Hamburg. Erneut deutlich weniger Präsenzveranstaltungen. „Blankes Entsetzen“ bei Medizinstudenten. FDP plädiert für Freisemester im Norden.

Auch an Hamburgs Hochschulen fordert die Omikron-Welle nun ihren Tribut: Weil die erheblich ansteckendere Corona-Variante die Zahl der Neuinfektionen in der Hansestadt immer weiter nach oben treibt, wird die Präsenzlehre für den Rest des Winter­semesters eingeschränkt, je nach Einrichtung allerdings unterschiedlich stark.

Vorerst ganz abgesagt worden ist der klinische Unterricht in Präsenz am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) für Medizinstudierende: Sie dürfen ihre Dozenten nicht mehr zu Patienten begleiten, um am Krankenbett zu lernen. Stattdessen sollen etwa Filme von Behandlungen gezeigt werden.

Corona Hamburg: „Blankes Entsetzen“ bei Studierenden

Es herrsche „blankes Entsetzen“ nach der Entscheidung des Dekanats der Medizinischen Fakultät, die so wichtige praktische Anschauung im Krankenhaus durch Onlinelehre zu ersetzen, schreibt ein Medizinstudierender. Noch vor wenigen Wochen habe das Dekanat versichert, es habe durch Studierende im vergangenen Semester keine Corona-Ausbrüche im UKE gegeben.

Die allermeisten Medizinstudierenden seien geimpft, nutzten FFP2-Masken und testeten sich regelmäßig auf Corona. Deshalb sei der Beschluss des Dekanats nicht nachvollziehbar. Die Praxis im Medizinstudium lasse sich nicht durch vertonte Powerpoint-Demonstrationen ersetzen.

Versorgung der Patienten hat Vorrang

Die Enttäuschung der Studierenden sei verständlich, sagte Prof. Andreas Guse, Prodekan für Lehre am UKE. Der gesamten Dekanatsleitung sei die Entscheidung schwergefallen. Doch die Lage mit Omikron stelle sich leider anders dar als die Situation während der Delta-Welle. Weil die neue Mutante in größerem Maße auch Geimpfte infizieren kann, sei es nicht mehr vertretbar, dass Medizinstudierende in Kontakt mit lehrenden Ärztinnen und Ärzten kommen, die im Krankenhaus dringend gebraucht würden, zumal ohnehin Personalausfälle im UKE drohten, sagte Guse.

„Wir müssen die Versorgung der Patienten aufrechterhalten.“ Das wiege schwerer als der „berechtigte Anspruch der Studierenden, genügend praktischen Unterricht zu bekommen“. Vorklinische Lehrveranstaltungen etwa zu Anatomie, Physiologie und Biochemie sollen weiterhin in Präsenz stattfinden.

Fachschaftsrat kritisiert fehlenden Lernprozess

Dem Fachschaftsrat Medizin (FSR) zufolge gibt es „insbesondere bei Student/-innen im 7. und 9. Semester eine hohe Unzufriedenheit“ angesichts der Entscheidung, die klinische Lehre am UKE bis zum Ende des Wintersemesters nur noch online durchzuführen. Die Studierendenvertretung selbst äußert auf Abendblatt-Anfrage zwar Verständnis für die Entscheidung des Dekanats und schreibt: „Als Fachschaftsrat können wir die akute Regelung nachvollziehen.“

Allerdings: „Wir kritisieren vor allem die vielen verpassten Chancen in den letzten zwei Jahren. In pandemisch günstigen Zeiten ist die Präsenzlehre nicht schnell genug hochgefahren und die Onlinelehre neben einigen positiv hervorzuhebenden Ausnahmen kaum verbessert worden.“ Schon zu Beginn der Pandemie habe der FSR eine Anpassung des Stundenplans angeregt, „sodass gebündelte „Präsenztage“ entstünden, um den Personenverkehr auf dem Klinikgelände quantitativ gering zu halten und die Testungen zu optimieren“. Dies sei am Universitätsklinikum aber „immer noch nicht umgesetzt“ worden.

Universität wechselt von 2G-Modell zurück auf 3G

An den anderen Fakultäten der Universität Hamburg haben viele Lehrende schon von Beginn des Wintersemesters an ihre Veranstaltungen digital durchgeführt. Zwar hatte Hamburgs größte Hochschule die Bitte der Wissenschaftsbehörde weitergereicht, möglichst viele Vorlesungen und Seminare in Präsenz anzubieten – entscheiden konnten die Lehrenden darüber aber selbst. Weitere Beschränkungen der Präsenzlehre wegen Omikron seien nicht geplant, erklärte die Hochschule auf Abendblatt-Anfrage.

Mit Verweis auf die jüngste Eindämmungsverordnung des Senats, die den Hochschulen nur die Wahl zwischen dem 3G- und dem 2G-plus-Zugangsmodell lässt, teilte Uni-Präsident Dieter Lenzen den Hochschulmitgliedern mit, dass die im Dezember eingeführte 2G-Zugangsregelung nun nicht mehr gelte. Da nicht davon auszugehen sei, dass die meisten Studierenden schon „geboostert“ seien, habe sich die Hochschulleitung vorerst gegen 2G plus entschieden. Bis auf Weiteres gelte für die gesamte Lehre der Universität Hamburg wieder 3G (Zugang für Geimpfte, Genesene oder mit tagesaktuellem Corona-Test).

Anteil der digitalen Lehre an HAW Hamburg gestiegen

An der HAW Hamburg wurde schon im November etwa ein Drittel der Veranstaltungen digital durchgeführt, überwiegend im 3G-Modus. „Inzwischen ist davon auszugehen, dass der Anteil digitaler Lehre wieder gestiegen ist“, teilte Hamburgs zweitgrößte Hochschule auf Anfrage mit. So habe etwa das Department Information seine Studiengänge weitestgehend auf Onlinelehre umgestellt.

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Auch die Technische Universität Hamburg hat „angesichts der derzeitigen Entwicklungen in der Corona-Pandemie“ ihre Lehre angepasst. Bis zum Jahreswechsel waren Seminare und Vorlesungen in Harburg nach Angaben der Hochschule noch komplett in Präsenz durchgeführt worden – nun aber dürfen Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmenden nur noch digital stattfinden, im Livestream und/oder als Aufzeichnung. Noch etwa die Hälfte des Lehrprogramms werde unter 3G-Bedingungen vor Ort angeboten, schätzt Hamburgs drittgrößte Hochschule.

Corona Hamburg: FDP schlägt Freisemester vor

Noch einen Schritt weiter geht die kleinere HafenCity Universität: Dort dürfen bis Ende Januar nur noch Lehrveranstaltungen mit maximal 50 Teilnehmenden in Präsenz stattfinden, ebenfalls unter 3G-Bedingungen.

In Schleswig-Holstein sollte das laufende Wintersemester coronabedingt zu einem Freisemester erklärt werden, das nicht zur Regelstudienzeit zählt – das hat die FDP im Kieler Landtag vorgeschlagen. Das wäre „ein fairer Schritt, um die enormen Belastungen für die Studierenden während der Pandemie ein Stück weit abzufedern“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt.