Hamburg. Der Chef der sanaGroup über Risiken bei Schnelltests, Ultra-PCR-Tests – und Öffnungen von Elbphilharmonie bis HSV-Stadion.
Die Schnelltests und Selbsttests auf das Coronavirus versprechen eine größere Sicherheit und mehr Freiheiten. Doch kann man sich wirklich darauf verlassen? Das Abendblatt sprach mit Dr. Thomas Wüstefeld, dem geschäftsführenden Gesellschafter der Hamburger sanaGroup, die seit Jahrzehnten im Geschäft mit Tests, Arzneimitteln und Medizinprodukten arbeitet und weltweit vernetzt ist.
Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Wüstefeld, Ihre Firma und Ihre Wettbewerber haben eine Reihe von Schnelltests auf dem Markt, auch Selbsttests, sodass sich jeder fast zu jedem Zeitpunkt auf Corona testen oder testen lassen kann. Warum sind Sie trotzdem nicht zufrieden mit der Entwicklung?
Dr. Thomas Wüstefeld: Laien- oder Selbsttests und auf der anderen Seite die Antigen-Schnelltests werden in einen Topf geworfen. Dabei sind unterschiedliche Zielgruppen und Ausrichtungen gemeint. Der oberste Fokus beim Testen sollte auf der Nachweisgrenze des Virus liegen und der Sicherheit. Bei den Antigen-Schnelltests erhalten wir viele Rückfragen selbst von dem qualifizierten Personal, das die Abstriche macht: Haben wir das korrekt durchgeführt? Hatten wir das rich-tige Licht?
Jetzt kaufen sich aber viele Menschen die Selbsttests beim Discounter. Was raten Sie denen?
Den Selbst- oder Laientest zu implementieren, finde ich grundsätzlich als weiteren Baustein hilfreich und sehr wichtig. Aber man muss mehr aufklären: Was kann ich mit dem Ergebnis des Selbsttests machen? Derzeit keine Veranstaltung besuchen, in eine Bildungseinrichtung wie Schule oder Universität gehen oder in ein Restaurant. Denn es ist für einen Veranstalter oder einen Restaurantbetreiber intransparent, ob ich überhaupt der Getestete war und ob ich den Test richtig ausgeführt habe. Beim Schnelltest macht das immerhin eine qualifizierte Person und bestätigt das Ergebnis. Deshalb sind die Selbsttests nach meinen Informationen bislang auch noch nicht Gegenstand der Testverordnung vom RKI.
Positiver Selbsttest auf Corona: Sofort in Quarantäne!
Sollte ich positiv getestet werden, muss ich doch sofort in Quarantäne?
Ja, aber das wissen viele Leute nicht. Das haben wir erstaunlicherweise in einer Befragung festgestellt, die wir für den Selbsttests im Heimgebrauch durchgeführt haben: Was machst du, wenn du positiv bist? Wie man sich richtig verhält, wussten die wenigsten. Wer einen positiven Selbsttest hat, muss sich sofort in Quarantäne begeben und sofort einen PCR-Test machen lassen. Auch der Schnelltest ist nur eine Momentaufnahme mit einer Geltungsdauer von zwei bis vier Stunden. Nach diesem Zeitfenster kann sich bei einem Infizierten Virenlast gebildet haben. Nichts ist schlimmer als ein falsch negativer Test. Dann lieber gar nicht testen. In der Befragung/Studie ging es sogar so weit, dass die Menschen meinten, sie könnten auf den Mund-Nasen-Schutz und die AHA+C+L-Regeln verzichten. Mit den vielen Test-Szenarien drohen jetzt sogar neue Risiken in der Pandemie.
Warum sind die Selbsttests so unzuverlässig?
Unzuverlässig würde ich so nicht sagen. Das Anwendungsgebiet und der Fokus der jeweiligen Tests ist enorm wichtig. Aus entsprechenden Studien ist bekannt, dass viele Schnelltests nur anschlagen, wenn eine sehr hohe Virenlast vorliegt und man schon Symptome einer Erkrankung zeigt. Aber man fischt sehr oft nicht die mit Sars-CoV2 prä- oder asymptomatisch Infizierten heraus, die gar keine Symptome haben, also häufig aktive und sich gesund fühlende Personen aller Altersgruppen, die jetzt vielleicht den Selbsttest kaufen und sich in falscher Sicherheit wiegen, dass sie niemanden infizieren könnten.
