Hamburg. Zahl der Privat-Pkw ist erneut deutlich gestiegen. Bis 2040 wird sich der Verkehr stark verändern – dafür sorgen viele Megaprojekte.

Nein, ein gutes Zeichen für die Verkehrswende ist das nicht. Zum Jahresbeginn 2022 waren schon wieder deutlich mehr Kraftfahrzeuge in Hamburg angemeldet als ein Jahr zuvor. Der Pkw-Bestand wuchs seit Anfang 2021 um gut ein Prozent auf jetzt fast 808.000, bei den Lkw gab es einen Zuwachs von fast vier Prozent auf nun gut 73.000.

Vergleicht man diese Zahlen aus der Senatsantwort auf eine CDU-Anfrage mit den jüngsten Bevölkerungsdaten, nach denen die Einwohnerzahl pro Jahr zuletzt um nicht einmal 0,2 Prozent zulegte, so zeigt sich: Das Wachstum der Pkw-Zahlen ist nicht vorrangig durch den Zuzug neuer Einwohner zu erklären. Vielmehr halten es offenbar seit Jahren immer mehr Hamburger für notwendig, sich ein erstes oder ein zusätzliches Auto anzuschaffen. Sie tun also genau das Gegenteil von dem, was der rot-grüne Senat sich erhofft.

Verkehr Hamburg: Tjarks setzt sich für Projekte ein

„Von einem Erfolg der Mobilitätswende kann man in Hamburg noch nicht sprechen, solange die Zahl der Pkw jedes Jahr um bis zu 10.000 zunimmt“, urteilt Prof. Carsten Gertz, Leiter des Instituts für Verkehrsplanung und Logistik an der TU Hamburg. Auch ein zweiter Faktor sei problematisch: „Die Wege, die die Menschen an jedem Tag zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Arzt zurücklegen, werden immer länger – auch weil wieder mehr ins Umland gezogen wird.“ Längere Wege bedeuten in der Regel: mehr Verkehr, mehr Staus, Abgase und Lärm und mehr Ausstoß des Klimakillers CO2.

Dabei kann man dem Senat und seinem Verkehrssenator Anjes Tjarks kaum vorwerfen, dass er zu wenig unterwegs sei für die Verkehrswende. Allenthalben weiht der fast schon omnipräsente Grünenpolitiker Radwege ein, macht Werbung für Moia oder E-Taxis, am Montag dieser Woche stellte er Pläne für einen modernen neue Werks- und Umsteigebahnhof auf der Veddel vor –, und zugleich treibt er die Megaprojekte voran.

Bahn führt „Deutschlandtakt“ ein

Der Hauptbahnhof wird umgebaut und erweitert, im Osten der Stadt starten die Bauarbeiten für die U 5 – und vor einer Woche präsentierte Tjarks ein weiteres Großvorhaben: Ein neuer, mehr als sechs Kilometer langer S-Bahn-Tunnel soll den Hauptbahnhof mit Altona verbinden, um auf der oberirdischen Verbindungsbahn mehr Platz für den Fernverkehr zu schaffen. Das ist nötig, weil die Bahn bundesweit den sogenannten „Deutschlandtakt“ einführen will, der die Metropolen deutlich schneller und in fester Taktung verbinden soll.

Kopenhagen soll dann in zweieinhalb und München in 4,45 Stunden erreichbar sein. Voraussetzung dafür ist eine Weitung des Nadelöhrs zwischen Hauptbahnhof und Altona auf der Verbindungsbahn, wo heute neben 900 S-Bahnen auch 300 Fernzüge pro Tag verkehren – und so den Schienenverkehr aus Norden und Westen mit dem aus Süden und Osten verbinden. Dafür soll es irgendwann vier statt zwei Gleise geben, wenn die S-Bahn durch den neuen Tunnel fährt. Den mitten durch die Stadt zu buddeln, wird dauern und zu vielen Behinderungen führen – zeitgleich zum Bau der U 5.

„Hamburg ist von Anbeginn eine Verkehrsstadt"

Die Mobilitätswende sei keineswegs nur ein regionales Vorhaben, betonte Tjarks auch in diesem Zusammenhang. Es gehe eben nicht nur um Radwege, das wäre viel zu klein gedacht. „Hamburg ist von Anbeginn eine Verkehrsstadt, eine Stadt die als Verkehrsdrehscheibe für Nordeuropa dient“, sagt der 40-Jährige.

Hamburg war immer der Ort, an dem man entlang der Elbe die Alster überschreiten konnte, und so wurde es zu einer Drehscheibe für Handel und Verkehr im Norden. Auch heute führen drei transeuropäische Korridore durch Hamburg: der Nord-Ostsee-Korridor, der Skandinavien-Mittelmeer-Korridor und der zum östlichen Mittelmeer. Wir sind das Scharnier nach Nordeuropa.“

Stärkung des Verkehrs eine europäische Aufgabe

Und in dieser Rolle werde Hamburgs Bedeutung noch wachsen – schon allein durch die feste Fehmarnbeltquerung. „Deswegen ist die Stärkung des Verkehrs in Hamburg keine regionale, sondern eine deutsche und europäische Aufgabe“, so Tjarks. „Dazu gehören die Erneuerung und Ergänzung der Elbbrücken, der Ausbau des Hauptbahnhofs, der Bau von U 5 und S 4 und die Modernisierung der Autobahnen A1 und A7. Es sind echte Herkulesaufgaben, die wir vor uns haben. So schnell und umfassend hat sich die Stadt wohl noch nie verändert.“

Hinzu kommen angesichts der maroden Brücke die Pläne für die dringend nötige neue Köhlbrandquerung und die von vielen Harburgern als Entlastung für die B73 herbeigesehnte, aber von Umwelt- und Klimaschützern bekämpfte neue A26 Ost, die sogenannte Hafenpassage, die die A 1 und A 7 verbinden soll.

Tjarks voller Lob für Volker Wissing

Ohne den Bund geht von alldem kaum etwas. Denn der soll schließlich die Projekte von überregionaler Bedeutung bezahlen und sich auch an den anderen beteiligen. Dass die Ampelregierung im Koalitionsvertrag angekündigt hat, auch bereits in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommene Vorhaben nun einer „Bedarfsprüfung“ zu unterziehen, sorgt auch in Hamburg hier und da für Verunsicherung. Denn bisher ist nicht klar, nach welchen Kriterien die Projekte jetzt überprüft werden sollen.

Damit die Zusammenarbeit auch unter der Ampel im Sinne Hamburgs funktioniert, hat Tjarks am Mittwoch dieser Woche dem neuen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in Berlin seine Aufwartung gemacht – und sich danach sehr positiv über den Liberalen geäußert. Die Gespräche seien „sehr gut“ gelaufen, sagte Tjarks dem Abendblatt. „Ich schätze seine große Ernsthaftigkeit und hohe Sachorientierung. Ich denke, dass wir sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten werden. Das wird uns auch bei unseren großen Hamburger Vorhaben helfen.“

Köhlbrandquerung für Hafen unverzichtbar

Allerdings ist das Geld auch im Bund knapp – deswegen dürfte die Ampel kaum alle Hamburger Wünsche erfüllen. Mancher Experte sieht die A 26 Ost ganz oben auf der Streichliste. „Hamburg würde mit der geplanten neuen Köhlbrandquerung und der A 26 Ost zwei neue Elbquerungen bekommen“, sagt TU-Verkehrsplaner Gertz.

„Es ist gut denkbar, dass der Bund sagt, dass er nur eine davon finanziert. Dann dürfte Hamburg sich wohl für die Köhlbrandquerung entscheiden, denn die ist für den Hafen unverzichtbar.“ Zudem könne die A 26 Ost mehr Verkehr erst erzeugen, weil „mehr Menschen, die in Hamburg arbeiten, Richtung Stade ziehen und dann täglich hier fahren – und womöglich vor den Elbbrücken im Stau stehen“.

CO2-Ausstoß weiter angestiegen

So richtig es ist, Hamburg als Teil des europäischen Verkehrsnetzes zu sehen und entsprechend groß zu denken – die Mobilitätswende muss dabei auch beim Stadtverkehr wohl bald noch energischer vorangetrieben werden. Denn nach der bisher aktuellsten Verursacherbilanz ist der CO2-Ausstoß hier auch im Jahr 2019 angestiegen – während er in anderen Bereichen zurückging. Dabei ist ein deutlicher Rückgang dringend nötig, will Hamburg seine Klimaziele erreichen.

Technischer Fortschritt kann dabei helfen. Nach einer Moia-Studie könnten 5000 autonom fahrende E-Fahrzeuge dazu beitragen, den „Hamburgtakt“ zügig einzuführen, nach dem überall in der Stadt binnen fünf Minuten ein Nahverkehrsangebot verfügbar sein soll. Auch Tjarks wird nicht müde, die Idee zu preisen. Dabei geht es auch um Geld. „Firmen wie Moia werden erst finanziell auf einen grünen Zweig kommen, wenn ihre Fahrzeuge ohne Fahrpersonal unterwegs sind“, sagt TU-Professor Gertz. „Denn Personal macht einen Großteil der Kosten aus.“ Aber auch wenn Hamburg zu den Vorreitern zählt: Über das Versuchsstadium ist man beim autonomen Fahren noch nicht weit hinaus.

