Hamburg. Immer mehr Politiker und Mediziner fordern Ende der Auflagen. Warum der Senat zögert und welche Regel wohl als erste fällt.
Ein „Freedom Day“ in Hamburg – mit dem Ende der Corona-Auflagen? Das schien für Politik und nahezu alle Experten in der Omikron-Welle lange Zeit wie eine gefährliche Träumerei. Doch jetzt dreht sich die Stimmung langsam, aber stetig.
„Nachdem nun klar ist, dass das Virus weitgehend unabhängig vom Impfstatus weitergegeben wird, dass die Situation in den Krankenhäusern weit entfernt von einer gefährlichen Belastung ist und dass die Impfquote in Hamburg sehr hoch liegt, wird die Begründung für die Grundrechtseinschränkungen immer dünner“, sagt der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung in Hamburg (KV), Walter Plassmann, dem Abendblatt.
Corona Hamburg: Omikron-Welle überschritten?
Die Corona-Auflagen gehörten deshalb sofort auf den Prüfstand, dazu sollten Test- und Quarantäneregeln „entschlackt und vereinfacht“ werden, sagt Plassmann. Und auch wenn man das Ausrufen eines „Freedom Day“ scheue: „Ein klares ,Ausstiegs-Szenario‘ sollte schon festgelegt werden.“
In der Politik mehren sich ebenfalls die Stimmen, die den Höhepunkt der Omikron-Welle als überschritten betrachten – obwohl die Inzidenz am Montag leicht stieg. „Die Anzeichen dafür verdichten sich“, sagt Jennifer Jasberg, Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Mit Blick auf die Dynamik der letzten zwei Jahre bleibe man aber weiter besonnen: „Eine zu schnell erklärte endemische Lage wäre fahrlässig, ebenso aber natürlich auch das Ignorieren der optimistisch stimmenden Daten.“
„Die 2G-Regel im Einzelhandel sollte zügig fallen"
Sie könne sich vorstellen, „bereits für den Rest des Februars eine Öffnungsperspektive mit Augenmaß“ zu diskutieren: „Die 2G-Regel im Einzelhandel sollte zügig fallen, ebenso die Sperrstunde in der Gastronomie.“ Von der Ministerpräsidentenkonferenz am 16. Februar erwarte sie zudem „einen Fahrplan, der bundesweit einheitlich und verständlich Öffnungsperspektiven unter anderem für unser Nachtleben und Großveranstaltungen umfasst“.
Inzidenz steigt leicht: 3188 neue Fälle |
Nach vier Tagen mit sinkenden Werten ist die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen in Hamburg wieder leicht gestiegen. Die Gesundheitsbehörde meldete am Montag 3188 neu registrierte Fälle – 132 mehr als am Montag vor einer Woche. Damit stieg die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner binnen einer Woche am Montag ganz leicht auf 1867,8 an – nach 1860,9 am Sonntag. Der höchste Wert war am 29. Januar mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 2197 erreicht worden. Seither fallen die Zahlen in der Tendenz. Auf Basis einer anderen Berechnungsmethode gab das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag für Hamburg eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1526,3 an. Damit liegt die Hansestadt nach Bayern (1786,0), Berlin (1719,3), Hessen (1670,0) und Brandenburg (1633,6) bundesweit auf Platz 5.Am Montag stieg die Gesamtzahl der Corona-Fälle seit Beginn der Pandemie auf 288.507. Von diesen gelten 164.200 Hamburgerinnen und Hamburger als genesen, 2171 sind verstorben. Somit sind in der Hansestadt derzeit 122.136 Menschen akut mit dem Coronavirus infiziert. Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser wurden am Montag laut Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und- Notfallmedizin (Divi) 75 Covid-19-Patienten behandelt, von denen 39 invasiv beatmet werden mussten. Die Gesundheitsbehörde hatte die Gesamtzahl der Covid-19-Patienten in den Kliniken der Stadt zuletzt mit 485 angegeben. |
CDU-Fraktionschef Dennis Thering nennt es „ein hoffnungsvolles Signal, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle nach Wochen des stetigen Anstiegs in Hamburg mittlerweile überschritten wurde“, verweist aber auf überlastete Gesundheitsämter und die unsichere Datenlage. Als Erstes könnten nun die Kontaktbeschränkungen nach und nach zurückgenommen werden. „Unter der Maßgabe der Abstands- und Hygieneregeln und einer Beibehaltung der Maskenpflicht kann im Einzelhandel die 2G-Regelung entfallen. Außerdem sollte die Sperrzeit in der Gastronomie aufgehoben werden“, so Thering.
