man zumindest, für was das Holzhacken gut war.