Deshalb haben wir sehr großen Wert darauf gelegt, dass unser Home-use-Test auch schon bei einer sehr ge-ringen Viruslast anschlägt und eben auch diese Personengruppe identifizieren kann. Denn, wie eben dargelegt, sehen wir hier ein sehr hohes Risiko. Infizierte Menschen wägen sich in einer falschen Sicherheit und infizieren unbewusst und unabsichtlich andere.
Gibt es überhaupt genügend Schnelltests, wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verspricht?
Das Bundesgesundheitsministerium hat mehrfach bei uns angefragt, wie viele Testkapazitäten wir haben. Stand heute befinden sich im Lager in Hamburg 24.2 Millionen Tests-Kits.
Welche Art von Tests sind das?
Die Technologie der Biofilm/Antikörper ist ja bei unseren Tests immer gleich. Wir verwenden dieselbe Kassette, aber einen anderen Swob (Stäbchen mit Wattebausch) und unterschiedliche Sekundärkomponenten. Fertig verpackt haben wir 18,2 Millionen Antigen-Schnelltests und sechs Millionen verfügbare, aus denen wir von heute auf morgen einen Selbsttest oder einen Antigen-Schnelltest machen können.
Lesen Sie auch:
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
"Gurgel-Test" und "Nasenbohr-Test" auf Corona
Es gibt mittlerweile die „Gurgel-Tests“, „Nasenbohr-Tests“, „Lutscher-Tests“. Unter welchen Bedingungen kann man deren Ergebnisse gelten lassen?
In Österreich hat man flächendeckend mit Gurgel- und Spucktest angefangen und den Spucktest nach meinen Kenntnissen wieder eingestellt, weil a) die Nachweise nicht so qualifiziert waren und b) ich andere Personen gefährde, wenn ich die Maske herunternehme und in ein Gefäß spucke. Wenn ich infiziert oder infektiös bin, können sich Tröpfchen wie auch Aerosole mit viralen Partikeln somit sehr leicht verteilen.
Was empfehlen Sie?
Unser Ansatz ist: Man muss Sekret entweder in die Nase oder den vorderen Mundraum hochziehen oder vom hinteren Rachenraum kratzen, sollte eine Infektion vorhanden sein, befindet sich dort am meisten Virenlast. Ist das Sekret in der vor-deren Nasenhöhle oder im vorderen Mundraum, nehme ich einen saugfähigen Swob (Stäbchen mit Wattebausch), und gebe das Sekret in den Tube (Röhrchen) für den Schnelltest. Reine Speicheltests sind aus unserer Sicht nicht so effektiv, was auch durch unabhängige Labortests analysiert wurde.
PCR-Test im Labor: Die Dauer lässt sich abkürzen
Aber mit diesem Schnelltest habe ich auch nur eine Sicherheit für einige Stunden.
Genau, ein Schnelltest ist immer eine zeitlich sehr limitierte Momentaufnahme und nicht mehr.
Jedes Labor wird sagen: Darauf kann man sich nicht verlassen. Wir brauchen PCR-Tests, die verlässlicher sind. Ihre Antwort darauf?
Bei den Schnelltests habe ich ein qualitatives und kein quantitatives Ergebnis, es bestehen viele relevante Fragen wie, ob z.B. die Probenentnahme richtig durchgeführt wurde oder ob die manuelle Ablesung richtig durchgeführt wurde. Es fehlt die Analytik sowie bei vielen Schnelltests die Auswertung von positiven und negativen Kontrollen. Dadurch können falsche oder nicht aussagekräftige Ergebnisse entstehen. Neben der ständigen Weiterentwicklung unserer Schnelltests arbeiten wir auch fieberhaft an unserer Ultra RT-PCR Technologie. Wir sind jetzt bei unserer RT-PCR Lösung bei unter 30 Minuten. Unsere Entwicklungskollegen sind bereits in der Prototyp-Phase einer neuen mobilen xUltra-RT-PCR-high speed Technologie mit neuester Thermik und unter Anwendung künstlicher Intelligenz. So können wir, wie jetzt beim HSV, dem VfL Wolfsburg oder vielen anderen Bundesligavereinen und Profi-Sportclubs sowie Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Veranstaltungen zukünftig mit einem Gerät analog einem Antigen-Schnelltest in nur 15 Minuten 14 Personen gleichzeitig testen.