Trend zu Privat-Pkw noch nicht gebrochen

Einen weiteren technischen Beitrag soll die Elektrifizierung leisten. Sie löst zwar nicht die Platz- und Stauprobleme – aber hilft dem Klima- und Lärmschutz. Bisher allerdings sind weniger als zwei Prozent reine Elektro-Pkw in Hamburg unterwegs. Das aber dürfte sich bald ändern. „Bei den Neuzulassungen haben die alternativen Antriebe in Hamburg aktuell einen Anteil von rund 41 Prozent an den Gesamtneuzulassungen“, betont Tjarks. „Es ist davon auszugehen, dass sie in sehr absehbarer Zeit die Verbrenner überholen.“ Wichtig sei es, eine gute Ladeinfrastruktur aufzubauen.

Alle Bemühungen um die Verkehrswende aber haben den Trend zum neuen Privat-Pkw bisher noch nicht gebrochen. Deswegen mehren sich nun die Forderungen, nicht nur mit den sogenannten „Pull“-Faktoren zu arbeiten, die die Menschen durch attraktive HVV-Verbindungen, neue Radwege, Moia oder Carsharing quasi vom Auto zu den Alternativen herüberziehen sollen. Es brauche auch „Push“-Faktoren, die das Autofahren unattraktiver machen, so TU-Experte Prof. Gertz.

Parken teurer, Tempo 30 überall und eine Citymaut?

„Man wird zum Beispiel die Kosten der Stellplätze im Bewohnerparken deutlich erhöhen müssen“, so Gertz. „Es war einer der größten kommunalpolitischen Fehler der vergangenen Jahrzehnte, dass man die Menschen an kostenloses Parken mitten in der Stadt gewöhnt hat. Davon muss man wieder wegkommen, denn der Platz in der Stadt ist knapp und kostbar.“ Auch über eine allerdings schwieriger umzusetzende City-Maut könne man nachdenken, so der Verkehrsplaner, „und über Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der ganzen Stadt“. Klar sei: Ohne Verhaltensänderungen der Menschen funktioniere die Verkehrswende nicht.

Es gebe zu wenig Tempo 30, heißt es auch aus der Tjarks-Behörde. Man begrüße, „dass Verkehrsminister Wissing angekündigt hat, die Spielräume der Kommunen hier zu vergrößern“. Davon werde auch Hamburg Gebrauch machen.

Seelmaecker übt Kritik an Tjarks

Die Opposition ist mit der rot-grünen Verkehrspolitik nicht einverstanden. Rasant laufe der Umbau des Verkehrs bestenfalls auf dem Papier, sagt Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann. „Die Mobilitätswende bis 2030 wird damit nicht erreicht. Eine radikale, an die Wurzel des Übels gehende Verkehrspolitik ist für mich nicht erkennbar.“ Es ziehe sich wie ein roter Faden durch die Hamburger Verkehrspolitik, „den Autoverkehr bloß nicht zu stark anzufassen“, so Sudmann.

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„Dabei würde ein massiver Ausbau des Busverkehrs auf eigenen Busspuren schnell Alternativen zum Auto bieten. Die Busspuren können im nächsten Schritt für die Stadtbahn genutzt werden.“ CDU-Verkehrspolitiker Richard Seelmaecker wirft Tjarks „ideologische Maßnahmen“ vor und fordert einen „ganzheitlichen Ansatz“, der auch berücksichtigen müsse, dass eben immer mehr Hamburger Autos anschafften.

Verkehr Hamburg: TU-Experte voller Zuversicht

Der TU-Experte dagegen stellt der Stadt am Ende ein positives Zeugnis aus. „Insgesamt ist Hamburg bei der Mobilitätswende auf einem sehr guten Weg – auch im bundesweiten Vergleich“, so Gertz. „Die Stadt ist ambitioniert, innovativ und experimentierfreudig – und die Hochbahn ist das vielleicht innovationsfreudigste deutsche Nahverkehrsunternehmen. Hamburg-Takt, Switch-Umsteigepunkte und Ausbau des Radverkehrs zeigen, dass die Stadt in der richtigen Richtung unterwegs ist.“

Ob die Verkehrswende also doch gelingt und die Hamburger ihre Liebe zum Auto irgendwann aufgeben? Dann wäre Hamburg 2040 wohl eine andere Stadt. Mit weniger Staus, weniger Stress auf Straßen und Wegen und neu gestalteten Plätzen, wo heute noch Autos parken. Und einer schrumpfenden Zahl von Privat-Pkw. Weil dann wirklich kaum noch jemand ein eigenes Auto braucht.