Corona-Regeln lockern? SPD Hamburg noch verhalten
Noch weiter geht – neben der AfD, die schon länger die Aufgabe aller Beschränkungen fordert –, auch die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein: „Es ist offensichtlich, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten ist.“ Damit seien alle weiteren Grundrechtseinschränkungen völlig unverhältnismäßig, 2G und 2G plus sowie die Maskenpflicht im Sportunterricht müssten sofort aufgehoben werden.
Claudia Loss, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, ist noch vorsichtiger: „Da wir nach wie vor mit einer größeren Dunkelziffer an Fällen rechnen müssen, ist es für ein abschließendes Urteil noch zu früh. Wir haben aktuell die richtige Balance gefunden, um mit dem Virus umzugehen. Das dürfen wir nach den Erfahrungen der Pandemie nicht durch Ungeduld riskieren.“ Kommende Woche sollte aber klar sein, ob neue Schritte in Betracht kommen: „Insbesondere für Einzelhandel und Großveranstaltungen unter freiem Himmel sehe ich Lockerungspotenzial.“
Auswertung der PCR-Tests dauert noch lange
Deniz Celik, Gesundheitsexperte der Linkspartei, fordert vom Senat zwar im Grundsatz auch eine Öffnungsperspektive: „Mit der Abschaffung von 2G im Einzelhandel, 2G plus in der Gastronomie und der Aufhebung der Sperrstunde sollten wir beginnen.“ Allerdings traut er den sinkenden Infektionszahlen nicht: „Die Gesundheitsämter sind so überlastet, dass es immer noch zu Meldeverzögerungen kommt und weiterhin von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden kann.“
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Das weist die Sozialbehörde zurück: Der Berg an Nachmeldungen sei durch massiven Personaleinsatz weitgehend abgearbeitet und die Gesundheitsämter wieder in der Lage, Infizierte in der Regel zeitnah zu kontaktieren, so Sprecher Martin Helfrich: „Da schlummert nichts mehr, was bisher unbearbeitet liegen blieb und uns in den nächsten Wochen überrollen könnte.“ Problematisch ist es aber nach wie vor, überhaupt an einen PCR-Test zu kommen. Auch die Auswertung im Labor dauert oft einige Tage.
Die Handelskammer forderte vom Senat, die 2G-Regelung im Handel sollte „schnellstmöglich“ abgeschafft und durch eine FFP2-Maskenpflicht ersetzt werden.
Erster Schritt: Abschaffung von 2G im Einzelhandel
Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) will noch rund eine Woche abwarten, ob sich die hohen Infektionszahlen aus dem Januar doch noch auf die Auslastung der Kliniken auswirken. Wenn das weiterhin nicht der Fall sei, könne man über Öffnungen sprechen. Den ersten Schritt, vermutlich die Abschaffung der 2G-Regelung im Einzelhandel, wird der Senat daher wohl frühestens kommende Woche gehen.
Der Mikrobiologe und Chef der Krankenhaushygiene im UKE, Prof. Johannes Knobloch, sieht einen klaren Trend in Hamburg. „Es kann sein, dass sich die Kurve zeitweise noch eher horizontal als weiter abwärts bewegen wird. Ich glaube aber nicht, dass wir noch dramatische Ausschläge nach oben sehen.“
Corona Hamburg: Strategie in zwei Bereiche teilen
Daraus folge für die Zukunft, die Strategie gegen Corona strikt in zwei Bereiche zu teilen: Einerseits die medizinischen Einrichtungen und besonders gefährdeten Gruppen, die noch stärker geschützt werden müssten als bislang – und den privat-alltäglichen Bereich, in dem die Auflagen zurückgefahren werden könnten.
„Bei Letzterem hebt sich Corona nicht mehr von der Influenza ab. Es handelt sich um impfpräventive Erkrankungen.“ Knobloch fordert aber keine Lockerungen, sondern spricht von „Möglichkeiten“, etwa bei 2G oder 2G plus. Von einer Abschaffung der Maskenpflicht rät er ab: „Das ist eine Maßnahme, die niemanden sehr stört, einfach aufrechtzuerhalten ist und einen wirksamen Schutz vor Infektionen darstellt.“