Hamburg. 1000 Experten tauschen sich über Hirntumore aus. Dr. Johannes Wimmer moderiert als Forscher – und als betroffener Vater.

Es ist ein buntes Sprachengewirr auf allen Gängen und in den Sälen des CCH – seit Sonntag diskutieren mehr als 1000 Experten aus der ganzen Welt die neuesten Erkenntnisse zu Diagnostik, Behandlung und Spätfolgen von Kindern und Jugendlichen mit Tumoren des zen­tralen Nervensystems. „Hirntumoren sind die zweithäufigste Krebserkrankung und die häufigste Todesursache unter Krebs bei Kindern“, sagt Prof. Stefan Rutkowski, Leiter der Kinderonkologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und wissenschaftlicher Leiter des Kongresses.

Viele Kinder, die den Krebs überleben, hätten schwerwiegende Spätfolgen, etwa Beeinträchtigen ihrer Intelligenz. „Es gibt einen extrem großen Bedarf, die Behandlungen wirksamen und schonender zu machen“, so Rutkowski. Das 20. Internationale Symposium zur Kinder-Neuro­onkologie (ISPNO 2022) ist seinen Angaben zufolge die weltweit größte und wichtigste Konferenz zu diesem Thema. In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 2200 Kinder und Jugendliche an Krebs, allein in Hamburg bekommen 150 Kinder diese schlimme Diagnose.

Johannes Wimmer: Hamburger TV-Arzt hat selbst ein Kind verloren

Die Entwicklung von Medikamenten und Therapien speziell für Kinder habe aber in der Pharmaindustrie keine Priorität, weil die dafür notwendigen Studien sehr aufwendig und teuer sind, sagt Rutkowski, und die Patientenzahlen im Vergleich zu den Erwachsenen eher gering. Viele Studien würden daher immer noch durch private Spenden finanziert.

Der bekannte TV-Arzt Dr. Johannes Wimmer hat selbst ein Kind verloren – seine kleine Maximilia starb im November 2020 an einem Hirntumor. Für eine Familie sei eine solche Diagnose bei einem Kind eine Katastrophe, sagt er. Und auch wenn es vom Krebs geheilt werde, gehe das Leiden weiter, weil viele der kleinen Patienten durch Chemotherapie und Bestrahlung schwere Spätfolgen erleiden. Als betroffener Vater und Mediziner moderierte er auf dem Kongress eine Veranstaltung mit Eltern krebskranker Kinder.

Dr. Johannes Wimmer plädiert für mehr Forschung

Aus allen Ecken der Welt hätten sich Betroffene eingewählt und von ihren Sorgen berichtet, sagte er. „Jedes Schicksal war berührend. Es ist ein schwerer Weg für die ganze Familie“, so Wimmer. Und der prominente Mediziner plädierte für mehr Forschung: „Kinder brauchen zu Weihnachten keine Teddys auf den Stationen, die brauchen Forschung.“

Weil zwei Drittel der Kinder durch die Krebstherapie massive gesundheitliche Spätfolgen erleiden, sagt Prof. Rutkowski. Es gehe also einerseits darum, die Überlebensraten zu verbessern, aber auch darum, die Therapien schonender zu machen. „Also die Therapien so intensiv wie nötig, aber so schonend wie möglich zu machen“.

Krebs bei Kindern: Betroffene Mutter berichtet

Eine dieser betroffenen Familien ist die von Nicole B. Wer ihren Moritz auf dem Spielplatz sieht, erblickt einen fröhlichen kleinen Jungen. Man sieht dem sechsjährigen Jungen nicht an, welches Leid er in seinem jungen Leben schon erfahren hat, welche schwerwiegenden medizinischen Eingriffe er schon über sich ergehen lassen musste. „Seine Erkrankung hat unser Leben völlig verändert und zwingt uns dazu, immer im Hier und Jetzt zu leben“, sagt seine Mutter.

