Hamburg. Zwar beträgt der Unterschied nur wenige Punkte beim Inzidenzwert, Senatorin Leonhard betont trotzdem: “Wir bleiben in Habachtstellung.“

Im deutschlandweiten Corona-Ranking hat Hamburg eine unbeliebte Spitzenposition eingenommen: In keinem anderen Bundesland ist die Sieben-Tage-Inzidenz so hoch. Hamburg weist derzeit 10,5 Fälle pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen auf – der einzige zweistellige Wert im Land. Am Donnerstag kamen 24 Neuinfizierte hinzu. Bundesweit beträgt die Inzidenz 6,6.

Für den Senat ist diese leichte Trendumkehr noch kein Grund zu handeln, aber: „Wir bleiben in Habachtstellung“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) dem Abendblatt. „So, wie bei sinkender Inzidenz die Lockerungen kamen, müssten bei einer unkontrolliert zunehmenden Zahl an Neuinfektionen auch wieder einige Verschärfungen der Regeln umgesetzt werden.“

Corona in Hamburg: "In einer Großstadt sind die Kontakte enger"

Doch von schnell wachsenden Zahlen kann keine Rede sein. Der in der Praxis und im Notdienst mit Corona-Patienten und dem Impfen erfahrene Hausarzt Dr. Björn Parey sagte dem Abendblatt: Die Statistik könne bei diesen kleinen Zahlen auch mal schwanken. „In einer Großstadt sind die Kontakte enger als auf dem Land. Auch das engmaschige Angebot von Testzentren trägt dazu bei, dass wir in Hamburg möglicherweise mehr Positive erfassen als in anderen Regionen.“ Im Notdienst und in der Praxis versorge man viel weniger Patienten, die Corona-Symptome zeigen, und habe weniger positive Tests.

 Allerdings ist in anderen Großstädten die Inzidenz spürbar niedriger als in Hamburg, etwa in München (8,8), Berlin (6,5) oder Köln (8,5). Möglicherweise ist die etwas schlechtere Impfquote eine Erklärung dafür, warum die vermeintlich coronarigideste Stadt mit Lockdown und Ausgangssperren nun bei den Inzidenzen hinterherhinkt. Bundesweit liegt die  Quote bei 52,2 Prozent (Erstgeimpfte) und 33,5 Prozent (Zweitgeimpfte) – Hamburg hat hier nur Werte von 49,5 und 32,2. Senatorin Leonhard bleibt vorsichtig: Abstand, Masken, Testpflicht, Quarantäne, wo sie sein muss – „sie helfen uns, im Falle des Falles einen Ausbruch in den Griff zu bekommen“.

Impfquote in Hamburg bleibt weiter unter dem Bundesschnitt

Zwei besorgniserregende rote Pfeile nach oben, zwei beruhigende grüne, zwei graue, zwei schwarze – eine Corona-Eskalation sieht anders aus, als das, was der Lagebericht des Krisenstabes für die Hamburger Behörden da zeigt, der dem Abendblatt vorliegt. Ein Wust an Zahlen, Grafiken und eben Pfeile für die schnellen Leser und Entscheider legen nahe: In diesem Sommer hat das Coronavirus kaum eine Chance.

Und doch ist Hamburg in den Kern-Disziplinen der Virologen und Corona-Bekämpfer bundesweit zurückgefallen. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist mit 10,5 Fällen pro hunderttausend Einwohner wieder im dezenten Aufwärts-, also Negativtrend. Und die Impfquote – Anteil der Geimpften an den Erwachsenen – verharrt bei den Erstgeimpften (49,5 Prozent) unter dem deutschen Mittel (52,2). Doch schon der Blick auf die vollständig Immunisierten zeigt: Hier ist der Abstand nicht so groß.

Dass in Hamburg wegen der Enge der Metropole ein Infizierter mehr Menschen anstecken kann als in dünner besiedelten Gegenden, zeigt sich im R-Wert. Bundesweit liegt er bei 0,68, in Hamburg bei 0,78. Die Sozialbehörde macht für die leicht verschlechterten Zahlen vor allem die Reisetätigkeit verantwortlich, die Pendler, die Mobilität generell. Dennoch sagte ein Sprecher, es sei ein „großer Erfolg“, dass Hamburg „schon“ so wenige Fälle habe und nicht „noch“ einen Inzidenzwert um 10.

Corona-Lagebild für Hamburg: Wo die meisten Infizierten leben

Das Lagebild für die Behörden zeigt, dass im einwohnerstärksten Bezirk Wandsbek zuletzt erneut die höchsten Zahlen an Neuinfizierten registriert wurden (plus 73), vor Mitte (plus 46) mit einkommensschwachen Stadtteilen wie Billstedt und Wilhelmsburg. Erst dann folgten Eimsbüttel (26), Nord (21), Harburg (21), Altona (16) und Bergedorf (6).