Wie sicher ist dieser Test?
Diese xUltra RT-PCR hat eine definitive Sicherheit von 99,8 Prozent. Daraus kann ich mit einer sehr hohen Sicherheit und extremen Genauigkeit ableiten, ob ich in einem Zeitfenster von bis zu 48 Stunden nicht infektiös bin. Mit diesen Entwicklungen kann man aus unserer Sicht gefahrlos Schulen öffnen, die Elbphilharmonie oder sogar ein Bundesligaspiel besuchen.
Nach Corona-Schnelltest in die Elbphilharmonie oder zum HSV
Stop! Eine Schulklasse lässt sich so testen, vielleicht sogar mal 100 Passagiere eines Flugzeugs. Aber wie können Massen-Tests funktionieren?
Es gibt auch neue Erkenntnisse in der Probenentnahmeanalytik sowie in der gesamten RT-PCR Applikation. In unserer Ultra RT-PCR ist eine vorgefertigte RNA-Extraktion. Hier reicht ein Hauch von Probenmaterial, um die Analyse durchzufüh-ren. Man könnte also auch hier die Probenentnahme bei einer Großveranstaltung selbst in Gegenwart einer weiteren Person durchführen, die die Durchführung bestätigt und erhält vor Ort ein xUltra RT-PCR Ergebnis binnen 15 Minuten. Alternativ könnte die Probenentnahme zusammen mit einem Ausweis und einem möglichen Ticket zuhause via Telemedizin übers Internet durchgeführt werden. Der Augen-Scan ist für die eindeutige Personalisierung notwendig. Dann erfolgt entweder ein Mund- oder Nasenabstrich oder eine leicht invasive Entnahme aus dem vorderen Nasen- oder Mundbereich.
Was passiert dann mit der entnommenen Probe?
Der Swob wird in den speziellen vNAT-Tube eingeführt und anschließend verplombt. Dieser versiegelte Tube ist mit einer speziellen Identifikationsnummer versehen und kann nun versendet oder mit in eine Einrichtung, eine Veranstaltung oder mit ins Unternehmen gebracht werden.
Das heißt noch nicht, dass das mein Abstrich ist, den ich da zum Volksparkstadion mitbringe.
Ja, aber das lässt sich absichern. Wir sind bereits in einer entsprechenden Prototyp-Phase für den Abgleich von Ausweisdaten, mit oder ohne Ticket und einem Augen-Scan.
Für eine Nachverfolgung positiver Tests ist immer wichtiger geworden, ob es sich um eine Mutation des Coronavirus handelt. Das Sequenzieren dauert immens lange. Was könnte eine verbesserte mobile PCR hier leisten?
Es entstehen permanent neue Mutationen des Sars-CoV2 Virus, ihre Relevanz wird nach umfangreichen Analysen entsprechend definiert. Wir sind mit unseren Ultra RT-PCR Mutations-Reaktionsanalysen in der Lage, alle bekannten und relevanten Mutationsarten innerhalb von vierzig Minuten auszuwerten und darzustellen. Wir können diese beiden Schritte, Feststellung einer Sars-CoV2- Infektion und Fest-stellung der vorliegenden Mutationsart, miteinander verbinden, ohne dass dieses mehr Zeit beanspruchen würde.
Was erwarten die Labore und Schnelltest-Hersteller von der Politik?
Ich kann natürlich nur für unsere Unternehmensgruppe sprechen. Aus meiner Sicht wäre eine klare vollumfängliche Aufklärungskampagne wichtig. Wir reden über einen Schnell- oder Selbsttest, der eine schwerwiegende Infektion feststellen soll, nicht über einen Test, der feststellen soll, ob ich Husten oder ein bisschen mehr Husten habe. In der Testverordnung muss klar dargestellt werden: Wozu dient der Selbst- oder Laientest, wozu dient der Antigen-Schnelltest und natürlich der RT-PCR-Test. Wir benötigen eine eindeutige Teststrategie und klare Antworten von der Politik auf die Frage, was kann und darf ich mit den unterschiedlichen Tests machen?