Bei ihrem Sohn Moritz wurde im Alter von zwei Jahren ein sehr seltener bösartiger Hirntumor entdeckt. Im Juni vor vier Jahren, die Familie war kurz davor, in den Urlaub aufzubrechen, ging es dem damals Zweijährigen plötzlich sehr schlecht. „Er war sehr schlapp, wir dachten erst an eine Erkältung oder an einen Magen-Darm-Infekt, weil er sich immer öfter übergeben hatte.“ Doch der Besuch beim Kinderarzt brachte Ernüchterung. Dieser habe einen deutlich vergrößerten Kopfumfang bei Moritz festgestellt und sie sofort ins Krankenhaus geschickt.

Krebserkrankung verändert Leben der Familie

„Unter seinen wuscheligen blonden Locken war uns das nicht aufgefallen“, sagt die 47-Jährige, die mit ihrer Familie in Buchholz lebt. Bei den darauffolgenden Untersuchungen wurde bei Moritz ein großer bösartiger Hirntumor entdeckt und in einer langen Operation entfernt. „Bei der Untersuchung des Tumors wurde festgestellt, dass dieser so selten ist, dass es noch keinen Namen dafür gibt“, sagt Nadine B. und spricht von ihrer Erleichterung, dass ihr Kind diesen Eingriff überhaupt überlebte.

Nadine B. verbrachte das nächste halbe Jahr mit ihrem Kind überwiegend im UKE. Ehemann Steffen besuchte sie während der Klinikaufenthalte täglich und löste sie am Wochenende im Krankenhaus ab, damit sie auch einmal Zeit mit dem gemeinsamen älteren Sohn verbringen konnte, der damals erst 14 war. „Unser ganzes Leben wurde von einem auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt und nichts war mehr wie vorher“. Es folgten eine Chemotherapie und weitere kleinere Operationen, sowie eine autologe Stammzelltransplantation.

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Doch im Anschluss erlitt Moritz ein akutes Leberversagen. Ein damals noch recht neues Medikament half dem kleinen Jungen schließlich, sein Zustand besserte sich. Doch die eigentlich nötige zweite Stammzelltransplantation war zu riskant und wurde in Abstimmung mit den Eltern abgesagt. Ein Jahr später die Ernüchterung: Ein Rezidiv war zu sehen. Da in den Untersuchungen des Tumors ein seltenes Gen entdeckt wurde, bot sich laut Nadine B. bei ihrem Sohn eine ganz neue Therapie an.

Diagnose Krebs: Familie setzte Hoffnung in Wissenschaft

Seit Januar 2020 muss er nun täglich drei Tabletten nehmen, um den Tumor in Schach zu halten. Moritz besucht den heilpädagogischen Kindergarten. „Seine Entwicklungsverzögerung ist nicht immer auffällig, aber die Leute vom Fach sehen immer schnell, was mit ihm los ist“, sagt seine Mutter. Um den Hirndruck zu regulieren, hat Moritz einen Shunt im Kopf, laienhaft ausgedrückt eine Drainage. Leider funktioniert dieser nicht immer reibungslos. Sobald die Familie das merkt, ist sie mit Moritz auch schon auf dem Weg ins UKE.

„Wir wagen uns nie weit weg aus Norddeutschland“, sagt die Mutter. „Alle Eltern haben Angst um ihre Kinder“, sagt Nadine B., aber „bei Moritz ist es schon eine sehr besondere Situation, die auch schnell kippen kann. Wir hoffen, das die Wissenschaft immer wieder etwas Neues im Kampf gegen den Krebs entdeckt und dass das für unseren Sohn und alle anderen betroffenen Familien rechtzeitig kommt.“

Die Fördergemeinschaft Kinderkrebs-Zentrum Hamburg e.V. sammelt Spenden für die Kinderkrebsforschung. Spendenkonto: Hamburger Sparkasse, BIC: HASPDEHHXXX, IBAN: DE03 2005 0550 1241 1333 11