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Eine auffällige Spreizung nach Stadtteilen, wie zuletzt berichtet, gibt es offenbar nicht mehr. Sozialsenatorin Melanie Leonhard sagte: „So, wie bei sinkender Inzidenz die Lockerungen kamen, müssten bei einer unkontrolliert zunehmenden Zahl an Neuinfektionen eben auch wieder einige Verschärfungen der Regeln umgesetzt werden. Was in welcher Situation erforderlich ist, wird dann nach Analyse der jeweiligen Lage entschieden. Dafür wird der Senat das Geschehen weiter aufmerksam im Blick behalten.“

Entspannung gibt es bei der polizeilichen Lage. Nach den „Spitzenwerten“ an Ordnungswidrigkeiten und Platzverweisen am vorvergangenen Wochenende und dem schon gemäßigteren Eingreifen der Beamten zuletzt sinken die Zahlen der Verstöße gegen die Eindämmungsverordnungen. Doch Wetter und Ferienbeginn können das Bild innerhalb von Tagen drehen.

Unterstützung für jugendliche Partygänger - von der Polizeigewerkschaft

Das sehen auch die Hüter der Ordnung so: Die Hamburg-Sektion der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) verlangte vom Senat praktikable Corona-Regeln gerade an Party-Hotspots. „Ich fordere den Senat und die Innenbehörde auf, die Lockerungsmaßnahmen so auszugestalten, dass die Polizei in die Lage versetzt wird, Regelverstöße zu ahnden und die immer noch notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auch tatsächlich durchsetzen zu können“, sagte Hamburgs DPolG-Chef Thomas Jungfer.

Wenn sich Tausende junger Menschen im Stadtpark, im Alstervorland oder an sonstigen öffentlichen Plätzen in Hamburg träfen und feierten, dann sei dieses Verhalten aus Sicht der meist jungen Menschen alternativlos. Denn Clubs, Diskotheken zum Beispiel auf St. Pauli seien noch geschlossen.

Für Polizeigewerkschafter Jungfer ist das ein nicht mehr tragbarer Zustand: „Warum gibt es kein Veranstaltungsangebot für Geimpfte, Genesene und Getestete? Warum gibt es keine offiziellen, risikoarmen Open-Air-Events als Angebot für die Party-Szene der Stadt? Wo ist das Corona-Konzept für St. Pauli und die Schanze?“ Wie sich Lockerungen und Partyverhalten auf die tatsächliche Zahl der Neuinfektionen auswirken, bleibt abzuwarten.

Die Inzidenz ist in Hamburg wohl auch deshalb so hoch, weil es ein engmaschiges System von Testzentren gibt. Nach Auskunft von Ärzten fische man in Hamburg deutlich mehr echte Infektionen nach Bestätigungen durch genaue PCR-Tests heraus als in ländlichen Regionen. Die meisten Neuinfektionen wurden in Hamburg laut Lagebericht zuletzt bei den 20- bis 30-Jährigen gezählt: jeder vierte Fall.

Corona in Hamburg: Die Lage an den Schulen

Am ersten Ferientag legte die Schulbehörde auf Abendblatt-Anfrage die Zahl der zuletzt festgestellten Infektionen vor. 321 Hamburger Schulen haben demnach seit dem 15. März  zusammen 1761 Infektionen von Schülern oder Schulpersonal gemeldet. Wo die Betroffenen sich infizierten, sei unklar.

Die meisten Infektionen gab es an der Beruflichen Schulen (BS) für medizinische Fachberufe auf der Elbinsel (59 Fälle), an der BS Anckelmannstraße (38), der BS Harburg (34), der Stadteilschule Wilhelmsburg (28) und der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik (24). Zwischen dem 15. März und 17. Juni wurden laut Behörde fast 3,2 Millionen Schnelltests an Schulen durchgeführt, von denen 2330 positiv ausfielen. Es seien der Behörde vier Fälle von Infektionen mit der Delta-Variante bekannt. 

„Es bleibt abzuwarten, ob Corona wirklich besiegt ist“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) dem Abendblatt. „Man darf ein bisschen zuversichtlich sein. Immer mehr Menschen sind geimpft. Tests, Masken, Abstände und Hygieneregeln sind mittlerweile so selbstverständlich wie das Angurten im Auto. Und doch hat das Virus mehrfach gezeigt, dass es gefährlich bleibt. Versorgungsprobleme beim Impfstoff und neue Virusvarianten bleiben eine Bedrohung. Wir wollen deshalb optimistisch, aber vorsichtig in das neue Schuljahr starten.“