Hamburg. Um Sozialhilfe zu beantragen, stehen die Geflüchteten stundenlang in der Kälte. Eine Online-Terminvergabe soll Situation verbessern.
Julia Amal schiebt ihre einjährige Tochter Sarah im Kinderwagen vor sich her, an ihrer Schulter baumelt eine große Tüte voll mit Thermoskannen und Pappbechern. Die junge Mutter steuert zielstrebig auf das Ende des Bargkoppelstiegs zu. Dort warten am Donnerstag um 7.30 Uhr trotz der Kälte bereits 150 Geflüchtete aus der Ukraine darauf, das Ankunftszentrum Rahlstedt betreten zu dürfen. Unter den Schutzsuchenden sind viele junge Mütter mit Kinderwagen – Julia und Sarah Amel fallen gar nicht weiter auf.
Die Lehrerin wohnt ganz in der Nähe und hatte vor einer Woche durch Zufall entdeckt, unter welch unzumutbaren Bedingungen die Ukrainerinnen und Ukrainer hier anstehen müssen. „Das kann doch nicht wahr sein, in einer so reichen Stadt wie Hamburg“, dachte sich die junge Frau. Eine Mutter habe bei einstelligen Temperaturen ihr Baby im Stehen gestillt. „Die habe ich dann erst mal in mein Auto verfrachtet“, erzählt Julia Amal weiter. Seitdem kommt sie jeden Morgen mit ihrer Tochter her und schenkt den Durchgefrorenen Tee und Kaffee aus.
Ukraine-Krieg: Frust bei Registrierung in Hamburg
Die hier wartenden Geflüchteten sind bereits bei der Stadt registriert und privat bei Familien und Freiwilligen untergebracht. Deshalb müssen sie, anders als die Geflüchteten in staatlichen Unterkünften, hier gesondert die Sozialleistungen beantragen. In den zentralen Aufnahmeeinrichtungen seien die Menschen gut versorgt, weiß Julia Amal, die sich selbst bei der Initiative „Meiendorf hilft“ engagiert. Dort gebe es Busse zum Aufwärmen, Verpflegung und auch medizinisches Personal. Hier dagegen vergesse man die Menschen einfach – bis Mittwoch habe es nicht einmal Toiletten gegeben, so Amal.
Währenddessen beginnt sie, heiße Getränke an die Umstehenden zu verteilen – nach nur wenigen Minuten sind alle Thermoskannen leer. Einige der ukrainischen Frauen erzählen, dies sei bereits der vierte Tag, an dem sie hier anstünden, ohne Verpflegung oder einen Ort zum Aufwärmen.
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Hamburg: 14.000 Geflüchtete müssen versorgt werden
Dabei sei es schon besser als noch letzte Woche, so Julia Amal. Da seien es deutlich mehr Menschen gewesen, und Drängeleien hätten immer wieder zu Unruhe und Geschrei geführt, sogar die Polizei sei vor Ort gewesen. Als jetzt um 8 Uhr die Dienststelle öffnet, werden zunächst ältere Menschen und Mütter mit Kindern eingelassen, der Rest muss draußen warten.
Yuriiy, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen möchte, aber seit 15 Jahren in Hamburg lebt und deshalb als Einziger hier dolmetschen kann, hat seine Familie deshalb schon ganz früh aus Altona hergefahren: „Wir stehen hier seit 4.45 Uhr. Nur deshalb sind wir so weit vorne“, sagt er schulterzuckend. Er fragt sich: „Warum müssen wir alle hierherkommen? Warum macht man das nicht auf Bezirksebene?“
Ein Sprecher der Innenbehörde teilt mit, von der Situation im Bargkoppelstieg habe er keine Kenntnis und verweist auf die enorme Aufgabe, die 14.000 Geflüchteten zu versorgen, was einigermaßen gut gelinge. Tatsächlich aber war es bisher so, dass man Schlange stehen und hoffen musste – offenbar oft vergeblich. Spätestens jetzt soll sich die Situation entschärfen, denn die Stadt hat ein neues Buchungssystem für Termine eingerichtet. Theoretisch muss ab jetzt also niemand mehr in der Schlange stehen und frieren.
Wird Online-Terminvergabe das Frieren beenden?
Vom Wechsel zur digitalen Terminvergabe wissen die gerade Wartenden aber natürlich noch nichts. Als sich die Neuigkeit rumspricht, entspannt sich die Schlange etwas. Einige gehen, doch viele sind wie die 16-Jährige Nastya Michaliova trotzdem überfordert. Sie ist allein nach Deutschland zu ihrer Tante geflohen und versteht nicht, an wen sie sich wofür wenden muss. Und selbst wenn die Menschen ohne Termin kommen, „können sie ja nicht im Regen stehen gelassen werden“, findet Julia Amal. Sie wünscht sich, dass Vereine oder Unternehmen Zelte und Sitzgelegenheiten spenden, dass der Staat und die Zivilbevölkerung einfach besser zusammenarbeiten.
Ob die Online-Terminvergabe das Frieren am Bargkoppelstieg beendet, wird sich zeigen. Julia Amal möchte den Geflüchteten jedenfalls so lange heiße Getränke bringen wie nötig. „Aber irgendwann kann ich halt auch nicht mehr“ gesteht sie und zeigt erschöpft auf ihre Tochter, die im Kinderwagen eingeschlafen ist.