Hamburg. In der Hauptstadt endet ein Prozess um einen Unfall, der erschütternde Parallelen zu dem Unglück in Hamburg aufweist.
Es war ein warmer und sonniger Nachmittag, als unerwartet eine Katastrophe über Hamburg hereinbrach. Wie ein Geschoss raste plötzlich ein Auto scheinbar führerlos durch Eppendorf, geriet auf einen Bürgersteig und prallte in eine Menschenmenge.
Vier Todesopfer und drei Schwerverletzte waren die erschütternde Bilanz, die diesen Unfall aus dem Jahr 2011 als eines der schwersten Verkehrsunglücke überhaupt in die Hamburger Geschichte eingehen ließen. Der Mann, der den Unfall verursachte, litt an Epilepsie – und hatte sich gegen den Rat seiner Ärzte ans Steuer gesetzt. Mit entsetzlichen, tödlichen Folgen.
Todesfahrer von Eppendorf – ähnlicher Unfall in Berlin
Nun ging in Berlin ein Prozess um einen Verkehrsunfall zu Ende, der erschütternde Parallelen zu dem Eppendorfer Unglück aufweist. Auch im Fall in der Hauptstadt war der Fahrer an Epilepsie erkrankt. Und auch hier verursachte er mit seinem Auto einen entsetzlichen Verkehrsunfall mit vier Todesopfern.
Der Mann war am 3. September 2019 mit seiner Familie in seinem Porsche Macan in der Innenstadt unterwegs, als sein Wagen plötzlich binnen weniger Sekunden auf eine Geschwindigkeit von 106 Kilometer pro Stunde beschleunigte, an der Invalidenstraße auf den Bürgersteig geriet und vier Menschen tötete, darunter einen Dreijährigen. Als Ursache für das Unglück war bald klar: Der Fahrer war durch einen epileptischen Anfall verkrampft und drückte das Gaspedal bis zum Boden durch.
Klaus Püschel als Experte im Berliner Prozess
Damals beim Fall von Eppendorf ebenso wie jetzt beim Prozess in Berlin waren zwei Hamburger Experten bei der Verhandlung dabei. Rechtsmediziner Klaus Püschel und der Neurologe Günther Thayssen wurden wegen ihrer besonderen Expertise gerade in Bezug auf Verkehrssicherheit und Epilepsie hinzugezogen.
Über den damals 39-Jährigen, der als „Todesfahrer von Eppendorf“ Schlagzeilen machte, hatte Püschel gesagt, dieser sei eine „tickende Zeitbombe“, weil er „eindeutig ein Epileptiker war und aufgrund seiner Krankheit fahruntauglich. Er hätte sich niemals hinters Steuer setzen dürfen.“
Der Unfallverlauf in Eppendorf wurde so rekonstruiert: Aufgrund eines epileptischen Krampfanfalls gab der 39-Jährige unbewusst Gas und beschleunigte so auf Tempo 107. Er kollidierte mit einem anderen Wagen, wurde in die Luft katapultiert und prallte auf dem Bürgersteig auf. Vier Menschen starben.
Neurologe Thayssen bekundete dazu als Sachverständiger im Hamburger Prozess, für ihn bestehe bei dem Unfallverursacher „kein Zweifel an der Diagnose Epilepsie“. Schon viele Jahre habe diese Erkrankung bestanden. Frühere Aussetzer des 39-Jährigen, von denen Zeugen erzählt hatten, seien jeweils epileptische Anfälle gewesen. „Es tut mir unsagbar leid", hatte der Angeklagte schließlich im Prozess an die Angehörigen der Opfer gewandt gesagt. Das Landgericht hatte ihn schließlich wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Berliner Fahrer litt an Epilepsie wegen eines Tumors
Der Mann, der im September 2019 in Berlin den Verkehrsunfall verursachte, hatte seinen ersten epileptischen Anfall erst wenige Monate zuvor erlitten, im Mai 2019. „Er litt unter einem gutartigen Hirntumor, der als mögliche Ursache des epileptischen Geschehens identifiziert wurde“, erklärt Püschel. „Anfang August wurde ihm der Tumor entfernt.“ Der 45-jährige Angeklagte sagte vor dem Landgericht Berlin, seine Ärzte hätten ihn nicht ausreichend im Hinblick auf die Verkehrssicherheit aufgeklärt. Ihm sei lediglich geraten worden, die nächsten vier Wochen nicht Auto zu fahren.
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Rechtsmediziner Püschel und Neurologe Thayssen führten als Gutachter an, der Unfallfahrer habe an einer strukturellen Epilepsie gelitten, hervorgerufen durch den Hirntumor. „Von daher hätte er mit antiepileptischer Medikation von vornherein mindestens ein Jahr Anfallsfreiheit nachweisen müssen“, betonte Thayssen. Kritisch bemerkten beide Sachverständigen ebenso, dass die Aufklärung des Autofahrers durch seine behandelnden Ärzte unzureichend gewesen sei.
Allerdings hoben beide Sachverständigen ebenso die Eigenverantwortung des Autofahrers hervor, der sich bei jeder Krankheit stets vor Fahrtantritt darüber klar sein müsse, ob er Einschränkungen unterliegt. Das Gericht verurteilte den 45-Jährigen schließlich zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs.
Bessere ärztliche Aufklärung gefordert
„Immer wieder ereignen sich leider Verkehrsunfälle mit Schwerverletzten und Getöteten, die auf eine aus ärztlicher Sicht leicht erkennbar mangelnde Fahreignung der Fahrer zurückzuführen sind“, sagt Püschel. Und Neurologe Thayssen ergänzt: „Das gilt nicht nur für Anfallsleiden, sondern auch für viele andere neurologische Erkrankungen wie zum Beispiel die Parkinsonsche Krankheit.“ Ebenso können Herzkreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselleiden und psychiatrische Erkrankungen die Ursache sein.
Durch ausreichende ärztliche Sicherungsaufklärung könnten viele vermeidbare Verkehrsunfälle verhindert werden. Püschels Appell: „Mobilität ist natürlich ein sehr hohes Gut. Aber Sicherheit geht vor, vor allem auch die Sicherheit der anderen.“