Hamburg . CDU klagt Senat an: Viele Rückhaltebecken würden nicht gepflegt. Die Stadt sieht Grundeigentümer in der Pflicht.

Nach den jüngsten Starkregenfällen ist in Hamburg ein Streit um den Schutz vor Überflutungen entbrannt. Die CDU wirft dem Senat vor, die vielfach als Regenwassersiele genutzten Bäche, Gräben und Rückhaltebecken nicht zu pflegen und damit das Eigentum und die Sicherheit der Bürger zu gefährden. Die Stadt gibt zwar Defizite bei der Gewässerpflege zu, sieht aber auch die Grundeigentümer in der Pflicht, selbst für Hochwasserschutz zu sorgen.

Besonders bei Starkregen schwellen – wie jüngst in katastrophalem Ausmaß im Ahrtal gesehen – Gräben und Bäche stark an. Zusätzlich drückt Wasser aus den Sielen auf Straßen und Grundstücke. Um der Wassermassen trotzdem Herr zu werden, gibt es 410 Rückhaltebecken im Stadtgebiet. Sie sollen das Wasser zwischenspeichern und den kontrollierten Abfluss gewährleisten.

Starkregen in Hamburg: Das sagen betroffene Anwohner

Die verheerenden Fluten im Ahrtal haben gezeigt, dass die Infrastruktur den Starkregenfällen nicht immer gewachsen ist. Zwar ist die flache Tiefebene im Norden weniger anfällig als bergige Landschaften mit Schluchten und Engstellen, aber der Klimawandel stellt auch Hamburg vor Herausforderungen. Zumal 4550 Menschen in den 15 Gebieten wohnen, die die Stadt als „Überschwemmungsgebiete“ und damit als Ausdehnungsflächen für Wasser ausgewiesen hat. Sie würden bei Binnenhochwasser überflutet.

Mit Riesentanks unter einem Spielplatz in Neugraben-Fischbek und dem Sportplatz Möllner Landstraße in Billstedt sind zum Teil schon neue Formen von Binnenhochwasserschutz realisiert worden (wir berichteten). Aber die alte Infrastruktur der Oberflächensiele, Gräben und Rückhaltebecken muss nach wie vor erhebliche Lasten tragen. Und das kann sie offenbar nicht überall.

Starkregen in Hamburg: Wo die Stadt überflutet wird

Am Saseler Wiesenweg kämpft Miriam Prehn seit 2016 mit den Wassermassen und den Widrigkeiten, die der bei Starkregenfällen regelmäßig ausbleibende Abfluss des Regenwassers so mit sich bringt: vollgelaufene Keller, eine überflutete Straße, zu Seen mutierte Gärten und die Gewissheit, dass das Bezirksamt Wandsbek auch auf die nächste Anfrage erklären wird, dass alles zur Gefahrenabwehr Notwendige getan worden ist.

2016 lief der Keller zum ersten Mal voll. Brusthoch stand das Wasser, der Schaden im 2014 fertiggestellten Haus belief sich auf 90.000 Euro. Prehn: „Die Kausalitäten sind klar. Der Graben, der eigentlich das Regenwasser aus unserer Straße aufnehmen und ins Rückhaltebecken leiten soll, kann es nicht. Er ist bei uns bereits so voll von Regen aus anderen Gebieten, dass die Flut aus dem Graben heraus zusätzliches Wasser auf unsere Grundstücke drückt. Der Graben ent-wässert nicht, er be-wässert.“

Seit 2016 gab es eine Menge Schriftwechsel und regelmäßig neue Überschwemmungen, aber keine Abhilfe. Ein Experte von Hamburg Wasser kam und stützte laut Prehn ihre Sichtweise, der Experte vom Amt für Wasserwirtschaft war anderer Meinung. Letzterer war entscheidend.

Es gibt zwar ein Wehr, aber keinen, der es öffnet

Das Wehr im Rückhaltebecken am Ende des Wellingsbütteler Grenzgrabens bleibt regelmäßig verschlossen. Würde es geöffnet, könnte das den Pegel im Becken und letztlich auch im Graben senken. Aber dafür müsste ein zuständiger „Wehr-Verwalter“ gefunden werden. Prehn: „Wir kennen ihn nicht. Das Amt verweist uns auf die Feuerwehr. Aber beim letzten Einsatz waren sechs Wagen da, und keiner kannte sich damit aus oder hatte gar einen Schlüssel für das Wehr.“ In fünf Jahren Kampf mit den Behörden und Ämtern gibt es keine nennenswerte Bewegung.

Für die Region am Wellingsbütteler Grenzgraben seien überhaupt nur zwei Überschwemmungen aktenkundig, erklärte das Bezirksamt Wandsbek auf Nachfrage. Doch sei nicht der Graben über die Ufer getreten, und für Siele sei Hamburg Wasser zuständig. Formal ist das korrekt, bestätigte auch Hamburg Wasser. Aber die Siele entwässern oft in Gräben und Rückhaltebecken, die die Stadt pflegen muss. Können sie kein Wasser mehr aufnehmen, drückt es aus den Gullys.

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Überschwemmungen in Hamburg - „Die Stadt lässt uns absaufen“

„Die Stadt lässt uns absaufen“, sagt Prehn. „Beim letzten Starkregen Anfang August war die Straße schon nach einer Stunde überflutet. Dann hat es aufgehört. Nicht auszudenken was passiert, wenn es mal tagelang regnet.“ Mittlerweile gründet sich eine Bürgerinitiative, die dem Wasser und seinen vermeintlichen Wegbereitern im Bezirksamt den Kampf ansagen wird. Jetzt gibt es einen Termin beim Wandsbeker Bezirksamtsleiter Thomas Ritzenhoff (SPD).

„Immer häufiger haben wir auch in Hamburg Überschwemmungen nach Starkregenereignissen“, sagt der CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Der Klimawandel, aber auch die noch immer zunehmende Versiegelung, ungepflegte Flora und veraltete Sielstrukturen sind die Ursachen. Es ist an der Zeit, dass der rot-grüne Senat die Menschen im Stadtgebiet wirksam schützt und die Rückhaltebecken saniert.“

„Für Unterhaltungsmaßnahmen unserer Gewässer stehen uns jährlich 128.000 Euro zu Verfügung. Eine Unterfinanzierung dieses Titels liegt schon seit etlichen Jahren vor, wir können nicht alle Gewässer im ordnungsgemäßen Zustand halten und müssen daher Prioritäten setzen“, erklärt Markus Brüning, Abschnittsleiter Wasserwirtschaft im Bezirksamt Altona. Für größere Maßnahmen an Rückhaltebecken würden eigene Projekte ins Leben gerufen. Dafür sei in den letzten drei Jahren eine Million Euro eingeworben worden. Die Mittel der anderen Bezirke liegen in ähnlichen Regionen. Wandsbek bekam zuletzt 484.000 Euro für die Pflege und maßnahmenbezogen 470.000 Euro.

Unterhaltungsintervalle von 30 Jahren und länger

Laut Umweltbehördensprecher Björn Marzahn werden die Becken „nach Bedarf“ und „unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen“ gepflegt. Es gebe feste Wartungszyklen, aber auch „Unterhaltungsintervalle bis zu 30 Jahre und länger“. Gegen die regelmäßige Verschlickung, Vermüllung und Gestank helfen vor allem Ausbaggerungen. Marzahn: „Die Umweltbehörde bemüht sich aktuell um zusätzliches Geld.“

Land unter in Sasel: der Wiesenweg nach einer Stunde Starkregen
Land unter in Sasel: der Wiesenweg nach einer Stunde Starkregen © HA | Axel Ritscher

In Hamburg gibt es 410 Rückhaltebecken. 49 davon gelten als zum Siel gehörige „technische Anlagen“, die deshalb Hamburg Wasser betreut. Sie sind gut in Schuss. Der Löwenanteil der Rückhaltebecken aber ist rechtlich als „Gewässer“ eingestuft und liegt deshalb im Zuständigkeitsbereich der Stadt. Ihnen bescheinigen die CDU und immer wieder Anwohner einen Sanierungsstau. Gleiches gilt für Gräben und Flüsse, die als Oberflächensiele genutzt werden und in Rückhaltebecken münden. Die CDU will alles in die Zuständigkeit von Hamburg Wasser geben, die Stadt will es nicht.

Auch Gewässer mit Sielfunktion könnten „nicht einfach zu öffentlichen Abwasseranlagen umgewidmet werden“, schrieb der Senat auf eine entsprechende Anfrage des umweltpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion, Sandro Kappe. Auch wäre finanziell nichts gewonnen, wenn Hamburg Wasser die Gewässer in die Pflege nähme: „Es wäre eine Verlagerung der derzeit mit Steuern finanzierten Aufwendungen in Aufwendungen, die dann durch Gebühren finanziert werden müssten. Die Niederschlagswassergebühr, die Hamburg Wasser erhebt, würde entsprechend erhöht werden.“

CDU will alles in die Zuständigkeit von Hamburg Wasser geben

Kappe argumentiert eher praktisch: „Hamburg Wasser kann es, die Stadt nicht.“ Thering sieht keine Notwendigkeit für höhere Gebühren. Die Stadt müsse selbst für den Sanierungsstau aufkommen, den sie verursacht habe. Auch dann, wenn sie die Pflege Hamburg Wasser übertragen sollte. Die Schäden in Sasel müsse der Senat wegen seiner jahrelangen Untätigkeit „unbürokratisch und schnell ersetzen“, sagt Thering.

Die Umweltbehörde und Hamburg Wasser wiesen dagegen daraufhin, dass es auch an den Grundeigentümern selbst sei, sich gegen die wachsende Starkregengefahr zu wappnen. Auch auf Privatgrundstücken könnten Mulden oder Dachbegrünungen zum Halten des Wassers angelegt werden. Das Bezirksamt Wandsbek formuliert: „Eine Entlastung der Entwässerungssysteme kann langfristig durch eine dezentrale Rückhaltung auf den privaten Baugrundstücken erzielt werden, zu der alle Grundstückeigentümer beitragen.“ Sprich: Alteigentümer sollten auf ihre Kosten nachrüsten, wenn die Stadt nebenan Nachverdichtungen genehmigt oder das Niveau der Straße durch Neubau erhöht.

„Die Lösung liegt sehr häufig nicht in der Erweiterung der Sielkapazität“, sagt Marzahn. Sie würde Milliarden kosten und auf Jahre Baustellen schaffen.